Teil 6

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Nach einer weiteren halben Stunde waren wir beide fertig und sahen aus als wären wir nur zum Flirten unterwegs, was ja auch einigermaßen stimmte. Um halb neun verließen wir ihr Zimmer.
"Nadine, Luna!", rief Nelli. Luna saß bereits im Gemeinschaftsraum und betrachtete mich, jedoch ohne die Miene zu verziehen.
"Welch eine Überraschung", meinte sie sarkastisch lächelnd und es schien gerade so, als wäre ich das einzige lebendige Etwas, das man in diesem Raum ansehen konnte.
"Kommt Nadine noch?", fragte Nelli, die die Launen ihrer Mitbewohnerin anscheinend schon kannte und erst gar nicht auf deren Tonlage einging. Luna zuckte nur mit den Schultern.
"Ich gehe mal nach ihr schauen", sagte sie.
"Nicht nötig!", ein braunhaariges Mädchen mit Sommersprossen tauchte auf. "Melrose! Dich habe ich ja ewig nicht mehr gesehen!", Nadine kam zu mir und streckte mir die Hand entgegen, ich klatschte ein.
"Na dann sind wir für heute vollzählig, da der Rest nicht mit will", erklärte Nelli.
"Ich fahre", meinte Luna.
"Dann los!", rief Nadine und drängte uns lachend vorwärts. Wir liefen durch den Gang mit den Zimmern, bis wir zu einer Treppe kamen, die nach unten in eine Tiefgarage führte. Sie steuerten direkt auf einen schwarzen matten Porsche zu. Ich war ein wenig beeindruckt, doch ließ mir nichts anmerken. Luna und Nelli stiegen vorne ein, ich und Nadine hinten.
"Wo fahren wir jetzt eigentlich genau hin?", fragte ich und knetete unruhig meine Finger.
"Zu den angesagten Klubs natürlich", jubelte Nelli und klatschte in die Hände.

Ich wusste gar nicht, dass die angesagten Klubs zehn Minuten entfernt waren und einer davon Gartenparty hieß. Luna parkte den Porsche in einer Seitenstraße und schloss ab, nachdem wir alle ausgestiegen waren. Ich kam mir total dämlich vor mit all der Schminke, den Klamotten und den hochhackigen Schuhen, aber wir sahen alle so aus, also sollte ich mich wahrscheinlich einfach daran gewöhnen.
Das Gebäude, auf das wir zusteuerten, kannte ich nicht, was aber auch kein Wunder war. Der Bodyguard am Eingang grüßte Luna und nickte mit dem Kopf in meine Richtung, was so viel heißen sollte wie: Wer ist die Kleine?
"Melrose", murmelte Nadine und dann waren wir auch schon drinnen. Er wollte lediglich meinen Namen wissen, seltsam. Als ich die Frauen auf der Tanzfläche erblickte, fühlte ich mich nicht mehr dämlich. Ich war Nelli eher dankbar, dass sie mich nicht im T-shirt hatte gehen lassen.
Kurze Röcke, Ausschnitt bis zum Bauchnabel und alle sahen aus, als wären sie in einen Topf voller Schminke gefallen. Die Musik war dröhnend laut und die einzigen Lichter waren die Reflektionen der Diskokugel.
Nadine und Luna redeten gerade mit einer Absperrfrau, zumindest war ihr Kleid gelb schwarz.
"Komm wir holen uns etwas zu trinken!", brüllte Nelli mir zu.
Während wir zur Mitte an die Bar liefen, achtete ich darauf, niemanden zu berühren. Nelli tat das nicht, sie streifte einen Mann kurz, der sofort aufschrie, aber keiner hörte oder beachtete ihn. Sie bestellte zwei Cocktails, was mir nicht gefiel. Ich und Alkohol war so eine Sache, eigentlich vertrug ich rein gar nichts.
Nachdem ich die Brühe gereicht bekommen hatte, nahm ich einen kleinen Schluck, schmeckte sogar ganz okay. Nelli leerte ihr Glas auf ex. "Ich gehe tanzen", schrie sie lachend, und als ich keine Anstalten machte mitzukommen, ging sie alleine.
Ich setzte mich an die Theke und umklammerte mein Glas. Nelli wurde durch Alkohol immer lustig, ich dagegen nicht. Im betrunkenen Zustand konnte man praktisch alles mit mir machen, aber ich brauchte mich da sowieso nicht zu sorgen, mich berührte keiner länger als nötig.
Ich nahm einen großen Schluck und beobachtete die Leute. Typen, die Mädchen in knapper Kleidung anmachten, Mädchen, die an andere herantanzten und in einer Ecke kotzte jemand. Ich wandte den Blick schnell wieder ab.
"Ist der gut?", ein Junge, vielleicht zwei Jahre älter, setzte sich neben mich.
"Was?", ich war überrumpelt.
"Der Cocktail. Welcher ist das? Caipirinha?"
Ich nickte: "Ist gut." Und wie um es zu bestätigen leerte ich mein Glas und schon ein paar Sekunden später stand ein neues volles Glas vor mir. "Danke", brachte ich hervor und sah ihn absichtlich nicht an, ich hatte keine Lust zu sprechen.
"Du bist wohl nicht oft hier", meinte er lachend.
"Du etwa?"
"Ich bin Luke", er reichte mir die Hand und ich nahm sofort meinen Cocktail. Ich trank und tat so, als hätte ich es nicht bemerkt. Er nahm sie zum Glück wieder herunter. Das Zeug schmeckte eigentlich gar nicht so schlecht. "Und du?", er sah mich an.
Der Alkohol begann zu wirken oder lag es an mir: "Was ich?"
"Dein Name."
"Ach so, Rose, Melrose", ich spürte, dass sich meine Wangen röteten.
"Schöner Name", er nippte an seinem eigenen Cocktail.
"Danke", peinlich berührt rührte ich mit meinem Strohhalm in dem Getränk herum.
"Mag deine Mutter Rosen?", er lachte und trank noch einen Schluck.
"Keine Ahnung", ich zwang mich dazu, ruhig zu atmen.
"Bist du alleine hier?" Warum löcherte er mich so?
"Nein."
"Mit deinem Freund?"
"Freundinnen", gab ich zurück.
"Wo sind die?"
"Tanzen." Ich trank das Glas leer, es schmeckte immer besser, also bestellte ich gleich noch eins.
"Willst du nicht tanzen?", er fuhr sich durch die Haare, das konnte ich aus dem Augenwinkel erkennen.
Ich schüttelte den Kopf: "Nein."
"Bist du hergekommen, um zu trinken?", sein Finger deutete auf meinen dritten Caipirinha.
Gute Frage, war ich das? In einem Heim konnte man sicherlich nichts trinken, und wenn man dort bald für immer festsitzen würde, wie ich, konnte man sich sicher mal die Kante geben.
"Kann sein", ich exte das dritte Glas.
"Komm, das hast du gar nicht nötig", er streckte die Hand nach mir aus und ich sprang auf, wobei ich mit einem anderen Mädchen zusammenstieß. Es fühlte sich gut an, ich spürte ihre Ängste, alles, was sie zu verbergen versuchte, strömte auf mich ein, jede Person, jeder Gegenstand, vor dem sie sich fürchtete.
Ich sollte loslassen, doch der Nebel in meinem Kopf wurde dichter. Meine Finger umgriffen ihr Handgelenk.

Nightmare-Ist Angst stärker als Liebe?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt