Teil 87

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Wir parkten in einem Parkhaus und stiegen dann zusammen aus, wobei ich ziemlich wacklig auf den Füßen war, immerhin hatte ich ja gerade noch geschlafen. "Du siehst aus wie ein Häufchen Elend, tut mir leid Süße, aber das ist die Wahrheit." Ich rollte mit den Augen:"Danke auch." Mir fiel wieder ein, wie betrunken Nelli gestern war und wunderte mich im selben Moment, warum sie so normal aussah. "Das haben wir gleich wieder!", rief sie aus und klatschte in die Hände. "Wie lange sind wir überhaupt gefahren?", wir konnten direkt vom Parkhaus aus in das Einkaufszentrum, wofür ich dankbar war, weil mir immer noch extrem kalt war. "Eine Stunde oder so, wir haben noch ein bisschen Weg vor uns." Ich wandte den Blick ab und sah stattdessen in ein Schaufenster, das meiner Meinung nach viel zu kitschig gestaltet war. Wir liefen daran vorbei und im Inneren des Geschäfts schrie gerade eine Frau einen Jungen in meinem Alter an:"Jedes verdammte Mal kommst du zu spät! Wenn das wieder passiert, kannst du dich nach einem neuen Job umsehen!" Schluckend richtete ich meine Aufmerksamkeit wieder auf den Boden, natürlich erinnerte mich das an Luke. "Erde an Melrose!", Nelli wedelte mit der Hand vor meinem Gesicht, was mich aus meiner Trance riss. "Was ist?" "Ich habe dich gefragt, ob wir zuerst Klamotten kaufen wollen." "Ja, sicher.", meinte ich, sah sie aber nicht an, was sie seufzen ließ.

"Sag jetzt bitte nicht, dass du wegen diesem Luke so neben der Spur bist, bitte." Jetzt fanden meine Augen ihre:"Der Laden da vorne sieht gut aus." Sie folgte der Richtung mit ihrem Blick, auf die ich hinwies:"Du lernst langsam vom Meister, was Geschmack angeht." Ich war froh, dass mein schlechter Versuch vom Thema abzukommen, funktioniert hatte und freute mich sogar ein wenig auf neue Klamotten. Nelli suchte mir eine tiefschwarze Jeans heraus, ohne dass ich viel Mitspracherecht hatte und dann endete es damit, dass ich ein weinrotes T-shirt anhatte, das oben mit Spitze versehen war und eng saß. Meine jetzige, ausgeblichene Jeans wurde durch eine neue, schwarze ersetzt und wir erklärten gemeinsam der Verkäuferin, dass ich die Klamotten gleich anbehielt, was sie auch nicht störte. Sie entfernte die Preisschilder und meine nassen Kleider landeten in einer Plastiktüte. Ich war nur froh, dass die Klamotten nicht so schlimm nach Chemie rochen. "Deine Jacke wird bestimmt noch trocknen.", meinte Nelli, nachdem ich mit dem Geld, das ich noch übrig hatte, bezahlte. "Ja." "Als nächstes Haare!", sie ergriff meine Hand, was mich unwillkürlich zusammenzucken ließ und auch sie schreckte dann zurück. Wie automatisch trat sie einen Schritt zurück, was mich wirklich verletzte. "Ich, äh-", fing sie an und ich winkte ab. "Vergiss es, nichts geschehen, wir wollten etwas mit meinen Haaren anfangen." Jetzt nickte sie viel zu heftig und deutete dieses Mal nur in die Richtung, anstatt mich mitzuziehen:"Hier entlang."

Wenn ich sagen würde, dass es mir nichts ausmachen würde, dass Nelli Angst vor mir hatte, müsste ich lügen, denn es kränkte mich wirklich. Ich meine, ich war es gewohnt, Kontakt jeglicher Art zu vermeiden, aber das galt noch nie für Nelli, niemals. "Ich sag denen, dass die dir die Haare einfach nur föhnen sollen!", lachte meine beste Freundin und ich überspielte meine wahren Gefühle, indem ich spielerisch mit den Augen rollte.

Nachdem wir auch den peinlichen Besuch beim Friseur hinter uns hatten, bestand Nelli noch darauf, dass ich neues Makeup brauchte und dem konnte ich nur zustimmen. Die Reste meiner Wimperntusche waren nicht gerade schön, sie verliehen mir eher einen Pandalook. Wir betraten den Laden und Nelli sah sich um:"Da vorne!" Ich folgte ihr zu einem freien Platz, wo man sich schminken lassen konnte. Sofort kam ein großer, schlanker Mann angerannt:"Hallo, die Damen. Was kann ich für Sie tun?" Ich öffnete den Mund, doch Nelli kam mir zuvor:"Geben Sie mir einfach Wimperntusche, schwarzen Lidschatten und dunkelroten Lippenstift, in der Farbe des Oberteils etwa." In diesem Moment wäre ich am liebsten im Erdboden versunken, musste mich aber auch zusammenreißen, um nicht lauthals loszulachen. Der Mann sah uns verdutzt an:"Sie wollen ihre Freundin selbst schminken?" Nelli stemmte ihre Hände in die Hüfte und baute sich groß vor diesem Typen auf, obwohl er fast zwei Köpfe größer war als sie:"Ja, ich schminke sie selbst. Was dagegen?" "Nein Sie, ich hole die Sachen.", er eilte davon. "Der Arme.", murmelte ich und zog eine Schmolllippe. "Was fällt dem ein, mich so anzuschauen? Denkt der etwa, ich würde schlechter schminken als er?", Nelli drehte sich zu mir um und verengte die Augen zu Schlitzen.

"Natürlich nicht, niemand kann das besser als du.", ich versuchte ernst zu bleiben, weil der Typ schon wieder ankam, doch es ging einfach nicht, ich musste vor mich hin grinsen. "Bitte sehr.", der Mann reichte ihr die Utensilien, doch sie rümpfte nur die Nase. "Stellen Sie die da auf dem Tisch ab." Nun sah ich, dass er sich zusammenreißen musste, um Nelli nicht die Meinung zu geigen, doch mir gefiel das Provozierende von ihr. Er legte die Sachen mit viel zu viel Wucht auf den Tisch:"Sonst werde ich ja wohl nicht benötigt." "In der Tat.", Nelli setzte ein zuckersüßes Lächeln auf und der Typ stampfte davon, dann nahmen wir beide auf den Stühlen platz. Ich schloss die Auge, damit Nelli anfangen konnte:"Wir hätten ein Problem gehabt, wenn er mich berührt hätte." "Stillhalten!", sagte Nelli darauf nur und zog einen Lidstrich. Ich bemerkte, dass sie sich Mühe gab, mich nicht zu berühren und ich versuchte, mir nichts anmerken zu lassen, doch irgendwann ging es nicht mehr:"Nelli, ich bin nicht giftig, du brauchst keine Angst zu haben." "Ich habe doch keine Angst vor dir.", sagte sie, schminkte aber meine Augen weiter, sodass ich sie nicht öffnen konnte. "Aber Angst davor, mit mir in Berührung zu kommen.", stellte ich fest. "Das ist doch Quatsch.", murmelte sie und rückte, wie um es zu beweisen, meinen Kopf ein Stück nach rechts. "Nein, du meidest den direkten Kontakt." "Na gut, vielleicht finde ich es unheimlich, dass du eine Morgen bist und auch mich kontrollieren könntest.", gab sie zu und das kränkte mich nochmal mehr, es aus ihrem Mund zu hören, doch ich war ja diejenige, die wollte, dass sie das sagt. "Ich bin genau dieselbe Melrose, die ich auch noch vor ein paar Tagen war, Nelli. Ich habe mich nicht verändert." Sie schluckte und ich hörte, dass sie irgendetwas Anderes in die Hand nahm, wahrscheinlich den Lippenstift. "Ich weiß das doch, aber nachdem ich gesehen habe, was du mit Tobias gemacht hast-", sie verstummte und jetzt wurde mir erst richtig bewusst, zu was ich eigentlich in der Lage war. Ich machte den Personen um mich herum schon Angst, ohne irgendetwas zu tun.

Nightmare-Ist Angst stärker als Liebe?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt