Teil 8

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"Kannst du Nelli holen?"
"Sicher? Nicht lieber den Retter?", sie wackelte vielversprechend mit den Augenbrauen. Könnten Blicke töten, dann läge sie längst unter der Erde.
Er war weder mein Retter, noch mein Geliebter. Er war rein gar nichts.
"Ist ja schon gut", sie begab sich zur Tür und einen Augenblick später setzte sich Nelli neben mich.
"Das war es dann wohl", sie gab mir schlichte Klamotten zum Anziehen, natürlich lang.
"Wir bleiben in Kontakt?", ich schluckte.
"So wie immer", meinte sie mit einem Lächeln.
Ich zog mich um: "Ich werde dich vermissen."
"Jetzt werd' mal nicht sentimental, Süße, wir sehen uns doch wieder."
Ich fiel ihr um den Hals, ohne Nachzudenken, wahrscheinlich hätte ich ewig nicht losgelassen, doch irgendwann reichte es Nelli: "Du schaffst das." Mit beiden Armen drückte sie mich sachte von sich.
Vielleicht hätte ich gekränkt sein sollen, doch das war ich nicht, stattdessen konzentrierte ich mich auf das Wesentliche: "Kann ich den Verband dann abmachen?"
"Ich gebe dir die Salbe mit und dann machst du einen frischen Verband darum", sie lief zu einem kleinen Schrank und fing an darin herum zu suchen.
"Wenn es sein muss", ich konnte meine genervten Ton nicht unterdrücken.
Nadine stand an der Tür, Luna nicht, was mich aber herzlich wenig wunderte. "Ich glaube an dich, Rose, und wenn ich deinen Typen wieder sehe, gebe ich ihm deine Nummer", meinte Nadine und ich boxte sie leicht.
"Wir sehen uns wieder", sagte ich mit fester Stimme, mehr für mich selbst, um mich daran zu erinnern, dass das hier nicht das letzte Mal war, wo ich die beiden besuchen konnte.
"Bis bald", flüsterte Nelli halbherzig grinsend und ich griff nach der Türklinke.
Ein paar Sekunden später stand ich wieder hinter der Backsteinmauer und atmete tief durch.
Du schaffst das Melrose, kein Grund zur Sorge.
Ich lief nach Hause, wenn man das so nennen konnte. Am liebsten wäre ich Kilometer weit gelaufen, nur um dort nicht auftauchen zu müssen. Kurz erwog ich sogar, wieder umzukehren und einfach von der Bildfläche zu verschwinden. Würde das einen Unterschied machen? Würde mich überhaupt jemand vermissen?

Meine Eltern waren gerade dabei unsere Sachen ins Auto zu packen. Darin waren sie auch geübt, dank mir.
"Dass du auch noch erscheinst, gleicht einem Wunder", mein Adoptivvater sah mich eiskalt an. Ich zuckte nur mit den Schultern und ging in die Richtung meines Zimmers.
"Du hast noch eine halbe Stunde", kam von unten.
Mein Zeug zu packen dauerte ungefähr 20 Minuten, dann schleppte ich meine Koffer runter und nahm mit ihnen auf der Rücksitzbank Platz.
Meine Adoptivmutter gab gerade eine Route ins Navi ein und mein Vater schloss das Haus ab. Als wir losfuhren, herrschte Totenstille, also holte ich mein Handy heraus und steckte Kopfhörer rein.
Ich blendete einfach alles um mich herum aus, konzentrierte mich schlichtweg nicht auf die Tatsache, dass ich bald ein richtiges Waisenkind sein würde und ließ mich stattdessen von der Musik mitziehen.
Keine Ahnung wie lange wir gefahren sind, aber es konnten nicht mehr als ein, zwei Stunden gewesen sein. Wir bogen in eine kleine Einfahrt ein, das Haus stand ziemlich alleine und dahinter begann ein Wald, so wie ich das aus dem Auto heraus sehen konnte.
Ich half beim Koffertragen durch eine weiße Haustür. Innen war es sehr modern eingerichtet, eine Glaswand führte zum Garten, der an dem Wald grenzte, ein nicht zu kleiner Pool war in der Mitte eingelassen und die Küche war offen. Sagen wir es kurz, es war atemberaubend.
"Komm kurz mit hoch!", meine Mutter führte mich eine Wendeltreppe hinauf. "Du kannst entweder dieses Zimmer oder das auf der anderen Seite haben."
Der Raum war doppelt so groß wie mein vorheriger und ich sah mich neugierig um. Danach führte sie mich in den nächsten und da wusste ich, dass ich meine Entscheidung getroffen hatte.
Das Zimmer war zwar nicht so groß wie das andere, aber es hatte eine Wand voller Fenster und man blickte genau auf den Wald. "Ich würde das hier nehmen", ich sah nach draußen, unter mir der Pool.
Sie lächelte leicht: "Habe ich mir schon gedacht."
Ich holte meine Koffer von unten und meine Adoptivmutter stand immer noch an derselben Stelle.
Ich ließ mir meine Verwunderung nicht anmerken: "Ist etwas?"
Sie öffnete den Mund, schüttelte jedoch dann den Kopf: "Soll ich dir die Heizung anmachen, dann kannst du die Jacke ausziehen."
"Das mache ich schon, danke", ich versuchte, sie nicht förmlich anzustarren. Wir hatten schon lange nicht mehr geredet, ohne dass es um meine sogenannten Berührungsängste ging.
"Gut, dann komm einfach runter, wenn du fertig bist." Ich nickte und eine weiße Holztür wurde geschlossen. Mein Blick wanderte durch mein neues Zimmer, Laminat Boden, ein grau-schwarzer Kleiderschrank links, ein Glasschreibtisch mit Blick nach draußen, ein schwarzer Teppich und ein graues Bett rechts. Mir gefiel dieser schlichte Stil.
Ich räumte meine Klamotten in den Schrank, meinen Laptop stellte ich auf den Schreibtisch, meine Schulsachen und Schuhe holte ich unten. Ich besaß nicht gerade viel, aber das war mir relativ egal. Nachdem ich noch ein paar Bücher auf das Brett, das über dem Bett hing, gestellt hatte, sah ich mich zufrieden um. Das Zimmer war wie für mich gemacht.

Nightmare-Ist Angst stärker als Liebe?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt