Teil 76

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"Ich hole mal mein Handy, damit Sie anrufen können.", stammelte ich und er nickte stumm. Ich sprintete förmlich hoch in mein Zimmer, um Abstand zu gewinnen. Wo zur Hölle war es jetzt schon wieder? "Ist dein Handy weiß?", rief Herr Schwarz herauf. Ich schlug mir gegen die Stirn, natürlich war es unten:"Ja." "Dann liegt es auf dem Esstisch." Ich kam die Treppe wieder nach unten gelaufen:"Tut mir leid." "Ist doch nicht schlimm.", er sah mich für meinen Geschmack viel zu lange an und ich räusperte mich dann. "Ich kann Ihnen die Nummer gerne heraussuchen." Er schüttelte den Kopf:"Nicht nötig, ich kenne die mittlerweile auswendig. Diese Kiste bleibt öfter liegen." "Oh!", war das Einzige, was ich herausbrachte. Er schenkte mir noch ein warmherziges Lächeln und wählte dann die Nummer und begann zu telefonieren.

Ich starrte auf den Tisch und hoffte einfach nur inständig, dass es nicht zu lange dauern würde. Seine Stimme hallte durch die Küche:"Ja, danke und wie lange dauert das noch?" Ich wippte unruhig mit dem Fuß und fragte mich, wie ich mich schon wieder in eine solche Situation gebracht hatte. Ich wollte nicht, aber mein Blick fiel wieder auf ihn, wie er im Anzug hin und her lief. Er konnte nicht viel älter als 30 sein, alles andere schien unmöglich. "Sie schicken einen Wagen, der sollte so in einer viertel Stunde ankommen. Vielen Dank für deine Hilfe, Melrose.", er hielt mir mein Handy entgegen und ich starrte zu lange auf seine Hand. Ich versuchte mein Telefon zu nehmen, ohne ihn zu berühren, doch es ging nicht. Was sollte ich jetzt tun? "Alles okay?", fragte er mich und runzelte die Stirn. Ich nickte, reiß dich zusammen Melrose, du bist eine Morgen, du kannst dich kontrollieren, du musst es nur wollen.

Meine Schultern straffte ich und griff dann ganz schnell nach dem Handy und dann hatte ich es in der Hand. Ich musste mein Grinsen unterdrücken, meine Haut hatte seine kurz gestreift und ich hatte nichts verspürt, kein Verlangen, keine Vision, nichts. Herr Schwarz sah mich immer noch kritisch an, aber lächelte dann selbstsicher:"Ich heiße übrigens Darius." Das war ein Angebot, ihn zu duzen, oder? "Melrose Morgen.", sagte ich und wurde dann automatisch rot, konnte ich nicht einmal nachdenken? Darius lachte auf:"Das weiß ich bereits." "Tut mir leid, ich bin nur neben der Spur weil Sie-", ich verstummte, was sollte ich sagen, weil sie so heiß sind? "Du kannst mich ruhig duzen, solange wir nicht in der Schule sind.", seine zu perfekten Zähne blitzten wieder auf.

"Okay.", war das Einzige, was ich herausbrachte. "Ist es in Ordnung für dich, wenn ich hier warte, oder soll ich nach draußen gehen?", fragte er. Ich konnte ihn ja jetzt schlecht wegschicken:"Du kannst natürlich bleiben." Darius lächelte wieder:"Dankeschön." In diesem Moment kam er mir mehr vor wie ein Schüler, als ein Lehrer und genau das war er aber, er war mein Literaturlehrer. "Gern.", murmelte ich und wünschte einfach nur, dass die Viertelstunde schon um wäre, weil es einfach unangenehm war mit ihm allein in einem Raum zu stehen. "Gibt es irgendetwas, das ich über die Schule wissen sollte, irgendwelche Tabus, Geheimnisse?", fragte er und ich musste mein Lachen unterdrücken. Von der einen auf die andere Sekunde konnte er von erwachsen bis zu jung und niedlich wechseln. Irgendwie bereitete mir das auch Kopfschmerzen, da ich ihn überhaupt nicht einschätzen konnte.

"Das kann ich Ihnen nicht sagen; ich bin selbst noch nicht lange hier, wir sind erst hergezogen.", antwortete ich und setzte ein neutrales Lächeln auf, das er erwiderte. "Ach so, und duze mich, bitte. Ich komme mir immer so komisch vor, wenn meine Schüler das tun." Und auf ein Neues war ich peinlich berührt:"Das mit dem Duzen muss ich noch lernen." Ich musste an Steve denken, bei dem es sich auch so verdammt falsch anfühlte, ihn nicht zu siezen. "Halb so wild, warum seid ihr denn umgezogen?" Fragte er nicht viel zu viel, oder war ich nur so nervös, weil es mein Lehrer war und die ganze Situation absurd war? "Wegen der Arbeit meiner Eltern." Er nickte und seine blauen Augen fingen mich schon wieder ein:"Fiel es dir schwer? Ich meine, du hattest bestimmt viele Freunde, die du verlassen musstest." "Nur ein paar.", sagte ich und riss meinen Blick von seinen Augen los. Sie stachen eindeutig viel zu sehr hervor.

"Verstehst du dich gut mit deinen Eltern? Ich frage das nur, weil ich mit meinen immer Stress hatte. Sie wollten, dass ich Bänker werde. Niemals haben sie Lehrer als eine richtige Perspektive gesehen." War ihm die Situation genauso unangenehm und versuchte er sie deshalb mit einem Gespräch aufzulockern? "Ich komme ganz gut mit ihnen zurecht.", erwiderte ich dann, ohne ihn anzusehen. "Wirklich?", er trank sein Wasserglas aus und ich starrte ihn ungläubig an. "Ja.", sagte ich fest. Darius stellte sein Glas ab und lächelte schief:"Tut mir leid, es wirkte nur nicht so." "Streng genommen sind sie auch nicht meine leiblichen Eltern.", gab ich zu und ich hatte keine Ahnung, warum ich das sagte. "Du bist adoptiert?", fragte er mit aufgerissenen Augen und das Blau stach noch mehr hervor. "Ja." "Oh, das tut mir leid, also falls deine leiblichen Eltern, ich, tut mir leid.", er lächelte schief.

"Schon okay, es ist lange her", sagte ich dann, was nicht mal gelogen war, "sie sind bei einem Autounfall umgekommen." "Bei einem Autounfall?", wiederholte er. Ich verengte meine Augen minimal:"Ja, bei einem Unfall." Er nickte schnell und fuhr sich dann wie ein Teenager durch die Haare:"Ich sollte schon mal herausgehen, falls der Abschleppdienst kommt, weißt du." "Ja." Darius lief auf die Haustür zu und hielt dann im Türrahmen inne:"Was ist eigentlich mit deinem Arm passiert?" Ich schaute auf meinen Gips hinab:"Ein ziemlich blödes Missgeschick." Er nickte kurz und knapp:"Gute Besserung, wir sehen uns dann wohl morgen." "Ja, morgen.", sagte ich und hätte mir am liebsten wieder eine verpasst. "Danke nochmal.", er winkte mit seinem Autoschlüssel und ging auf seinen Wagen zu. "Kein Problem, bis morgen.", rief ich ihm unsicher nach. "Bis morgen, Melrose!" Die Tür fiel ins Schloss und ich lehnte mich erleichtert dagegen, es war alles gut gegangen und irgendwie fühlte es sich an, als hätte jemand einige Lasten von mir genommen, die ich die ganze Zeit hatte tragen müssen.

Ich trat zurück in die Küche und räumte das einzelne Glas in die Spülmaschine, das war total schräg gewesen. Von draußen traten Motorengeräusche an mein Ohr und ich sah aus dem Fenster, doch dort war kein Abschleppwagen zu sehen. Es waren lediglich die Umrisse eines großen, schwarzen Autos, die ich sah und ich runzelte die Stirn, weil Herr Schwarz verschwunden war. Ich dachte, sein Auto hatte eine Panne. Mir lief es eiskalt über den Rücken, hatte er etwa gelogen? Und jetzt fiel mir noch eine Sache auf; er hatte nach meinem Handy gefragt, aber sollte er nicht sein eigenes dabei haben? Ich sah mich im Raum um.
Was wollte mein Literaturlehrer hier wirklich?

Nightmare-Ist Angst stärker als Liebe?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt