Teil 80

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"Wie bitte?", fragte Luke geschockt. "Du hast mich schon richtig verstanden." "Drei Tage?", seine Stimme versagte. "Du brauchst dir keine Sorgen machen, er wird von der Pflanze irgendwie versorgt und wird zu hundert Prozent überleben." "Wie? Was hat er denn genommen?", er klang total niedergeschlagen. "Anesthesia praesidium, das ist eine ganz normale Nebenwirkung der Einnahme.", ich verschwieg den Teil mit den Folgen, weil ich mich einfach nicht überwinden konnte, ihm die Wahrheit zu sagen und wir hatten ja auch gar keine Ahnung, wie viel er geschluckt hatte. "Wo hast du denn den Eintrag gefunden? Ich bin so viele Seiten durchgegangen, aber nirgends war ein Wort von sowas." "Luke, das würdest du mir jetzt wieder nicht glauben." "Ach wahrscheinlich irgendein Nightmare Kram, richtig?", er klang gereizt, was mich wütend machte, immerhin war es sein Vater und nicht meiner, denn meiner ist schon längst tot. Ich hätte ihm überhaupt nicht helfen müssen, dann wäre er es nämlich jetzt ebenso unter der Erde:"Ja, das hat etwas mit Nightmares zu tun und wenn du damit nicht klarkommst, bitte, geh. Du bist auf meine Hilfe angewiesen, ich nicht auf deine."

Er schnaubte verächtlich:"Warum sollte ich deine Hilfe benötigen?" Jetzt konnte ich mich nicht mehr halten und schrie nur so ins Telefon:"Verdammte Scheiße Luke, ich habe deinem Vater gerade das Leben gerettet und dir geholfen, die Kräuter zu identifizieren! Wahrscheinlich wird eure Familie von irgendjemandem bedroht und ich habe keine Ahnung warum, aber ich werde es rausfinden, doch wenn dich das alles kalt lässt und du mich lieber weggeschickst, weil du nicht einsiehst, dass ich kein Mensch bin, bitte, tu dir keinen Zwang an!" Es entstand eine lange Pause, in der ich wieder herunterkam und auf seine Antwort wartete:"Meine Familie wird bedroht? Was, woher, warum?" "Ich weiß es nicht, hörst du mir überhaupt zu?" "Danke." "Was?" "Du hast meinen Vater gerettet, ohne dich wäre er jetzt vielleicht-", seine Stimme versagte und ich hörte, dass er irgendwo platznahm. "Nicht mehr da.", beendete ich seinen Satz für ihn.

"Ja.", hauchte er. "Ähm gut, wie gesagt, du brauchst dir keine Sorgen machen, wenn er in den nächsten Stunden nicht aufwacht." "Melrose?" "Was?", fragte ich. Er atmete tief ein:"Du meinst das wirklich alles ernst mit diesem übernatürlichen Zeug, oder?" "Ja.", sagte ich fest. "Dann versuche ich es auch ernst zu nehmen. Ich kann es mir zwar nicht vorstellen, aber es gibt keine Erklärung für das alles, zumindest bis jetzt noch nicht." "Es wird sich alles irgendwann auflösen.", murmelte ich und meinte damit nicht nur den Vorfall mit Steve. "Was hast du jetzt vor?", er klang ein wenig hilflos. "Ich werde morgen jemanden besuchen und ich hoffe auf Antworten. Das Einzige, das du machen kannst, ist bei deinem Vater zu bleiben und zu hoffen, dass er Antworten hat, wenn er aufwacht." Erneut war es komplett still, bis er seine Stimme wiedergefunden hatte:"Du besuchst jemanden?" "Ja, meine Tante." "Deine Tante?", wiederholte er. "Ich wusste bis vor Kurzem nicht mal, dass ich eine Familie habe, aber es hat sich im Moment so viel verändert, Luke. Ich weiß nicht mal, ob meine Eltern wirklich tot sind, da steckt so viel mehr dahinter, als ein Autounfall."

"Deine Eltern leben?", er klang wirklich berührt. "Ich naja, mein Vater nicht, aber meine Mutter vielleicht.", dieses Vielleicht verdrehte mir den Magen. "Oh, das tut mir leid." "Es ist okay, du hast doch keine Schuld." "Wo wohnt deine Tante? Ich könnte dich begleiten und-" "Nein", platzte es aus mir heraus, "das geht nicht." "Warum?" "Sie ist ein Nightmare, Luke." "Toll, du bist ja anscheinend auch einer und ich rede mit dir." "Es sind nicht alle so wie ich." "Glaub mir, das weiß ich.", er wirkte sehr überzeugt. "Es könnte sogar für mich gefährlich sein, Luke. Ich kann dort nur alleine hin." "Gefährlich?", er betonte das Wort so, als hätte er es nicht richtig verstanden. "Ja, ich dringe auf ihr Gelände ein und eigentlich bin ich für tot erklärt.", erwiderte ich. "Für tot erklärt?", platzte es aus ihm heraus.

"Luke, ich komme genauso wenig damit klar wie du und ich verstehe auch fast nichts davon, aber ich weiß, dass ich meine Mutter finden muss, ich muss es einfach." Wieder herrschte Stille in der Leitung und dann räusperte er sich:"Das ist selbstverständlich, natürlich musst du deine Mutter finden, aber mir gefällt die Idee nicht, dass du allein zu fremden Menschen gehst." "Nightmares.", verbesserte ich. "Noch schlimmer." Ich holte tief Luft, um ihm eine Standpauke zu halten, doch blies die Luft dann bloß wieder aus:"Was auch immer passieren wird, ich gehe allein. Das ist eine Sache in der Familie Morgen und das wird es auch bleiben." "Melrose, verdammt! Hörst du dir überhaupt zu, weißt du wie das alles klingt?" "Ich weiß, dass du mir nicht glaubst und-" "Das meine ich doch gar nicht!", unterbrach er mich. "Was denn sonst?", fragte ich bissig. Jetzt sprach er wesentlich ruhiger weiter:"Ich meine damit, weißt du, dass du immer alles allein machen willst? Du willst immer alles bewältigen, ohne jegliche Unterstützung, Melrose. Du bist so verdammt stur und weißt du überhaupt, dass es Menschen, oder Nightmares, wie auch immer, gibt, denen etwas an dir liegt, die sich Sorgen um dich machen?"

Ich war sprachlos, er hatte es geschafft, dass ich kein Wort mehr hervorbrachte und irgendwie überrannten mich meine Gefühle und Tränen stiegen auf. Mir war nicht klar, warum ich weinte, ich wusste nur, dass ich heulte, bis sogar Luke es mitbekam:"Rose? Was ist denn los?" "Keine Ahnung, das ist alles so viel auf einmal." "Ich habe das doch gar nicht böse gemeint, eher im Gegenteil. Ich wollte dir die Augen öffnen." Ich schluchtzte und antwortete erst, als ich mich beruhigt hatte:"Wenn du wie ein Außenseiter aufwächst, das nicht unter deines Gleichen und immer mit dem Ruf, ein Freak mit Berührungsängsten zu sein in Verbindung gebracht wirst, dann würdest du das verstehen. Dann könntest du mein Verhalten nachvollziehen; wenn du mir glauben würdest, dann wäre das hier alles viel leichter." Ich drückte auf den roten Hörer und legte auf. Auf einmal war es komplett still und ich konnte meine Gefühle nicht mehr ordnen, alles war durcheinander, ich war durcheinander. Lukes Nummer erschien wieder auf meinem Display, doch ich drückte ihn weg. Ich hatte jetzt andere Leute zu erreichen.

Nightmare-Ist Angst stärker als Liebe?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt