Teil 107

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"Du brauchst jetzt eher Zeit, um dich zu erholen und ich will kein Gejammer hören, wenn du krank wirst, dann ist das nämlich allein deine Schuld.", meine beste Freundin stellte ihre Tasse ab und stand auf. "In Ordnung, Mom." Sie zeigte drohend mit dem Finger auf mich:"Du machst sowas nicht nochmal, kapiert?" Ich nickte und gab mir Mühe, ein Lächeln zustande zu bringen. Nelli seufzte:"Es gibt Bessere als diesen Luke, vertrau mir." Ich wollte etwas erwidern, aber es kam nichts heraus, also nickte ich nur nochmal, auch wenn ich ihr nicht zustimmte. "Ich nehme an, dass du jetzt in dein Zimmer ziehst und es mir gleich zeigen willst.", sie wackelte vielversprechend mit den Augenbrauen. "Können wir das nicht wann anders machen?", mir war nicht danach zumute, mich genau jetzt in meinem neuen Zuhause einzurichten. Nelli verschränkte die Arme vor der Brust:"Nein, du brauchst das, sonst ertrinkst du noch in Selbstmitleid, Süße." Ich atmete laut aus und erhob mich dann langsam aus dem Sessel. Zuerst musste ich die Augen zusammenkneifen, da sich alles drehte, doch dann ging es wieder. "Dein Gips ist ja ab!", meine beste Freundin betrachtete meinen Arm, den ich vorsichtig drehte und bewegte. "Ja, ist gut verheilt.", murmelte ich mehr zu mir selbst.
"Ja und jetzt Bewegung, Melrose, setz dich in Bewegung, wir haben nicht ewig Zeit.", sie drängte mich vorwärts. "Wir haben sehr wohl Zeit!", protestierte ich. "Schmoll nicht herum, zum Essen müssen wir pünktlich sein." "Da haben wir doch noch Zeit!" "Eine Stunde und du denkst doch nicht, dass das reicht, um deinen ganzen Kleiderschrank anzuprobieren!"

Es heiterte mich wirklich ein wenig auf, mit Nelli herumzualbern und natürlich beneidete sie mich wieder wegen meines Gemachs. "Wenn du mich hier nicht einziehen lässt, kündige ich dir die Freundschaft offiziell.", sie lachte, während sie in einem viel zu engen Minikleid auf hohen Schuhen durch die Gegend stolzierte. Ich hatte mich auch umgezogen, allerdings relativ normal. Mein Kleid war lang und schwarz, es endete kurz bevor es den Boden berührte und hatte lange Ärmel, oben war es schön ausgeschnitten und Nelli hatte darauf bestanden, mir die Haare zu glätten, obwohl sie eigentlich gar nicht gelockt waren. "Das habe ich mittlerweile verstanden.", sagte ich lächelnd.
"Melrose?", drang eine Stimme leise an mein Ohr. "Hast du das gehört?", fragte ich. "Was?", murmelte meine beste Freundin. Ich sah mich um:"Ich dachte, ich hätte etwas gehört." "Das war bestimmt nur das Unwetter." "Melrose!", ertönte die Stimme jetzt wesentlich lauter. Ich schreckte kurz auf, dann erkannte ich, dass das von draußen vor der Tür kam:"Ja?" Schritte näherten sich und dann streckte Erik den Kopf in mein Ankleidezimmer:"Hier seid ihr." Nelli schrie auf:"Spinnst du, hier einfach so herein zu platzen?" Sie wackelte so schnell wie möglich aus Eriks Blickfeld, was aber durch die hohen Absätze viel länger dauerte, als normal. Er lachte nur und pfiff dann leise durch die Zähne:"Steht dir!" "Was gibt es?", fragte ich, um seine Aufmerksamkeit auf mich zu lenken, obwohl ich innerlich vor Lachen losbrüllen könnte. "Eigentlich wollte ich euch nur zum Essen holen, aber wenn ihr noch Zeit braucht-", er grinste und Nelli schrie. "Geh weg, wir kommen gleich!" "Ich kann auch warten.", erwiderte er. "Melrose, sag doch was!" Ich grinste ebenso wie Erik, aber das konnte Nelli ja nicht sehen:"Bis gleich, Erik, es besteht kein Grund, noch länger auf uns zu warten."

"Ist er weg?", meine beste Freundin lugte hinter einem der Vorhänge hervor. "Ja, ist er.", ich stand auf und reichte Nelli schlichte Klamotten, die sie dann mit zusammengezogenen Augen an sich riss. "Du hast ihn reingelassen!", sie zog den Vorhang wieder zu und ich lehnte mich gegen die Wand. "Sonst ist dir doch auch egal, wie kurz deine Sachen sind." "Aber doch nicht hier! Was soll Erik denn jetzt von mir denken, nachdem-", sie verstummte. "Habe ich das gerade richtig verstanden?" Nelli schwieg und ich hörte nur das Rascheln des Stoffs. "Du interessierst dich dafür, was er von dir denkt?" "Nein, so war das doch gar nicht gemeint, nur nervt er mich. Weißt du, wie anstrengend es war, mit ihm das Schloss anzusehen? Er wusste zu jeder Fliese eine Geschichte und hat mir Zeug erzählt, das mich überhaupt nicht interessiert hat. Jetzt zieht er mich wahrscheinlich jedes Mal, wenn er mich sieht, damit auf, dass ich so freizügig vor ihm gestanden habe!" Als sie hervortrat stand ich mit verschränkten Armen vor ihr:"Das klingt verdächtig nach einem Ich-finde-ihn-ganz-gut-aber-will-es-nicht-zugeben." "Du bist mindestens genauso schlimm!", kopfschüttelnd verließ sie den Raum.

Mayra fehlte am Esstisch wieder, aber keiner kommentierte das und auch ich aß meine Vorspeise ohne weitere Fragen zu stellen. Es herrschte eine komische Stimmung, da keiner etwas sagte und sich jeder vollkommen auf das Essen konzentrierte. Über den Tellerrand beobachtete ich Jake, der geistesabwesend eine Gabel nach der anderen an seinen Mund führte. Aus dem Augenwinkel nahm ich wahr, dass Jara ihm immer wieder die Hand drückte und davon bekam ich einen Kloß im Hals. Geschwisterliebe, etwas das ich nie werde nachvollziehen können. Ich versuchte Jakes Blick einzufangen, aber er sah nicht einmal auf, also gab ich es irgendwann auf.
Raven brachte gerade den nächsten Gang herein, als plötzlich ein Blitz alles hell erleuchtete und fast sofort darauf folgte ein lautes Donnern.
"Warum lässt Mayra das Unwetter eigentlich noch herein? Hat es nicht schon genug geregnet?", fragte ich, weil ich die drückende Stille einfach nicht mehr aushielt. Alle Augenpaare richteten sich auf mich, außer das von Jake. "Keine Ahnung, vielleicht findet sie es gemütlich.", scherzte Erik, aber keiner lachte. "Ich bin sicher, dass sie es bald stoppen wird.", meinte meine Großmutter und lächelte mich an. Daraufhin folgte erneutes Schweigen und ich ertrug das nicht mehr:"Entschuldigt mich bitte kurz." Hastig eilte ich zur Tür nach draußen in den Flur und steuerte auf die nächstbeste Toilette zu. Dort angekommen ließ ich mir kaltes Wasser ins Gesicht laufen. Ab jetzt würde ich jeden Tag so essen, daran sollte ich mich besser schnell gewöhnen. Ich ging auf eine Toilette zu und öffnete die Tür, doch weiter kam ich nicht.

Mich durchzuckte ein gewaltiger Schmerz und mein Herz zog sich zusammen, dann sah ich eine unsichtbare Wand und so schnell wie es gekommen war, war es auch wieder vorbei.
Panisch sah ich mich um, doch es hatte sich nichts geändert, die Wände waren nach wie vor rot, die Kronenleuchter hingen und der Boden war ein Schachbrettmuster. Es machte mir Angst, nicht zu wissen, was das gerade eben war und ich verstand auch nicht woher es kam. Mein Atem ging schneller, als er es eigentlich sollte und dann rannte ich zurück zum Esszimmer, doch als ich die Tür öffnen wollte, wurde sie schon von der anderen Seite aufgemacht und alle standen versammelt vor mir. Ich keuchte die Worte heraus:"Irgendwas war da, ich, es tat weh und-" Nelli sah mich ängstlich an:"Wissen wir, Rose."
Jake war der, der direkt vor mir stand und mich jetzt endlich ansah:"Das war der Alarm. Jemand ist in das Herrschaftsgelände eingedrungen."

Nightmare-Ist Angst stärker als Liebe?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt