Teil 88

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"Du weißt, dass das keine Absicht war, oder?", sagte ich und schlug die Augen auf, weil sie anscheinend fertig waren. "Natürlich weiß ich das und jetzt öffne die Lippen leicht und hör auf zu sprechen, wenn ich dich schminke." Ich seufzte und tat wie mir befohlen. Es dauerte nicht mehr lang und dann sah Nelli zufrieden auf ihr Werk. Sie drehte meinen Stuhl, sodass ich auf einen kleinen Spiegel auf dem Tisch sehen konnte:"Tada!" Sie hatte lediglich nur die Augen und Lippen geschminkt und trotzdem wirkte ich wie ausgewechselt. Meine Augen waren zwar komplett schwarz geschminkt, doch es wirkte überhaupt nicht düster, sondern edel. Nelli hatte den Lidschatten so perfekt aufgetragen und auch der Lidstrich saß mehr als perfekt. Die Lippenstiftfarbe war exakt die meines Oberteils und ich machte insgesamt einen einschüchternden Eindruck, was für heute optimal war. "Gefällt es dir?", fragte meine beste Freundin. Ich drehte den Kopf:"Ich weiß gar nicht was ich sagen soll." Jetzt kam auch der Mann von vorhin dazu und riss die Augen auf, als er mich sah und betrachtete dann Nelli. "Machst du das beruflich?" Sie lachte lauthals los:"Sie können mir glauben, beruflich bin ich zu vergessen."

Allein bei dem Gedanken daran, dass Nelli arbeiten könnte, hätte ich in lautes Gelächter ausbrechen können. In der Wohngemeinschaft, in der sie lebte, arbeiteten fast alle irgendetwas, aber die Unterkunft wurde von anderen Nightmares finanziert, die wahrscheinlich königlich sein mussten, so wie ich jetzt wusste. "Du hast wirklich Talent.", der Typ lächelte freundlich, jedoch zuckte Nelli nur mit den Schultern. "Es ist mir halt einfach angeboren, Leute zu schminken." Nun runzelte er die Stirn und nickte dann zögernd:"Ich rechne mal zusammen, was die Schminke insgesamt kostet." Wieder lief er weg und ich lachte:"Du könntest es ihm wirklich leichter machen." "Ich sehe darin keinen Vorteil und außerdem ist es lustig die Menschen auf ihrer Arbeit zu provozieren, dann dürfen sie sich nämlich nichts erlauben." "Durch und durch böse.", ich grinste und auch Nelli konnte ihre ernste Miene nicht mehr halten. Als sie sich wieder beruhigt hatte, sah sie mich einfach nur noch an, was seltsam war:"Was ist denn?" "Ich habe gerade nachgedacht, theoretisch müssten wir nicht bezahlen." "Meinst du, weil du mich geschminkt hast?", ich lachte wieder, doch Nelli schüttelte den Kopf. Ich tat so, als würde ich angestrengt nachdenken:"Stimmt, wir könnten auch einfach wegrennen." "Das ist nicht das, worauf ich hinaus wollte." "Was denn dann?"
"Du könntest ihn dazu bringen, uns nicht bezahlen zu lassen."

Ich hielt ungewollt die Luft an und betrachtete Nelli vor mir:"Meinst du das ernst?" "Die Fähigkeit hast du doch, sieh es einfach als Übung an. Du manipulierst ein wenig, dann befiehlst du ihm, uns gehen zu lassen, fertig. Wir sparen Geld, er hat von mir gelernt, für alle eine tolle Lösung." Ich starrte Nelli mit offenem Mund an, das meinte sie gerade wirklich ernst. Selbst wenn ich wüsste, wie man andere dazu bringt, seinen Willen auszuführen, würde ich es jetzt nicht tun und außerdem konnte ich es nicht, ich hatte es noch nie getan. "Das werde ich ganz sicher nicht tun, Nelli.", sagte ich mit Nachdruck. "Du bist so ein Spießer! Weißt du, was ich alles machen würde, wenn ich solche Kräfte hätte?" "Ich will es mir gar nicht vorstellen." Der Verkäufer kam wieder und reichte uns einen Kassenzettel:"Das macht dann 40 Euro gerundet." Nelli drehte sich zu mir um und lächelte:"Meine Freundin bezahlt."

Jetzt war auch der letzte Cent weg. Mein ganzes Geld war für mein Aussehen draufgegangen. "Du hättest ihn auch einfach berühren können, dann hätten wir jetzt noch die Chance gehabt, uns etwas zu essen zu kaufen.", gab Nelli von sich, nachdem wir den Laden verlassen hatten. Ich rollte die Augen:"Warum ist das überhaupt immer so teuer?" "Wir hatten Markenprodukte, Rose. M-A-R-K-E-N.", sie buchstabierte das letzte Wort. "Okay, okay", ich winkte ab, "damit kenne ich mich nicht aus." "Weil du noch nicht genügend Zeit mit mir verbracht hast, Süße.", meinte Nelli und ich seufzte nur. "Wir fahren jetzt, oder?" Sie nickte:"Es sei denn, du hättest es dir anders überlegt." "Habe ich nicht.", sagte ich schnell, bevor ich mir noch etwas Anderes ausdenken konnte. "Gut, dann steht uns nichts mehr im Weg."

Wir liefen zurück durch das Einkaufszentrum in das Parkhaus und setzten uns ins Auto. Ich schnallte mich an und musste dann meine Hände ruhigstellen, um nicht zu zittern. Nelli warf mir einen vielsagenden Blick von der Seite aus zu:"Bist du wirklich sicher, dass du dazu bereit bist?" "Nelli, fahr einfach!", platzte es aus mir heraus und sie hob die Arme in die Luft, danach startete sie den Motor. Als das Auto rollte, konnte ich mich wieder beruhigen und ließ mich tiefer in den Sitz sinken. Es hatte mittlerweile wieder angefangen leicht zu regnen und ich lehnte mich ans Fenster. Es war jetzt wesentlich angenehmer mit trockenen Klamotten.
"Denkst du, dass sie dich erkennen werden?", fragte Nelli und setzte den Blinker nach rechts. Ich starrte auf das Armaturenbrett vor mir und klang dann ziemlich leise:"Ich weiß es nicht." "Bestimmt werden sie das, Rose. Deine Tante soll eine gute Königin sein, soweit ich weiß." "Ja?" "Ja. Das soll jetzt nicht heißen, dass deine Mutter keine war, aber naja, sie ist eben-", Nelli verstummte und ich schloss die Augen.

Meine Stimme klang fester, als beabsichtigt:"Verschwunden, sie ist verschwunden, in Ordnung?" "Natürlich!", Nelli nickte wild. Ich hätte mich weiterhin mit ihr unterhalten können, aber dafür fehlte mir der Gesprächsstoff. Alles in meinem Leben war mit Problemen verbunden, meine Familie, meine Freunde und auch was die Liebe anging. "Soll ich dann eigentlich auf dich warten?", fragte Nelli und riss mich somit aus meinem Halbschlaf. "Ich muss ja irgendwie wieder nach Hause kommen, also ja, wäre nett." "Okay, aber das wird nicht zu lange dauern, oder?" "Ich weiß es nicht.", sagte ich jetzt ausdruckslos. "Ist ja auch egal.", meinte sie und ich biss die Zähne zusammen. "Ist es." "Ich hoffe, du bekommst Antworten und das ganze wird sich aufklären, damit wir deine Mutter finden können.", murmelte meine beste Freundin. "Oh ja", fügte ich noch hinzu und öffnete die Augen, "das hoffe ich auch."

Nightmare-Ist Angst stärker als Liebe?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt