Nightmare-Ist Angst stärker als Liebe?

Teil 41

Luke ließ sich die nächsten Tage nicht blicken, und Tobias ebenso wenig. Ich hatte keinen der beiden nach diesem Zwischenfall nochmal gesehen und ich empfing immer wieder vernichtende Blicke von Zoe. Frühs benutzte ich den Schulbus, und auch, wenn ich es so wollte, fühlte es sich falsch an. Es war mittlerweile Donnerstag und ich saß auf einer Bank in der Schule, weil mein Bus immer zu früh ankam, als Zoe sich neben mich setzte. Ich seufzte:"Was willst du?" Sie betrachtete ihre perfekt gestylten Fingernägel:"Man könnte gerade meinen, dass du diejenige bist, die betrogen wurde." "Was?" "Zwei Typen auf einmal und davon ist einer mein Bruder, Gott, ich verstehe nicht, was er in dir sieht." Ich funkelte sie böse an:"Ich bin weder mit Luke, noch mit Tobias zusammen." Es tat weh seinen Namen auszusprechen. "Ich kann solche Mädchen wie dich nicht ausstehen, Melrose. Gaukeln jedem vor, sie hätten Berührungsängste und machen dann mit dem nächst Besten rum." "Das stimmt doch gar nicht."

"Und weshalb warst du dann bei unserem Vater?" Ich schwieg, jede Antwort hätte sie als Lüge angesehen, also hielt ich den Mund. "Nicht mal ein Versuch mir etwas zu erklären, armselig." Ich schnaubte:"Luke braucht keine Angst zu haben, ich halte mich von ihm fern." "Das will ich auch hoffen, er hasst dich. Du bist ein richtiges kleines Monster, Melrose.", sie stand mit einem seelenruhigem Lächeln auf und verschwand in der Menge. Monster. Ich starrte auf den Boden und begann die Fliesen zu zählen, doch ich versagte immer wieder. Die Ablenkung sorgte nur dafür, dass ich noch mehr verzweifelte. Ich vernahm eilende Schritte, die dann aber abrupt vor mir stehen blieben:"Rose, alles in Ordnung?" Ich sah in das Gesicht von Wendy. Wir hatten uns in letzter Zeit nicht viel zu sagen und so war ich umso überraschter, dass sie mich ansprach:"Ja, klar. Warum?" Sie sah zur Uhr:"Es hat schon geklingelt, der Unterricht hat seit zwei Minuten angefangen."

Ich stellte erst jetzt fest, dass das Gelächter aufgehört hatte und die Gespräche verstummt waren. "Oh, Scheiße." "Hast du unseren Stundenplan vergessen?" Ich zuckte nur mit den Schultern. "Du bist doch komplett neben der Reihe, Rose. Was ist los?" Wendy wäre bestimmt eine wunderbare Freundin, wenn ich mit ihr über alles reden könnte, aber das ging nicht. "Ich will nicht reden.", murmelte ich. "Ist es wegen Luke und Tobias?" Ich nickte. "Wo ist der jetzt überhaupt?" Ich wusste nicht genau, wen sie meinte, aber es war bei beiden sowieso die gleiche Antwort:"Keine Ahnung." "Kommst du mit in den Unterricht, oder soll ich dich krank melden?" Ich lächelte und lügte einmal mehr:"Ich komme mit, es ist halb so wild."

Auch der Donnerstag verging, ohne dass ich etwas von ihm hörte. Ich kuschelte mich in mein Bett und fuhr den Laptop hoch. Ich hatte versucht, die Tanne zu zeichnen, aber ganz so gut wie auf dem Gemälde meiner Mutter sah sie nicht aus. Außerdem träumte ich jeden Tag von der Frau, die zu ersticken drohte, doch der Traum endete immer an der selben Stelle, wo ich mich nicht mehr aufrichten konnte. Ich wollte eine Serie weiterschauen, doch dann sah mir eine ungelesene Nachricht entgegen. Meine Hand begann zu zittern, als ich sah, dass Nelli der Absender war. Warum hatte sie mir auf einmal geschrieben? Mir wurde erst jetzt wieder bewusst, dass ich sie unheimlich vermisste. Ich klickte zögerlich auf die Nachricht:

Ich kann es echt nicht fassen, dass du unsere jahrelange Freundschaft wegen einem Jungen hinschmeißt. Ist er wenigstens hübsch? Tobias hat gemeint, er würde Luke heißen. Ist er deine Bekanntschaft aus dem Club? Ich hoffe, du kannst dich schön bei ihm ausheulen und wie regelt ihr das überhaupt, ohne dass du ihn umbringst? Ich dachte immer, uns könnte nichts trennen, aber da habe ich mich wohl geirrt. Ich wünsche dir noch ein tolles Leben, was auch immer du damit anfangen willst, war schön dich gekannt zu haben, auch wenn es anscheinend nicht die echte Rose war. Nelli, deine ehemalige beste Freundin, falls du dich erinnerst.

Die letzten Zeilen verschwommen vor lauter Tränen vor meinen Augen und ich begann zu schluchzen. Wie konnte sie nur so etwas schreiben, ohne vorher mit mir gesprochen zu haben? Sie müsste mich doch besser kennen und wissen, dass ich so etwas niemals machen würde. Mein kompletter Körper zitterte und mein Atem bebte. Ich krümmte mich, um den Schmerz auszuschließen, doch nichts half. Ich hatte das Gefühl, dass mein Körper nur noch aus Schmerz besteht und fuhr den Laptop sofort herunter. Nelli hatte mit mir abgeschlossen und ich war mir sicher, dass sie ihre Meinung nicht durch eine einfache schriftliche Antwort ändern würde. Ich löschte das Licht und starrte Ewigkeiten ins Schwarze. Jetzt waren die wichtigsten Menschen weg. Das war so unwirklich, dass ich anfing gleichzeitig zu lachen und zu weinen. Irgendwann wurde daraus ein einziges Schluchzen und mein Kopf schmerzte, weil ich so viel geweint hatte. Das ist alles deine Schuld, Melrose. Ich schlug auf meine Stirn und schloss die Augen, bis ich dann nach gefühlten Wochen endlich einschlafen konnte.