Teil 16

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Ich starrte ihn an. Ich glaube, mir war der Schreck ins Gesicht geschrieben. Nein, Luke war kein Nightmare, er war auf keinen Fall so ein Monster wie ich.
"Du bist nicht zufällig der Sohn von Steve, oder?", der Lehrer lächelte.
"Doch, meinem Vater gehört die Heilpraxis", sagte er, sah dann zu mir und runzelte die Stirn.
"Was für ein Zufall, ich habe früher mal mit ihm Tennis gespielt. Wie geht es ihm denn?"
"Eigentlich ganz gut, kann ich einen Gruß ausrichten?", Luke setzte wieder sein breites Grinsen auf, mit dem er wahrscheinlich die Tatsache, dass er zu spät gekommen war, kaschieren wollte.
"Sag ihm, Luis Tahn würde sich darüber freuen, wieder einmal von ihm zu hören", Herr Tahn schaute sich nach dieser Aussage kurz peinlich berührt um, als wäre ihm erst jetzt wieder eingefallen, dass er doch gerade unterrichtete und so etwas vielleicht nicht so offen vor einer Klasse hätte sagen sollen. "Und jetzt setz dich doch bitte."
Meine Gedanken spielten in der Zwischenzeit verrückt und meinten, eine wilde Party feiern zu müssen. Das konnte nicht wahr sein, das hatte ich mir doch nur eingebildet.
Dieser Fakt wird den Plan verändern, ich werde wohl doch etwas länger auf diese Schule gehen, immerhin war es meine Chance, ein normales Leben zu führen. Allerdings musste ich erstmal herauszufinden, ob Lukes Vater auch der richtige Steve Wilson war. Als hätte ich meine Gedanken laut ausgesprochen, sah er mich seltsam an, aber ging dennoch an mir vorbei und ich musterte ihn genauso komisch.
Ich musste Nelli Bescheid geben, und zwar sofort. Mein Finger ging nach oben, und als der Lehrer mich aufrief, spürte ich alle Augenpaare auf mir: "Mir ist schlecht, kann ich kurz an die frische Luft?"
"Selbstverständlich, aber nicht alleine. Wer geht mit?" Wendy meldete sich. Herr Tahn verschränkte die Arme: "Ihr kennt doch die Regel, zur Toilette zwei Mädchen, nach draußen muss ein Junge dabei sein." Was war denn das für eine bescheuerte Regel? Anscheinend hatte die Schule schon Fälle mit sexueller Belästigung gehabt, sonst würde mir kein Grund einfallen, eine solche Anweisung zu geben. "Keiner?", er sah sich um und das machte es nur noch schlimmer. Dann ging Lukes Hand zögerlich nach oben. "Na endlich, Herr Wilson", er zeigte zum Ausgang. Ich stand wie gelähmt auf und ging zur Tür, Luke folgte mir ebenso langsam.

"Du kannst ruhig hier warten", meinte ich, als wir uns ein wenig von dem Klassenzimmer entfernt hatten.
"Das wäre gegen die Regeln", er blieb dicht hinter mir.
"Seit wann interessierst du dich für Regeln?"
"Seit es um dich geht, und außerdem bekomme ich Ärger, falls dir etwas passiert." Ich lief weiter, das hatte er nicht gesagt. Das Ganze war so lächerlich, als ob ich Schutz brauchen würde.
"Ich kann, wie gesagt, gut auf mich selbst aufpassen", giftete ich ihm entgegen.
"So?", er deutete auf meinen Gips.
"Ja, genau so", ich sah ihn böse an und drehte mich dann wieder um.
"Ich bleibe trotzdem, für den Fall der Fälle", sagte er.
"Wäre ja sonst gegen die Regeln", ich verdrehte die Augen.
"Genau."
Ich stemmte die Tür auf und ging dann nach draußen: "Ich muss telefonieren, kannst du hier warten?"
"Ich dachte, dir wäre schlecht", er sah mich vorwurfsvoll an, doch er wusste von Anfang an, dass es eine Lüge gewesen war.
"Ja oder nein?", ich verlieh meiner Stimme Nachdruck.
"Nein." Ich schnaubte, wählte aber dennoch Nellis Nummer.
"Na, Süße", begrüßte sie mich
"Das mit heute wird nichts." Luke sah mich mit gerunzelter Stirn an.
"Wie meinst du das?", fragte Nelli.
"Ich meine, dass das heute nicht geht", sagte ich mit Druck.
"Melrose, was redest du da, es ist alles geplant."
"Ich weiß, ich erkläre dir alles später."
"Was? Nein, warum zögerst du?"
"Ich schreibe dir."
"Nein! Leg jetzt ja nicht auf, Fräulein!", brüllte sie ins Handy, sodass es auch Luke hören konnte.
"Tut mir leid", ich verzog das Gesicht und betätigte den roten Hörer. Gleich darauf rief sie wieder an, doch ich schaltete mein Handy aus.
"Was war denn das?", Luke sah mich besorgt an.
"Ich hatte mich heute mit ihr verabredet", ich lächelte schief.
"Und dir ist einfach mal so eingefallen, dass du heute nicht kannst?", er verschränkte die Arme.
"Ähm, ja."
"Und warum ist sie dann so ausgerastet?", Luke musterte mich kritisch.
"Sie ist halt so."
"Dieser Anruf konnte also nicht bis nach der Schule warten?"
"Wir wollten uns gleich hier treffen."
"Du kannst echt nicht gut lügen, Rose." So wie er meinen Namen betonte, klang das irgendwie abwertend.
"Wie bitte?" Er schüttelte nur den Kopf und ging zurück zum Schulgebäude. "Dich geht das eigentlich doch gar nichts an", murmelte ich.
"Ach, behandelst du etwa jeden so, der sich mit dir anfreunden möchte?" Er blieb vor der Eingangstür stehen. "Bitte", er deutete mir mit einer Handbewegung, dass ich die Tür aufmachen sollte. Ich schluckte eine blöde Bemerkung herunter und drückte mit meinem gesunden Arm die Klinke nach unten. So stemmte ich die schwere Stahltür trotz Anstrengung auf. "Türen kann sie also öffnen, na dann, da kommst du ja bestens allein zurecht."
"Kannst du vielleicht mal damit aufhören, die ganze Zeit auf mir herumzuhacken?"
"Mache ich doch gar nicht."
"Du sagst, ich sei zu schwach oder wahrscheinlich denkst du, ich bin zu dumm, um zurechtzukommen. Dann unterstellst du mir, dass ich dich anlüge-"
"Was du ja auch tust", fügte er hinzu. Ich schloss kurz die Augen, ruhig bleiben. "Wer ist für deinen gebrochenen Arm verantwortlich?"
"Habe ich dir schon gesagt."
"Du bist der Frage eher mit einer kleinen Notlüge ausgewichen."
"Dann ist sie wohl nicht so wichtig."
"Du bist echt unmöglich!", er rieb sich über die Stirn. Ich wollte etwas erwidern, doch da hatte er die Tür zum Klassenzimmer schon geöffnet. Alle starrten uns an, aber das war mir egal, ich betrachtete für den Rest der Stunde die Decke. Ich war unmöglich? Eher er.
Es klingelte und ich ging den anderen hinterher, da ich nicht wusste, wo ich jetzt hingehen sollte.
"Alles in Ordnung?", Wendy schloss zu mir auf.
"Klar, alles gut."
"Was ist das zwischen euch?"
"Was?", fragte ich ein wenig gereizt.
"Na das zwischen dir und Luke, seid ihr zusammen?"
Ich lachte laut los: "Nein, nein und nochmal nein."
Die nächsten Stunden vergingen sehr langsam, aber es war noch auszuhalten. Als ich dann endlich die Treppen zum Ausgang nahm, wurde mir ein wenig mulmig zumute. Was war, wenn Nelli jetzt doch dastand?
Ich sah an der Straße hin und her, nirgends war ein auffälliges Auto zu sehen, und es parkte auch keines direkt vor meiner Nase. Ich atmete tief durch und zog meine Jacke etwas fester zu, da es kälter war als erwartet. Meine Hände verschwanden in meinen Jackentaschen und ich lief in Richtung Bushaltestelle.
"Rose!", bei meinem Namen zuckte ich zusammen, dennoch drehte ich mich um.

Nightmare-Ist Angst stärker als Liebe?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt