Teil 4

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Ich stellte das Wasser ab und stand auf. Wie gelähmt lief ich die Treppe hoch in mein Zimmer und schloss ab, danach ließ ich den Rollladen herunterfahren. Somit saß ich im Dunkeln. Ich genoss den Moment der Stille, bis sich mein Laptop erhellte und ein Geräusch von sich gab. Viele Menschen hatten Angst vor der Dunkelheit, weil sie dachten, dort würden irgendwelche Monster lauern. Ich hingegen fühlte mich hier sicherer.
Monster, flüsterte mir die Stimme in meinem Kopf immer wieder zu. Ich schlug mit meiner Handfläche gegen meine Stirn. "Klappe jetzt!", murmelte ich.
Ich gab mein Passwort in den Laptop ein, aber nicht irgendein beliebiges, sondern das, was mich in das Internet der Nightmares brachte. Eine neue Nachricht.
Ich klickte mit der Maus darauf und eine Begrüßung von Nelli öffnete sich: Na, Süße.
Ich schrieb zurück: Hey.
Nachdem ich das Fenster geschlossen hatte, gab ich in die Suchleiste ein: Kräfte kontrollieren.
Es kamen nicht viele Ergebnisse, aber ich war froh, dass überhaupt etwas kam. Das Erste war ein Bericht über einen Nightmare namens Steve Wilson. Angeblich konnte er die Menschen mit nur einem Blick kontrollieren und seine, wie hier so schön ausgedrückt, Gabe ausschalten. Aber nicht ein Wort darüber, wie das funktionieren sollte. Was für ein Schwachsinn. Ich scrollte weiter nach unten. Ein Artikel sprang mir sofort ins Auge: Mächtiger werden und Gabe gänzlich unterdrücken.
Es stand nur ein kleiner Text auf der Seite, sonst nichts. Doch als ich lesen wollte, kam eine neue Nachricht rein: Und was ist passiert?
Ich tippte schnell eine Antwort: Wir ziehen wieder um. Jetzt las ich den Text.

Es gibt nur einen Weg seine Gabe zu unterdrücken, nämlich üben. Wie sagt man so schön? Übung macht den Meister. Nur dadurch kann man besser werden.

Ich runzelte die Stirn, an wem sollte ich denn üben? Andere Nightmares waren immun gegen ihre eigenen Fähigkeiten und einem Menschen würde ich so etwas nicht antun. Also suchte ich weiter, doch alle anderen Links führten zu nichts oder sagten genau dasselbe. Ich ließ mich auf dem Bett zurückfallen und starrte ins Schwarze. Es war hoffnungslos.
Ich sah, dass Nelli nochmal geschrieben hatte: Scheiße! Bock heute Abend mit zu kommen?
Ich wollte schon nein schreiben, doch wenn ich so überlegte, was sollt's. Bald war ich in einem Heim, dann konnte ich mich sowieso nicht mehr unbemerkt rausschleichen.
Wann soll ich kommen?
Es kam sofort eine Antwort: Yes Baby, bis sieben, bei uns.
Dann ging sie offline und ich auch. Es war mittlerweile halb fünf. Ich zog den Rollladen wieder hoch, nachdem ich den Laptop ausgemacht hatte. Aus meinem Zimmer lief ich ins Bad, wobei ich hörte, dass mein Vater nach Hause gekommen war und mal wieder mit meiner Mutter stritt. Sie so zu nennen fühlte sich falsch an, verdammt falsch.
"Nach einem Monat sollen wir schon wieder umziehen?", mein Adotivvater musste sich zusammenreißen, um nicht komplett los zu brüllen. Als er keine Antwort bekam, fuhr er fort: "Wir geben sie weg, am besten gleich morgen, und dann ziehen wir um und fangen ein ganz normales Leben an!"
"Wir geben ihr noch eine Chance!"
"Das bringt doch nichts! Sie ist nicht normal und das wird sich auch nicht über Nacht ändern!"
"Wir geben ihr noch eine Chance!", wiederholte meine Adoptivmutter und damit war das Gespräch beendet. Ich huschte schnell ins Bad, schloss die Tür und schluckte den Kloß in meinem Hals herunter. Sie waren noch nie meine Familie gewesen, aber dennoch bedeuteten sie mir etwas. In einem Waisenheim wäre ich nur wieder der Freak, ich wäre diejenige, mit der sich keiner abgeben würde. Zitternd holte ich Luft. Monster.
Um auf andere Gedanken zu kommen, ging ich duschen und föhnte danach meine Haare. Ich überschminkte meine Augenringe und tuschte sogar meine Wimpern. Das sollte reichen.
Selbst mein Spiegelbild wirkte irgendwie traurig, meine Augen kalt und leer. Ich ging in mein Zimmer zurück und lauschte, aber unten war alles ruhig. In meinem Kleiderschrank ragten mir eine schwarze Jeans und ein einfarbiges Oberteil entgegen.
Die Uhr zeigte halb sechs an.
Ich setzte mich an meinen Schreibtisch und begann Hausaufgaben zu machen, obwohl ich keinen einzigen Tag mehr in dieser Schule verbringen würde.

Nightmare-Ist Angst stärker als Liebe?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt