Teil 9

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Bei dem Gedanke, dass ich hier bald wieder wegmusste, wurde mir mulmig zumute.
Als ich auf der Wendeltreppe zurück in die Küche ging, hörte ich meine Adoptiveltern schon wieder streiten.
"Dann geh doch!", schrie mein Adoptivvater und meine Mutter eilte weinend an mir vorbei die Treppe hoch. "Du!", er kam auf mich zu und ich erkannte an seinem Atem, dass er getrunken hatte.
Er packte meinen Arm mit dem Verband und ich schrie kurz auf, was ihn zum Lachen brachte. Wieder brüllte er los und sein widerlicher Geruch schlug mir entgegen: "Geh mir aus den Augen und komm am besten nie wieder!"
Ich sah ihn hasserfüllt an und drehte mich in Richtung Garten, konnte er so haben. An dem Pool vorbei lief ich direkt auf den Wald zu. Am Ende des Gartens stand ein kleiner Zaun, über den ich mit Leichtigkeit klettern konnte. Nach ein paar weiteren Schritten wurde ich von riesigen Tannen umhüllt, Äste krachten unter meinen Füßen und Tiergeräusche drangen an mein Ohr.
Ich achtete erst jetzt wieder auf meinen Arm und der pochte wie verrückt.
Zähne zusammenbeißen, Rose, du schaffst das.
Der Waldboden knirschte unter meinen Füßen und meine Schmerzen wurden immer heftiger, doch ich ignorierte sie, denn sonst wäre ich vermutlich umgekehrt und das wollte ich auf keinen Fall.
Ich lief noch ein Stück weiter und setzte mich dann auf einen umgefallenen Baumstamm, etwas abseits hinter ein paar Bäumen versteckt. Nellis Jacke zog ich aus und krempelte das Shirt hoch, den Verband löste ich vorsichtig. Einer meiner Blutergüsse hatte sich extrem vergrößert.
Ich ballte meine Hände zu Fäusten. Erst brachte er seine Frau zum Weinen und dann wurde er auch noch gewalttätig, ich hasste ihn, konnte man seinen Vater hassen? Strenggenommen war er es ja gar nicht.
Ich rollte den Ärmel wieder runter und zog die Jacke darüber. Er wird uns nicht nochmal so behandeln, dafür würde ich sorgen.
Ich stand auf und lief zurück zu unserem neuen Haus, zum Glück war ich nur geradeaus gelaufen, sodass ich den Weg nach ein paar Minuten wieder sicher bestimmen konnte.
Er hatte die Terrassentür geschlossen, während ich weggewesen war, anscheinend meinte er es ernst. Ich ging um das Haus herum und klingelte, erst einmal, dann zweimal, dreimal. Langsame zögerliche Schritte schlichen die Treppe herunter, es war meine Mutter.
Ihr Gesicht war gerötet und verweint, als sie die Tür öffnete: "Er ist gegangen, ich, ich weiß nicht wohin."
Ich nickte und schloss die Tür hinter mir. Am liebsten hätte ich sie in den Arm genommen, so allein und verletzt wie sie da vor mir stand, aber das ging ja nicht. Es tat verdammt weh, sie so leiden zu sehen und ihr nicht helfen zu können.
"Das wird wieder", flüsterte ich und rang mir ein Lächeln ab. Sie versuchte zu lachen, doch es gelang ihr nicht. Unbeholfen sah ich mich um und erblickte die Kartons in der Küche: "Soll ich die für dich einräumen, dann kannst du dich in Ruhe hinlegen."
"Das wäre lieb", sie stieg langsam die Wendeltreppe wieder hoch und ich begann das Besteck einzuräumen. Danach folgten noch Teller, Töpfe, Gläser, Schüsseln, Pfannen und etliche Küchengeräte. Außerdem packte ich noch Gewürze, Tee und ein bisschen zu essen aus. Ich beschloss, mir eine Aufbackpizza zu machen und schob sie in den Backofen. Nach circa 20 Minuten Fernsehen stand ich von der Couch auf und halbierte die Pizza.
Ich hörte gerade in diesem Moment die Schlüsselgeräusche an der Haustür, also beeilte ich mich und huschte gerade noch rechtzeitig mit den Tellern die Treppe hoch. Leise klopfte ich an die Tür des Schlafzimmers und meine Mutter öffnete zögernd.
"Willst du etwas essen?", flüsterte ich.
Schon seltsam, sonst war sie immer diejenige, die mir diese Frage stellte. Sie nickte und als sie hörte, dass ihr Mann zurück war, schloss sie sofort die Tür. Ich ging in mein Zimmer und schloss ebenfalls ab.
Es war seltsam sich in seinen eigenen vier Wänden fehl am Platz zu fühlen. Die Stimmung hatte schon Ähnlichkeit mit der Ruhe vor einem Sturm, doch alles blieb ruhig und ich begann meine halbe Pizza zu essen.
Doch plötzlich, wie aus dem Nichts, hörte ich schwere Schritte nach oben kommen, ich spannte mich automatisch an. Die Jacke schmiss ich von mir und krempelte auf der gesunden Seite den Ärmel hoch, ich wollte sichergehen, dass er den Kontakt auch genoss.
Es war wieder still, anscheinend war er stehen geblieben.
Erst begann er an die Tür meiner Mutter zu hämmern. Der hatte sie doch nicht mehr alle. Allerdings hörte er gleich wieder auf. Ich dachte, er hätte aufgegeben, doch jetzt begann er bei mir an die Tür zu klopfen.
Du schaffst das, Melrose. Monster.
Ich schlug mir gegen den Kopf, ja, ich war ein Monster, doch Leute hatten Angst vor Monstern, also würde ich ihm beibringen, mich zu fürchten.
Mittlerweile hatte er damit angefangen zu treten und da platzte mir der Kragen, ich schloss die Augen und riss dann die verdammte Tür auf. Mir stockte der Atem.

Nightmare-Ist Angst stärker als Liebe?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt