Teil 98

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"Melrose, jetzt warte doch!", Erik kam mir hinterhergerannt. Ich fuhr wütend herum:"Was? Bekommst du etwa keine Pluspunkte für gutes Benehmen, wenn ich selbstständig gehe?" Er runzelte die Stirn:"Was redest du da?"
"Miss Morgen wünscht, nicht gestört zu werden." "Ach so ist das.", er blieb stehen, während ich weiterging. "Ja, so ist das." "Du stellst hier gerade alles auf den Kopf, das ist dir schon klar, oder?" Ich lachte laut auf:"Ich weiß und glaub mir, darin bin ich ein Profi."

Ich verlief mich zwei Mal, bevor ich die richtige Tür gefunden hatte und dann ließ ich mich in das riesige Bett fallen. Kurz darauf klopfte es auch schon leise und ich stöhnte ins Kissen. "Ich bin's nur.", Nelli setzte sich auf die Bettkante, nachdem sie eingetreten war. Ich umarmte weiterhin mit dem Gesicht das Kopfkissen vor mir. "Was ist denn los, Süße?" "Mayra ist ausgerastet.", murmelte ich, war mir aber nicht einmal sicher, ob Nelli das überhaupt verstehen konnte. "Was, Mayra kann wütend werden? Sie scheint eher die Ruhe selbst zu sein." Ich drehte mich um, sodass ich mit dem Kopf auf den Stoff des Bettes über mir schauen konnte:"Ich habe doch nur eine Frage gestellt."

"Was hast du denn gefragt?", Nelli rutschte näher zu mir. "Wer damals beerdigt wurde und dann ist sie durchgedreht, hat mir gesagt, sie könne doch auch nicht alles wissen und dann sollte Erik mich herbringen, was mir aber zu blöd war." "Sie hat nach Erik gerufen, damit er dich abholen soll?" "Nachdem sie ihre Tasse zerstört und das Zimmer verlassen hat, ja." "Oh, scheiße." "Ich verstehe es einfach nicht.", ich wandte den Blick von der Decke ab und sah Nelli an. "Wahrscheinlich ist sie einfach nur überfordert mit der Situation und kann damit nicht umgehen. Wie würdest du denn reagieren, wenn dein toter Vater plötzlich vor dir steht?"
Ich funkelte sie böse an:"Ich bin nicht tot." Meine beste Freundin seufzte:"Du weißt doch wie ich das meine." "Na schön, vielleicht wäre ich überfordert, ein klein wenig." "Siehst du, nimm es ihr nicht übel." Jetzt setzte ich mich komplett auf:"Es ist doch aber verständlich, dass ich Fragen habe, oder?" "Es wirft dir doch auch keiner vor, dass du zu neugierig wärst und jetzt geh am besten schlafen, morgen werden wir zusammen mehr herausfinden." "Okay.", flüsterte ich und sie erhob sich. "Gute Nacht.", sie lächelte mir zu. "Gute Nacht.", ich zog eine Grimasse, dann fiel die Tür ins Schloss und ich war allein. Gestern hatte ich mich noch gefragt, wie es wohl wäre, meine Tante zu sehen und jetzt liege ich einfach in ihrem Schloss, in meinem Zuhause. Ich zog meine Tasche neben dem Bett hervor und mir ragten die Briefumschläge entgegen; danach würde ich morgen auch fragen. Mein Handy zeigte keine neuen Meldungen an und ich beschloss, dass das etwas Positives sei.

Im Bad fand ich schon alles vorbereitet, was ich brauchte und ein kleiner Zettel lag auf dem Schränkchen: Kleidung eine Tür weiter rechts.
Ich folgte dem Pfeil und sah direkt auf eine schmale unscheinbare Tür. So oder so musste ich aus diesen Klamotten heraus, denn zum Schlafen waren sie ganz sicher nicht geeignet. Ich drückte die Klinke herunter und musste auflachen. Vor mir erstreckte sich ein verdammtes Klamottenparadies. An den Wänden hingen etliche Kleiderbügel und es gab Leitern, damit man an alles herankommen konnte. Die Farbwahl war recht dunkel, was mich aber wenig überraschte. Unter mir war ein samtweicher schwarzer Teppich und ich schmiss meine Schuhe in eine Ecke, um andere anzuprobieren. Am Ende des Zimmers war eine Art Laufsteg, der komplett von Spiegeln umgeben war. Wie ein kleines Mädchen lief ich hin und her und fragte mich was Nelli jetzt wohl sagen würde, wenn sie mich sehen könnte. Wahrscheinlich würde sie denken, ich sei verrückt geworden.
Es dauerte eine ganze Weile, bis ich den Abschnitt mit Nachthemden gefunden hatte und ich entschied mich für ein schwarzes, mit Spitze und winzigen Perlen versehenes; es passte wie angegossen. Danach machte ich mich im Bad fertig und schminkte mich ab. Jetzt sah ich wieder mich im Spiegel, müde Augen, abstehendes Haar und tiefe Augenringe. Ich wandte den Blick ab, ich stellte alles auf den Kopf. Eriks Worte hatten mich doch mehr getroffen, als ich gedacht hatte.
Ich sah wieder auf und jetzt glitzerten meine Augen wie ein wunderschöner Diamant, nur zeigten Diamanten keine Trauer und keinen Schmerz. Mit einer schnellen Handbewegung hatte ich das Licht am Spiegel ausgeschaltet und war aus dem Bad verschwunden. Es lief keine einzige Träne, ich ließ es nicht zu.

Die Bettdecke zog ich bis zum Kinn hoch und ließ mit Absicht die Kette an, da ich mich Alisia so näher fühlte. Ich schloss die Augen, doch es traten viel zu viele Bilder auf.
Luke, wie er heute morgen aussah, total fertig, meine Adoptiveltern, die jetzt wahrscheinlich zusammen auf der Couch saßen, Sarah, die vergebens nach Fluffy suchte, Steve, der schlafend gegen irgendeinen Zauber ankämpfte, Wendy, die ich verletzt hatte, Mayra und mein Vater. Wie konnte er nur die Rebellen anführen? Ich drehte mich ruckartig um, hör auf zu denken, schlaf jetzt, Rose.
Aber mein Kopf ließ das nicht zu, immer wieder ging ich sämtliche Möglichkeiten durch, wo meine Mutter sein könnte und was damals wirklich geschehen ist. Hatten die Rebellen mich im Waisenhaus abgegeben? War einfach ein anderer Morgen anstatt mir gestorben, doch wer? Und wie sollte das passieren, ohne dass jemand etwas mitbekam? Ich schlug die Augen auf und starrte an die Wand. War es normal, dass Wände sich verdoppelten und ihre Form änderten? Ich blinzelte, doch alles blieb verschwommen, bis ich mein eigenes Schluchzen hörte. Meine Tränen verschwanden im Stoff unter mir und ich blinzelte wie verrückt, um weitere zurückzuhalten. Luke ist weg, wie sollte ich meine Mutter finden, ohne jeglichen Anhaltspunkt? Wie konnte ich einfach in einem teuren Bett liegen, während meine Mutter da draußen vor Hunger längst gestorben sein könnte? War es nicht leichter, zu vergessen? Warum konnte ich nicht einfach nur nach vorne sehen? Ich atmete viel schneller als sonst und es fühlte sich an, als würde die Kette meine Haut verbrennen, aber ich bewegte sie nicht. Irgendwann verschwand die Wand vor mir komplett und ich sah nur noch einen endlos langen dunklen Gang, der gänzlich aus Steinen gebaut worden war.

An den Seiten leuchteten kleine Fackeln den Weg. Ich sah von links nach rechts, wo war ich jetzt schon wieder gelandet? Es klang, als würde es in einer weiteren Entfernung tropfen. Ich lief weiter, doch meine Sicht besserte sich nicht. Mir schien es so, als würde der Tunnel niemals enden wollen, trotzdem ging ich weiter, bis ich auf einmal ein leises Geräusch hörte. Ich blieb abrupt stehen und versuchte es zu orten, doch noch bevor ich einen weiteren Schritt nach vorne setzten konnte, sah ich wieder die Wand vor mir.

Panisch schaute ich mich um. Es war wieder nur ein Traum gewesen, doch auch das machte mir Angst.
Was hatte der Tunnel zu bedeuten? Was war das für ein seltsames Geräusch? Bis jetzt hatte jeder Traum eine Bedeutung oder sollte mir irgendetwas zeigen, doch aus diesem wurde ich nicht schlau und ehrlich gesagt war ich auch nicht wild darauf, nochmal zu diesem düsteren Ort zu gelangen. Seufzend stand ich auf und schwankte ins Bad, wo ich ein Glas mit eiskaltem Wasser füllte und in einem Zug austrank. Es fröstelte mich ein wenig und ich schlich wieder unter die Decke.
Wieso kamen nur immer mehr Rätsel auf, anstatt dass sich eines löste?

Nightmare-Ist Angst stärker als Liebe?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt