Teil 37

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Nach dem Frühstück kletterte ich wieder in mein Bett und sah auf mein Handy: Hast du heute schon etwas vor? Die Nachricht war von Luke. Ich war hin und hergerissen, auf der einen Seite wollte ich natürlich etwas mit ihm unternehmen, aber ich sollte nicht und das war mir klar. Ich schrieb, dass ich heute etwas mit meiner Mutter machte, wir uns ja aber morgen sehen würden. Damit hatte ich ihn schon wieder angelogen. Ich seufzte, warum musste das nur so kompliziert sein? Doktor Wilson hatte Recht, aber das wollte ich mir wahrscheinlich gar nicht eingestehen. Ich verbrachte den Tag damit, Serien zu schauen, Spiele durchzuspielen und las ein wenig in den Büchern, die ich auf dem Dachboden gefunden hatte.

Es ging größten teils nur um Träume und wie man diese deuten könnte, aber nichts davon erklärte mir, warum die Tanne mich immer wieder heimsuchte. Ich suchte in allen Büchern nach irgendwelchen versteckten Hinweisen, doch ich fand weder eine geheime Botschaft, noch sonst irgendetwas Besonderes. Dann musste ich also doch auf die andere Art etwas über mich herausfinden, wenn mir weder die Gegenstände, noch das Internet weiterhelfen konnten. Ich ging die Treppe herunter und sah, dass meine Adoptivmutter gerade las:"Hast du einen kurzen Moment Zeit?" Sie sah auf:"Natürlich." "Ich möchte zu dem Waisenhaus fahren, wo ich früher war.", ich wartete und versuchte so selbstbewusst wie möglich zu wirken. Sie sah mich mitfühlend an:"Ich kann das verstehen, Melrose, wirklich, aber das ist sehr weit weg von hier, um genau zu sein gute sieben Stunden und ich weiß nicht einmal mehr den Namen, das ist schon so lange her." Ich sah sie verständnislos an:"Du hast keine Papiere und weißt nicht, wie das Waisenhaus heißt?"

Sie wirkte so, als würde sie sich am liebsten komplett hinter ihrem Buch verstecken:"Ist es denn so wichtig für dich, etwas über deine Eltern herauszufinden?" "Ja.", ich spuckte das Wort förmlich aus. "Ich könnte mir in den nächsten Ferien frei nehmen und dann könnten wir dorthin fahren und ein bis zwei Nächte bleiben. Aber ich würde mir an deiner Stelle nicht zu viel davon versprechen, denn es ist immerhin einige Jahre her." "Das weiß ich." "Gut, dann machen wir das so.", sie wirkte wieder so förmlich wie sonst auch. Ich nickte und lief wieder auf die Treppe zu. "Wenn du noch etwas essen willst, dann sag mir einfach Bescheid.", rief sie mir noch nach. Ich nickte und machte mich dann auch schon fertig, um zu schlafen. Wahrscheinlich dachte ich, dass, wenn ich früher schlafen gehen würde, ich länger träumen konnte.

Es regnete, als ich die Augen aufschlug und ich blickte in den wolkenbehangenen Himmel. Das Blätterdach konnte mich nicht vor den Regentropfen schützen und dann fing es auch noch an zu donnern. "Komm hierher, Melrose!" Ich sah mich um, konnte aber niemanden sehen. Die Stimme konnte ich auch nicht richtig einordnen, aber sie kam mir seltsam bekannt vor, obwohl ich mir sicher war, sie noch nicht oft gehört zu haben. Alles um mich herum wurde hell erleuchtet und ich zuckte augenblicklich zusammen, ich muss die Person finden, die mir zugesprochen hat, sagte mir mein Gefühl. "Stell dich hier unter, weg von der Tanne, dort ist es viel zu gefährlich.", erklang die Frauenstimme wieder. Ich sah mich panisch um, wovon sprach sie? Ich rannte los, weil ich nicht einfach stehen bleiben und nichts tun konnte. Durchnässt, zitternd und bibbernd vor Kälte stolperte ich über das nasse Laub. "Scheiße!", fluchte ich, als ich meinen blutenden Arm bemerkte. "Renn, Melrose!", die Stimme klang so, als würde sie gerade ersticken. Ich schrie, weil ich mich von einer Wurzel nicht mehr losmachen konnte.

"Melrose, wach auf!", schrie mir jemand ins Ohr. Ich richtete mich kerzengerade auf und ließ meinen Blick durch den Raum gleiten, ich suchte die Person, die zu ersticken drohte, aber blickte nur in das verschlafene Gesicht meiner Adoptivmutter. Sie war eindeutig fertig mit den Nerven und rieb sich die Stirn:"Du hast wie am Spieß geschrien und am ganzen Körper gezittert, Melrose. Das kann doch nicht immer so weitergehen, was ist denn los?" Ich schüttelte den Kopf, mir steckte ein Kloß im Hals, ich konnte jetzt nicht sprechen. Wer war diese Frau und war sie gestorben? Hätte ich ihr helfen können? Ich blickte vorsichtig an meinem Arm herab, aber ich konnte kein Blut entdecken. Als ich nicht antwortete ergriff sie wieder das Wort:"Ganz ruhig, ich weiß nicht, von was du geträumt hast, aber es war nur ein Traum, Melrose. Es ist vorbei, ich bin da." Ich nickte, weil ich mich nicht in der Lage fühlte, den Mund aufzumachen.

Sie blieb noch ein paar Minuten in meinem Zimmer stehen und schaute aus dem Fenster, während ich an die Decke starrte und versuchte mich zu beruhigen. "Ich gehe jetzt wieder schlafen, aber ich lasse die Tür auf, falls was ist, kannst du kommen, oder ich wecke dich wieder." Sie verließ schon den Raum, weil sie anscheinend davon ausgegangen war, dass ich nicht mehr antworten würde. "Danke, Mum." Ich bekam ein müdes Lächeln geschenkt und dann wurde die Tür angelehnt. In dieser Nacht konnte ich kein einziges Auge mehr zudrücken. Aus Angst, aus Sorge und mir schwirrten einfach viel zu viele Gedanken im Kopf herum.

Nightmare-Ist Angst stärker als Liebe?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt