Natürlich war mein Vater tot, doch trotzdem lief es mir beim Betrachten kalt den Rücken herunter. Wahrscheinlich hatte ein winziger Teil in mir gehofft, er sei nicht gestorben, er hätte sich nicht umgebracht, aber ich hatte den Beweis vor mir. Der Text war ziemlich kurz gehalten und es standen auch keine Namen von Angehörigen dabei, was mich ehrlich gesagt wunderte:
In Gedenken an einen unglaublich liebevollen jungen Mann, der uns leider viel zu früh verlassen musste. Diese ganze Todesanzeige war komisch gestaltet, warum zur Hölle stand nirgends etwas von einer Verwandtschaft? Ich klickte mich durch einige Seiten, die interessant klangen, aber fand nichts über Paul Silber heraus. Kein Artikel erklärte die Todesursache oder gab überhaupt irgendetwas über meinen leiblichen Vater an und auch nirgends fiel der Name Alisia Morgen. Ich starrte einen Moment lang auf den Bildschirm und dann suchte ich schnell nochmal das Bild von ihm und hielt nach irgendetwas Ausschau, dass ich übersehen haben könnte, doch da war nichts. Selbst mein Name fiel nicht. Genauso schlau wie vorher klappte ich den Laptop wieder zu und seufzte ins Kissen. Das ergab doch alles überhaupt keinen Sinn. Mein Kopf fing an noch mehr zu schmerzen und ich verzog das Gesicht, kurz darauf klingelte auch schon mein Handy. Ich hob ab, ohne nachzusehen, wer mich anrief:"Hallo." "Melrose?" Der Klang von Nellis Stimme ließ mich aufhorchen, sie klang total unsicher:"Nelli, ist etwas passiert?""Ich, nicht direkt, nichts Schlimmes, also, ich, äh, bitte sei mir nicht böse." Ich setzte mich ruckartig auf:"Was ist los?" Sie seufzte tief:"Ich war sauer und verletzt, aber ich denke, das ich ja auch verständlich gewesen und vielleicht habe ich ein wenig überreagiert." "Sag es einfach." "Ich habe mich ziemlich extrem über dich ausgekotzt bei allen anderen in der WG, ehrlich gesagt habe ich nur noch schlecht über dich geredet. Habe allen erzählt, dass du meinst, du hättest einen Weg gefunden bei den Menschen zu leben, weil du Hilfe bekommst. Kurz gesagt, ich habe dafür gesorgt, dass du hier nicht mehr wirklich willkommen bist." Ich schwieg. Ich war erleichtert, dass es nur um unsere Verhältnisse ging und nicht um meine Mutter, aber andererseits hatte ich keinen blassen Schimmer, was ich sagen sollte; natürlich verletzte mich das enorm. "Melrose, bist du noch dran? Es tut mir leid, wirklich." Ich schluckte und blinzelte die Tränen weg, die sich anbahnten:"Das bekommen wir bestimmt wieder geregelt, halb so wild." "Ja, aber da wäre noch ein kleines Detail." "Und das wäre?" "Ich habe mich versprochen. Sie wissen jetzt, dass wir wieder Kontakt haben und sie wissen auch, dass du wahrscheinlich die totgeglaubte Melrose Morgen bist." Ich sog scharf die Luft ein:"Was?" Nelli sprach viel schneller als sonst:"Oh Gott, Melrose, es tut mir leid. Ich habe nicht aufgepasst, ich rede so viel manchmal. Das war ein großes Ausversehen, tut mir leid." "Nelli, ganz ruhig. Es ist nicht so schlimm, dass sie bescheid wissen, aber wie hast du sie denn dazu gebracht, mir zu glauben? Denken sie nicht, dass ich lüge?" "Oh doch, am Anfang schon. Sie nannten dich völlig übergeschnappt und eine Lügnerin", sie machte eine Pause, "und noch so einige andere unschöne Dinge."
"Na super.", ich schlug mir mit der Hand gegen die Stirn. "Warte doch! Ich hab sie überzeugen können. Okay, sie sind noch ein wenig skeptisch, aber das wird sich ändern, wenn du ihnen beweist, dass du zur Familie Morgen gehörst." "Beweisen?", meine Stimme versagte kläglich. "Du kannst doch Nightmares kontrollieren, oder?", ich hörte ihre Zweifel heraus und versuchte mich nicht gekränkt zu fühlen. "Nelli, niemand hat mir so etwas beigebracht, ich wusste bis vor Kurzem nicht mal wer ich wirklich bin. Ich denke schon, dass ich die Fähigkeit habe, wenn das in der Familie Morgen so üblich ist, aber wenn das stimmt, dann weiß ich nicht, wie ich sie anwenden kann." Stille erfüllte die Leitung und nach einer gefühlten Ewigkeit sagte sie endlich etwas:"Das kann ich verstehen. Wir werden das schon irgendwie zusammen hinbekommen." Ihre Worte rührten mich schon wieder zu Tränen:"Was würde ich nur ohne dich machen, Nelli?" "Wahrscheinlich jetzt schlafen und nicht am Telefon hängen." Ich konnte mir mein Lächeln nicht verkneifen:"Gut möglich." "Und Rose, ich bitte dich, hör mit diesem sentimentalen Quatsch auf, das bringt mich noch total in Verlegenheit." "Ich dich auch, Nelli." Im Hintergrund erklang eine Männerstimme, die aber zu undeutlich sprach, als dass ich sie hätte erkennen können. "Ich muss jetzt Schluss machen, Süße. Wir hören voneinander?", sie flüsterte der Person, die wahrscheinlich Tobias war, noch etwas zu, das ich nicht verstand. "Natürlich, wir bleiben in Kontakt und danke." "Wie gesagt, es ist mir einfach so rausgerutscht, tut mir leid." "Schon gut, wir regeln das alles." Nelli begann zu kichern:"Ich ruf dich wieder an." Damit war das Gespräch beendet. "Bis demnächst.", flüsterte ich in die tote Leitung. Das Telefonat hatte nicht gerade dazu beigetragen, dass sich meine Kopfschmerzen verbesserten, also entschloss ich mich früh schlafen zu gehen, was sich auch als relativ schlau herausstellte.
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Nightmare-Ist Angst stärker als Liebe?
ParanormalDieses Buch ist mittlerweile mehrfach überarbeitet worden & diese Fassung ist jetzt überall online als Taschenbuch erhältlich! Link dazu in meiner Bio! :) Melrose ist eigentlich ein ganz normales Mädchen, wenn man davon absieht, dass sie Menschen mi...