Teil 63

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"Ich kann dein Misstrauen verstehen, Rose, aber das hilft uns nicht gerade, wenn das so weitergeht." Er hatte ja recht, es stand mehr auf dem Spiel, als nur Luke. Ich musste meine Mutter finden. "Warum kann man im Internet der Nightmares nichts über Alisia herausfinden?", fragte ich und behielt ihn im Auge. Er betrachtete seine Finger und legte sich anscheinend eine Antwort zurecht:"Das war eine Anordnung von deiner Tante Mayra." Ein stechender Schmerz fuhr mir durch den Kopf und ich schloss die Augen:"Warum sollte sie das tun?" "Ich weiß es nicht, Melrose." Und da sah ich es, ein winziges Aufflackern in seinen Augen, das verriet, dass er log. "Sie lügen mich an." Jetzt richtete er den Blick auf mich:"Wenn ich dir sagen könnte, was ich weiß, würde ich es tun, aber es geht nicht." Dieses Mal konnte ich wieder nicht abschätzen, ob er die Wahrheit sagte, aber es schien nicht so, als würde er nochmal lügen. "Ich glaube, wir sind für heute fertig.", ich stand auf. "Melrose, bitte! Wir müssen das doch irgendwie klären können." "Dann erklären Sie es mir doch.", sagte ich im Türrahmen. Doktor Wilson schwieg. "Danke für die Sitzung, bis nächste Woche, Steve.", lächelnd verließ ich die Villa. Als ich durch den Vorgarten, der eigentlich als richtiger Garten durchging, zurücklief, drehte ich mich noch einmal um. An einem der Fenster wackelte ein Vorhang und dahinter verbarg sich ein Schatten. Ich schüttelte den Kopf, selbst Luke würde mich nicht davon abhalten meine Familie zu finden.

Ich war noch nicht lange von Zuhause fort, also lief ich weiter in Richtung Innenstadt. Es wurde schon dunkler und ich lief zügiger. Etwa 20 Minuten später erreichte ich eine kleine Bar mit einer ebenso kleinen Tanzfläche. Ich musste erst ein paar Treppenstufen hinuntersteigen und meine Augen mussten sich an das bunte Licht der vereinzelten Scheinwerfer gewöhnen. In der einen Ecke standen ein paar Stehtische, worum sich Leute in meinem Alter versammelt hatten, in der anderen endete die Tanzfläche und meine Füße trieben mich direkt an die runde Bar. Überall standen leere Gläser und es war ziemlich laut, der Junge, der hinter dem Tresen stand war gerade damit beschäftigt abzutrocknen, als er mich aus dem Augenwinkel sah. "Was willst du?", fragte er mit dem Rücken zu mir. "Habt ihr Cocktails?" "Klar, da drüben steht die Karte.", er nickte mit dem Kopf nach links und ich öffnete die Getränkeliste. "Ich nehme einen Caipirinha.", sagte ich, ohne die Karte runterzunehmen. "Gerne, Ausweis bitte." Ich ließ die Karte los und sah ihn erschrocken an, natürlich hatte ich keinen dabei. "War ein Witz.", jetzt drehte er sich zu mir um und lächelte. "Ach so.", sagte ich und hob die Liste auf, die heruntergefallen war. "Melrose, richtig?", fragte er, während er meinen Cocktail vorbereitete. Ich zog die Augenbrauen hoch:"Und du bist?" Er lachte:"Tut mir leid, ich bin Noel." Zum Glück schüttelte er gerade den Cocktail, um nicht auf die Idee zu kommen, mir die Hand reichen zu wollen. "Woher kennst du mich?", fragte ich, obwohl ich mir schon denken konnte, dass es nur die Schule sein konnte. "Du bist doch neu an unsere Schule gekommen, ich bin in deiner Parallelklasse, Luke hat mir schon von dir erzählt, wir spielen zusammen in einer Mannschaft." Das versetzte mir einen Stich, Luke hatte sogar seinen Freunden von mir erzählt und jetzt war alles vorbei. Ich setzte ein Lächeln auf und versuchte mir nichts anmerken zu lassen:"Schön dich kennenzulernen, Noel. Arbeitest du öfter hier?" Mein schlechter Versuch das Thema zu wechseln funktionierte tatsächlich, oder vielleicht hatte er auch einfach nur verstanden, dass ich nicht über Luke reden wollte.

"Nur am Wochenende, muss ein bisschen Geld nebenbei verdienen, sonst kann ich mir mein Auto nicht leisten.", er lachte und ich stimmte mit ein, obwohl ich es nicht zum lachen fand. "Hier.", er stellte ein Glas vor mir ab. "Danke." "Was treibt dich denn in so eine kleine unbedeutende Stadt?", es kam mir gerade so vor, als würde Noel kaum jemanden zum reden haben. "Wegen der Arbeit meiner Eltern."; ich trank einen Schluck und es schmeckte sogar relativ gut, obwohl ich nach wie vor kein Fan von Alkohol war. "Oh je, sowas ist ätzend. Musstest du viele Freunde zurücklassen?" Ich schüttelte den Kopf:"Wir ziehen öfter um, ist halb so wild." Erst jetzt sah ich mir Noel richtig an, er hatte hellblonde Locken und hellbraune Augen, die mich neugierig musterten. Er war groß, wahrscheinlich sogar größer als Luke. "Wo hast du denn schon überall gewohnt?" Ich hatte wirklich keine Lust weiterhin so ausgefragt zu werden und zum Glück kam genau in diesem Moment ein Mädchen an die Bar, das eine große Bestellung aufgab. Ich nutzte meine Chance und ergriff mein Glas:"Wir sehen uns bestimmt am Montag, Noel." Er antwortete noch irgendetwas, was aber in der lauten Musik unterging und ich stellte mich an einen der leeren Stehtische.

Nightmare-Ist Angst stärker als Liebe?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt