Teil 118

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Die Nacht war angebrochen, doch in meinem Kopf war es heller als bei Flutlicht. Ich starrte an die Decke und durch sie hindurch. Alles, was ich sah, waren braune Haare, blaue Augen wie das tobende Meer und ein markantes Gesicht.
Jemand drückte mein Herz zusammen, wie man Papier zusammenknüllte, wenn man es nicht mehr brauchte. Allerdings schlug es einfach weiter und ich fragte mich, warum es das überhaupt noch tat. Merkte es etwa nicht, dass alles vorbei war, dass es so oder so bald nicht mehr funktionieren würde? Mitternacht. Ich sah dem großen Zeiger zu und wartete darauf, eine Veränderung zu sehen, doch er schlich so langsam vorwärts, dass ich wieder nach draußen blickte. Die Äste der Bäume tanzten im Wind, Tropfen fielen vom Himmel und ich stellte mich auf meinen Balkon. Es war kalt, es musste kalt sein, zumindest waren es gar keine Regentropfen, sondern Schneeflocken, die vom Himmel segelten, wie die letzten Blätter, die sich zu dem Laub auf dem Boden noch nicht gesellt hatten.
Ich spürte die Kälte nicht, ich fühlte einfach nichts außer diesem erdrückenden Gefühl, das versuchte, mich zu ersticken.

Zuerst hatte ich das Reh in der Dunkelheit gar nicht erkannt, doch jetzt, da ich es einmal bemerkt hatte, konnte ich nicht mehr wegsehen. Konnte man auch Tiere beeinflussen? Ich versuchte, es dazu zu zwingen, mich anzusehen und es hob den Kopf. "Du suchst etwas zum Essen.", flüsterte ich und es legte den Kopf schief. "Du bist hier nicht sicher.", ich erinnerte mich daran, dass Jake gesagt hatte, sie gingen ab und zu auf die Jagd, nur deswegen war es den Rehen erlaubt, hinter das Kraftfeld zu treten. "Das ist unfair.", ich presste die Lippen aufeinander, "Geh und komm nie wieder auch nur in die Nähe des Kraftfelds." Kaum hatte ich die Worte ausgesprochen, rannte es schon los und sah sich nicht mehr um.
Ich sollte das Reh sein, ich sollte dasselbe machen, solange es noch möglich war. Aber ich konnte Luke nicht allein hier lassen, ich würde ihn ausliefern. Egal, ob er wusste, dass er mich kannte, egal ob er wusste, zu was wir Nightmares fähig waren, er hatte genug Leid ertragen wegen mir. Ihn hier herauszuholen schuldete ich ihm, das war das Mindeste.
Ich verließ den Balkon und ging auf meine Zimmertür zu, doch sie ging nicht auf. Jemand hatte abgeschlossen. Mayra. Ich hätte weinen können, ich rutschte an der Wand hinunter und starrte auf meine nutzlosen Hände. Vorhin hatte ich schon so viele Tränen vergossen, jetzt waren keine mehr übrig, jetzt war da nur noch Leere, ein unglaublich großes, aufklaffendes Loch. Und es wurde größer, fraß alles um sich herum auf.

Ich weinte, ohne dass Tränen flossen, ich schrie, ohne ein Geräusch von mir zu geben und ich atmete, ohne anwesend zu sein. Durch mein Rütteln an der Tür ging sie auch nicht auf und dann war es wieder ewig stumm. Nach einer Weile versuchte ich es nochmal, als hätte sich etwas geändert. Warum tat ich das? Meine Hände lagen in meinem Schoß vor mir, nicht mehr zusammengekettet. Ich sah auf, ich war gar nicht die Person, die versuchte, die Tür aufzubekommen. Das Schloss klackte und gab den Weg frei. Die Angst ließ das Blut in meinen Adern gefrieren, jetzt war es zu spät. Nirgends waren Zeugen, ich würde jetzt sterben.
Doch es war nicht Daniel Brand oder Mayra, sondern Jake, der sich einen Finger auf den Mund gelegt hatte. Mit großen Augen blickte ich zu ihm auf und dann zog er eine zweite Person in mein Gemach und schloss leise die Tür. Es war Luke, Jake hatte Luke zu mir gebracht.
"Es tut mir so unglaublich leid.", im Dunklen konnte ich Jakes Umrisse kaum erkennen, aber Lukes sah ich dafür deutlich vor mir, er sah mich verwirrt an und einmal mehr war ich mit der ganzen Situation überfordert.
"Hätte ich gewusst, dass auch nur ein Funken, von dem, was du sagst, wahr ist, wäre das alles anders gekommen. Ich war so ein Idiot, es tut mir leid.", Jakes Worte zogen mich aus meinem Bann. "Was?" "Du hast recht, was Mayra betrifft. Zumindest damit, dass sie dich aus dem Weg räumen will. Ich habe sie vorhin zufällig gehört und dann an der Tür gelauscht. Sie hat mit Daniel Brand gesprochen und es klang nach alles anderem, als einem Witz. Sie haben irgendetwas davon geredet, dass es wie Selbstmord aussehen wird." Ungläubig blinzelte ich, träumte ich? Ich bohrte mir meine Fingernägel in den Unterarm, doch das Bild änderte sich nicht. Kurz lachte ich auf:"Du glaubst mir!"

Nightmare-Ist Angst stärker als Liebe?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt