Ich sank ein wenig ein, als meine Schuhe den nassen, aufgeweichten Waldboden berührten und zog dann meine Jacke fester zu, da es immer noch nieselte. Meine Beine trugen mich einfach mitten in den Wald und ich hörte noch, wie Nelli den Motor ausstellte, dann war nach kurzer Zeit nur noch Regen und das Rascheln des Laubs unter meinen Füßen zu vernehmen. Du kannst das schaffen, flüsterte ich mir selbst zu und steckte meine Hände in die Jackentasche. Du wirst das schaffen. Ich sah mich in der Gegend um, der Wald war in Nebel gehüllt, was alles nochmal unheimlicher wirken ließ. Die Bäume wurden immer dichter und ich musste den ganzen Baumstämmen ausweichen, damit ich nicht irgendwo dagegen rannte. Meine Kette glühte nicht mehr und ich beschloss, mir darüber keinen Kopf mehr zu machen. Ich würde gleich meine leibliche Familie zu Gesicht bekommen und das war alles, was im Moment zählte. Umso weiter ich voranging, desto dichter wurde auch der Nebel und es fröstelte mich trotz der warmen Kleidung leicht.
Nach einigen weiteren Metern fragte ich mich wirklich, ob ich überhaupt richtig gelaufen war, oder hatte ich das Kraftfeld einfach nicht bemerkt und lief schon auf ihrem Territorium? Abrupt blieb ich stehen und sah mich um, aber außer Bäumen, Laub und Nebel konnte ich nichts erkennen, also lief ich weiter. Ich achtete wieder mehr auf den Boden, um nicht umzuknicken, oder zu fallen, als auf einmal etwas meine Aufmerksamkeit erregte. Ich starrte stur geradeaus und hatte wahrscheinlich die Augen aufgerissen. Vor mir endete der Nebel. Es sah aus, als wäre eine unsichtbare, undurchdringliche Wand vor mir aufgebaut, an der der Nebel einfach nicht vorbeikam. Er endete einfach und bildete eine kerzengerade Linie, die in die Höhe ging und jetzt war ich mir sicher, das musste das Kraftfeld sein.
Ich näherte mich diesem komischen Bild nur ganz langsam und blieb dann davor stehen. Abgesehen davon, dass der Nebel direkt hier endete, ließ sich das Kraftfeld auch so erkennen, denn es flimmerte auf eine seltsame Weise vor mir, als wäre die Luft elektrisch geladen. Eine ganze Weile starrte ich einfach vor mich hin, weil ich mich nicht zusammenreißen konnte, um einen Fuß über die Schwelle zu setzen. Ich spürte, dass mein Herz wie wild gegen meine Brust hämmerte, während ich einfach nur still dastand. Das ist verdammt nochmal nur ein Schritt, ich schüttelte den Kopf. Doch was würde passieren, wenn ich keine Morgen war? Würde ich zurückgeschleudert werden? Würde ich einen Alarm auslösen? Ich schloss die Augen, atmete tief durch und erinnerte mich dann an Nellis Worte von vorhin. Zeig ihnen, wer Melrose Morgen ist, und das würde ich.
Ohne zu sehen, trat ich einen Schritt nach vorne und dann noch einen. Für einen Moment traute ich mich nicht, die Augen zu öffnen, doch dann stand ich hinter dem Kraftfeld. Der Nebel türmte sich wie eine Grenze vor mir auf und ich starrte von meinen Füßen zurück auf die Stelle, auf der ich gerade noch gestanden hatte. Dann lachte ich los, ich lachte einfach lauthals los. Ich war auf dem Herrschaftsgelände der Familie Morgen und obwohl daran gar nichts lustig war, lachte ich, als hätte jemanden den besten Witz aller Zeiten gebracht. Die ganze Zeit über hatte ich solche Angst und jetzt stand ich einfach hier. Das war so surreal und es kam mir gerade so vor, als würde ich einfach von ganz weit weg zuschauen und gar nicht in meinem Körper drinstecken. Ich wusste, dass ich in der Nähe meiner leiblichen Familie war, aber ich konnte es einfach nicht realisieren. Jahre lang hatte ich auf diesen Tag gewartet und hatte mich gefragt, ob überhaupt jemand meiner Verwandtschaft existierte und jetzt stand ich einfach durch einen Schritt auf ihrem Zuhause, was also auch einst meines gewesen sein musste.
Nachdem ich mich beruhigt hatte, lief ich weiter und sah mich neugierig um. Der Nebel war hier nicht präsent, er blieb schön beim Kraftfeld, das sich wie ein ewig hoher Zaun in beide Richtungen erstreckte und die Außenwelt abgrenzte. Ich konnte mir ehrlich gesagt nicht vorstellen, dass Menschen hier einfach einen normalen Wald sahen, aber es musste so sein; für Luke wäre das Feld unsichtbar gewesen. Ich schluckte, wie konnte ich jetzt schon wieder an ihn denken? Schlag ihn dir endlich aus dem Kopf, redete ich mir ein und achtete dann wieder auf die Umgebung. Ich stellte jetzt erst fest, dass es nicht mehr regnete und allgemein nur noch nach Wald und nicht nach Unwetter roch.
Mein Blick schweifte von links nach rechts, in der Hoffnung, irgendetwas zu erkennen, doch es reihten sich nur etliche Bäume vor mir auf. Vielleicht hielt ich auch einfach nur nach der Morgentanne Ausschau, aber die könnte ich doch nicht übersehen, oder? Sie war so viel größer als der Rest und zudem noch mit zig Einkerbungen übersäht. Irgendein Impuls in mir gab mir das Gefühl, dass ich es spüren würde, wenn ich in der Nähe der Quelle meiner Macht wäre.
Mein Herz klopfte immer noch und ich riss mich zusammen, um weiterzulaufen. Als ein Ast knackte, fuhr ich erschrocken herum, doch konnte weit und breit nichts sehen. Jetzt bildete ich mir also schon wieder Dinge ein. Ich musste diesen Verfolgungswahn endgültig hinter mir lassen. Meine Beine trugen mich wieder vorwärts und ich setzte mich endgültig in Bewegung, bis ich immer schneller wurde. Es knackte wieder und ich erhöhte das Tempo erneut, bis ich rannte. Ich rannte und rannte und rannte, sodass man das Laub und meinen Füßen hörte. Den Bäumen vor mir wich ich gekonnt aus, als würde ich jeden Tag solche Strecken laufen. Doch auch der Gedanke daran, wo ich gerade war, hielt mich nicht davon ab, mein Tempo zu steigern und zu steigern. Ich versuchte vor meinem Gefühlschaos davon zu rennen und wie gut mir das gelang, war Ansichtssache. Wahrscheinlich wäre ich gerannt, bis zum Umfallen, doch dann schrie eine aggressive Stimme mir zu:"Sofort stehenbleiben!"
Mir gefror das Blut in den Adern und ich hielt abrupt an. Mein ganzer Körper zitterte und ich atmete unruhig, sodass sich mein kompletter Brustkorb unregelmäßig hob und senkte. Vor mir erschien eine Gestalt, doch ich traute mich nicht, die Augen nach oben zu richten, stattdessen starrte ich weiterhin den Boden vor mir an.
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Ich bin scheiße, ich weiß.
Gern geschehen.😌
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Nightmare-Ist Angst stärker als Liebe?
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