Teil 45

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"Was geht dir durch den Kopf?", fragte Doktor Wilson. "Sprechen Sie mit mir nicht so, wie mit einem Patient!", schrie ich. Ich war viel zu aufgebracht, um auf seine dummen Fragen zu antworten. "Ganz ruhig, Melrose. Ich weiß, dass ist sehr viel auf einmal." "Was hat das alles mit der Tanne zu tun?", ich schluckte und griff an das kalte Silber. "Die Morgentanne ist die Quelle der Macht der Familie Morgen, also auch deine. Es wird überliefert, dass der erste Nightmare seine Kräfte auf diesen einen bestimmten Baum übertragen hat, bevor er starb und somit wurde durch seine Nachfahren unsere Spezies geboren." "Und ich bin eine Nachfahrin." Ich hatte den Satz nicht als Frage formuliert, dennoch antwortete er:"Ja." Mit meinem Pulli wischte ich die Tränen beiseite und versuchte mich wieder zu sammeln:"Ich muss meine Mutter finden." Steve schüttelte leicht den Kopf:"Sie kann nicht gefunden werden, wenn sie es nicht will. Es wurden schon etliche Suchtruppen geschickt, aber alle Aktionen waren erfolglos."

Ich begann zu zittern und starrte auf den Tisch, unschlüssig, ob ich meinen Gedanken aussprechen sollte:"Haben sie auch gründlich gesucht?" "Ja, Melrose. Es tut mir leid." "Woher wollen Sie dann wissen, dass sie noch lebt?", ich musste schon wieder gegen die Tränen ankämpfen. Steve riss die Augen auf:"Sie ist nicht tot, sonst hätte die Morgentanne eine weitere Einkerbung." "Eine Einkerbung?" "Ja, jedes Mal, wenn ein gebürtiges Mitglied der Morgens stirbt, erscheint eine weitere Linie auf dem Baustamm der Tanne." Das beruhigte mich, zumindest ein wenig, dann dachte ich nach, bis mir etwas einfiel:"Aber wenn ich für tot erklärt bin, müsste dann nicht auch eine Einkerbung erschienen sein? Ich meine, ich fühle mich noch ziemlich lebendig." "Ich weiß es nicht. Nach dem Tod deines Vaters und dem Verschwinden herrschte ein so großes Chaos, dass das wahrscheinlich nie nachgeprüft wurde." Ich nickte und unterdrückte den Kloß in meinem Hals:"Ich muss es sofort wissen, wenn sie gefunden wird." Er sah verlegen zu seinem Bücherregal:"Daran glaube ich nicht mehr."

"Wieso?", ich schluckte. "Sie haben drei Jahre nach deiner Mutter gesucht, ohne auch nur eine einzelne Spur zu finden, wo sie sich befinden könnte." Ich zog die Augenbrauen zusammen:"Sie haben also einfach aufgehört zu suchen?" "Es hätte nichts gebracht, wir hatten keinen einzigen Anhaltspunkt." "Vielleicht hätten sie einen gefunden.", schrie ich. "Rose, du musst wissen, dass deine Mutter alle Spuren verwischt hat. Sie kann Menschen und Nightmares kontollieren, wenn sie sie berührte, und ihnen ihre Aufgabe mitgeteilt hatte." Ich schüttelte den Kopf:"Sie muss doch irgendwo wieder aufgetaucht sein." Steve schüttelte den Kopf:"Ich bedauere das, aber nein, sie wurde nicht mehr gesehen." Wie vor den Kopf gestoßen saß ich da, ich kam mir so unendlich hilflos vor. Dann keimte sich eine Hoffnung auf:"Ihre Schwester, meine Tante, sie muss doch wissen, wo sie ist." "Nein, Melrose. Keiner weiß es." Ich wusste, wie verzweifelt ich jetzt klang:"Wo ist Mayra? Ich muss unbedingt mit ihr sprechen." "Das wird nicht leicht", sagte er, "immerhin denkt sie, du seist tot." "Dann werde ich ihr das Gegenteil beweisen.", mein Entschluss stand fest. "Wir können nicht einfach anrufen und unseren Besuch ankündigen." "Wo befindet sie sich?" "Im Schloss deiner Familie, umgeben von einem riesigen Wald, für Menschen und gewöhnliche Nightmares nicht zugänglich, ohne gezielte Einladung." Ich lächelte ihn an und er runzelte die Stirn, doch dann verstand er:"Du denkst, weil du zur Familie gehörst, kannst du einfach so in das Gebiet eintreten?"

Ich zuckte mit den Schultern:"Ein gewöhnlicher Nightmare bin ich ja nach ihren Aussagen nicht." Er nickte:"Das könnte durchaus funktionieren." Ich spürte wie die Anspannung ein wenig aus meinem Körper wich:"Also, wo muss ich hin?" Steve sah mich ernst an:"Du müsstest das allein bewältigen, das ist dir klar, oder?" Bei diesem Gedanken wurde mir mulmig zumute, dennoch nickte ich:"Ich bin ja kein Eindringling." "Vielleicht werden sie dich aber wie einen behandeln." Ich schüttelte den Kopf:"Warum sollten sie das tun?" "Eine unbekannte Person auf ihrem Herrschaftsgelände, Rose. Vielleicht würden sie dich angreifen, bevor sie festgestellt haben, dass du eine von ihnen bist." Ich schluckte:"Angreifen?" Doktor Wilson wurde auf einmal sehr ernst:"Dich kontrollieren und dann würdest du schneller aus dem Wald fliegen, als dass du mit der Wimper zucken könntest." "Aber ich habe doch auch Kräfte, oder?", meine Stimme klang viel zu hoch für mich."Natürlich hast du die, aber wie sollst du sie einsetzen, wenn du sie nicht mal kennst, du könntest doch gar nicht damit umgehen." "Woher wollen Sie das wissen?", antwortete ich schnippisch, obwohl ich wusste, dass er recht hatte.

"Man hat nicht einfach so die Kontrolle über sich, wie du vielleicht selbst gut genug weißt, und schon gar nicht einfach über andere." Ich schluckte:"Und wie soll ich denn meine Kräfte benutzen, ohne sie zu kennen?" "Das ist der Punkt. Ich kann dir dabei nicht helfen, Melrose. Ich kann dich lediglich unterstützen, aber letztendlich musst du selbst mit deinen Kräften klarkommen."

Nightmare-Ist Angst stärker als Liebe?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt