Teil 100

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Wenn ich schon dachte, das Gästezimmer wäre riesig, hatte ich mich geirrt. Mein Zimmer war mindestens doppelt so groß und Jake musste gar nichts mehr anpreisen; ich war auch so schon überwältigt.
In einer Ecke stand ein wunderschöner Ofen aus hellem Stein und der Boden bestand teils aus Teppich, teils aus Laminat. Die ewig lange Wand bestand wie bei meinem Raum bei meinen Adoptiveltern komplett aus Fenstern, die direkt auf den Wald zeigten. Es war ein Balkon mit schwarzem Geländer draußen und ich musste einen Aufschrei unterdrücken, als ich einen kleinen Wasserfall in meinem Zimmer entdeckte. "Ist der echt?", ich starrte auf das laufende Wasser vor mir in der Ecke, außen herum standen etliche Pflanzen und unten endete der Wasserfall in einem kleinen Becken.
"Du hast mit deiner Mutter früher immer gern im Wasser gespielt, deswegen hat sie sich gedacht, sie macht dir eine Freude, indem sie einen kleinen Pool in dein Zimmer einbauen lässt.", Jake machte bei den letzten Worten Anführungszeichen in die Luft und ich grinste ihn total dämlich an. "Das ist atemberaubend!" "Das Wasser ist warm und sollte dir ungefähr bis zum Bauch reichen. Hinten rechts ist eine Treppe und man kann darin sitzen. Ist eigentlich wie ein Whirlpool nur in Naturversion."
Ich schüttelte den Kopf:"Das glaub ich jetzt nicht." "Dann lass es, aber Alisia wollte immer nur das Beste für dich." Ich sah an die ewig hohen Decken, die mit der Tanne bemalt waren und dann zur großen Tür, durch die wir gekommen waren. Zwei Säulen aus Stein reihten sich links und rechts von ihr auf, die mit wunderschönen Blumenmustern verschönert waren. Eine dunkelrote Wand grenzte den Bereich zu meinem Bett ab und auch hier konnte ich nur staunen. Ein Stück neben dem Himmelbett war komplett mit Bücherregalen zugestellt. "Sieh mal her!", Jake drückte auf dem roten Untergrund herum und ich fragte mich schon, was auf einmal in ihn gefahren war, doch dann erschien plötzlich ein weißes Bild auf der kompletten Wand. "Internetzugriff auf alles, Fernsehen, Filme, was auch immer du gerne machen würdest."

Ich trat vorsichtig näher und tippte die Wand vor mir an. Sofort wechselte das Bild und zeigte ein Bild des Schlosses in früherer Zeit. "Wie, wie steuert man das?" "Durch Sprache oder Berührung, es ist ganz einfach, warte ich zeige es dir." Jake tippte drei Mal in die Mitte und sprach dann mit der Wand:"Fernsehen." Sofort erschien der erste Sender und ich kam mir vor wie ein Steinzeitmensch, der noch nie etwas von Technik gehört hatte. "Ich dachte, die Menschen seien auf dem neusten Stand." Daraufhin lachte er:"So enorm entscheidet es sich auch gar nicht von den Geräten der Menschen, es ist nur ein wenig weiter entwickelt und du hast selbstverständlich Zugriff auf das Internet der Nightmares, was Menschen nicht haben."
Das Nächste, was er mir zeigte war mein Bad, das eine freistehende und eine Sprudelbadewanne hatte, eine Regenwalddusche, Schränke, Waschbecken und eine Wand, auf der man ein Bild seiner Wahl einstellen konnte. Der Boden und die Wände waren aus Marmor und mit Gold verziert. "Jake, ich glaube nicht, dass ich noch mehr vertrage.", ich konnte einfach nicht realisieren, dass das alles für mich eingerichtet worden war. "Es fehlt doch nur noch dein Kleiderschrank." "Damit meinst du ein extra Zimmer, oder?" Er grinste nur und ich wurde auf ein Neues überwältigt.
"Mayra hat seit gestern ein paar Kleider in deiner Größe herbringen lassen." "Ein paar?", ich lachte hysterisch.

Wir gingen wieder auf den Ausgang meines Zimmers zu, doch ich hielt Jake zurück, indem ich ihn kurz am Arm zog. Er sah mich erschrocken an:"Du weißt doch hoffentlich, wie gefährlich es ist einen Morgen anzufassen, wenn er es nicht erwartet. Ich könnte dich vor Schreck angreifen." "Glaub mir, ich weiß schon, mich zu wehren.", ich sah zu Boden. "Was ist denn?", er verstand anscheinend, dass es etwas Wichtiges war. Ich war mir nicht sicher, ob Jake die richtige Person war, um dies zu fragen, aber irgendwie hatte ich das Gefühl, ihm missfiel die Art von Mayra auch manchmal:"Ist meine Tante immer so?" Er verschränkte die Arme vor der Brust und sah mich aufmerksam an:"Definiere So." "Gebieterisch. Sie behandelt die Dienstmädchen wie Dreck und ordnet ihrer eigenen Familie Befehle an, sogar dir."
Jakes Miene wurde sehr ernst:"Das verstehst du nicht, weil du nicht unter unseres Gleichen aufgewachsen bist." "Dann erklär es mir, bitte!", mir war schrecklich bewusst, dass meine Stimme sehr flehend klang, aber das blendete ich aus. "Es gibt keinen Nightmare, der die Königin nicht schätzt. Das ist eine Frage der Erziehung und der Ehre. Ich habe dir doch letztens von den Regeln erzählt erinnerst du dich?" Ich nickte stumm, um ihn nicht zu unterbrechen. "Also diese Regel wird bei uns sehr ernst genommen: Ehre die Königin. Beschütze sie mit deinem Leben und gehorche ihr, was auch kommen mag."
In seinen Augen konnte ich sehen, wie sehr ihm es widerstrebte, dies zu sagen:"Du hälst nicht viel davon." Jake lachte leise auf:"Dennoch halte ich mich daran." Er war gerade dabei die Tür zu öffnen, als meine Frage ihn innehalten ließ:"Was passiert, wenn man die Regel bricht?"
Er wandte sich mir zu und lächelte:"Man wird umgebracht."

Wie liefen weiter durch die Gänge; eine Wendeltreppe hinauf, von der aus immer kleine Abzweigungen zu irgendwelchen Türen führten:"Was sind das für Räume?" "Ein paar der Dienstmädchen wohnen hier." Es war wirklich anstrengend den kompletten Turm nach oben zu laufen, doch als wir es geschafft hatten, hatte sich die Mühe gelohnt. Die Aussicht war atemberaubend.
Man sah auf ein unglaubliches Dach von Nadelbäumen und ich stand eine ganze Weile einfach nur da und ließ den eiskalten Wind um meinen Körper wehen. Von hier aus konnte man auch die anderen Türme sehen, die spitz in den Himmel ragten und dann erblickte ich einen Baum, der herausstach:"Das ist die Tanne!" "Ja, nicht zu übersehen.", Jake lehnte sich an die Mauer des Turms. Der Platz war hier oben nur sehr gering und eigentlich war mir viel zu kalt, um noch weiter draußen herumzustehen, trotzdem konnte ich den Blick nicht abwenden. Es erinnerte mich irgendwie daran, wie Luke mir damals seinen Platz gezeigt hatte, zu dem er früher immer gefahren war. Ich erinnerte mich an die Wiese, auf der wir saßen und für einen Bruchteil einer Sekunde konnte ich das nasse Gras unter mir spüren, dann war es so, als wäre ich wieder ganz weit weg.
"Wie heißt er eigentlich?", ich spürte, dass Jake näher zu mir gerückt war. Erschrocken fuhr ich herum:"Wer?" "Der Mensch, der dir etwas bedeutet." "Woher wusstest du, dass ich-" Er unterbrach mich:"Du siehst immer so traurig und entfernt aus, als wärst du ganz woanders, wenn du an ihn denkst." Meine Augen wanderten zurück zu den Bäumen und ich schluckte heftig:"Luke, sein Name ist Luke."

Daraufhin sagte er nichts mehr und dafür war ich ihm dankbar, denn ich wusste nicht, wie lange ich über ihn reden konnte, ohne in Tränen auszubrechen. "Vielleicht sollten wir beide wieder reingehen, es ist ziemlich kalt." Ich drehte meinen Kopf zu Jake und konnte feststellen, dass der Wind mir mittlerweile gar nichts mehr ausmachte, trotzdem stimmte ich ihm zu:"Ja, es ist wirklich kalt."
Er führte mich noch in eine Schwimmhalle, zu einer Art Kinosaal, in einen Raum voller Gemälde und Waffen, zu den Räumen mit allen möglichen technischen Geräten, zu den Bädern, die zu keinem Gemach gehörten, zur Küche und letztendlich zeigte er mir noch eine Garage unter dem Schloss, die jedes Parkhaus in den Schatten stellte.
"Das ist alles so verdammt anders.", platzte es aus mir heraus. "Wie meinst du das?" "Von außen wirkt das Schloss tausende von Jahren alt und auch die Böden und manche Teile sehen sehr alt aus, doch dann gibt es wieder Abteile wie das hier aus der jetzigen Zeit.", ich deutete auf die ganzen Autos um mich. "Gefällt es dir nicht?", er legte den Kopf schief, woraufhin ich lachen musste. "Natürlich gefällt es mir, es ist einfach unbeschreiblich." Wir setzten uns wieder in Bewegung und traten dann erneut ins Erdgeschoss. Mein Magen knurrte leise, woraufhin Jake anfing zu lachen:"Ich dachte, du hättest gefrühstückt." "Sagen wir es mal so, ich hätte fast gefrühstückt." "Wir machen einfach kurz einen Abstecher in der Küche, bevor wir zur Tanne gehen." "Zur Tanne?", ich blieb stehen. "Ja und vielleicht sollten wir vorher auch noch eine Jacke holen." Ich konnte mein Grinsen nicht unterdrücken, endlich würde ich diesen Baum sehen und in der Realität berühren.

Nightmare-Ist Angst stärker als Liebe?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt