Teil 61

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Nachdem ich meine Kinnlade wieder nach oben klappen konnte, versuchte ich gefasst weiterzureden:"Ich denke, er kann das auch alleine erledigen." "Ich weiß doch nicht mal wie Paniermehl aussieht.", sagte er mit einem gehässigen Grinsen. Meine Adoptivmutter lächelte aufrichtig:"Ich fände es gut, wenn ihr mal etwas zusammen macht." Ich sah zwischen beiden hin und her:"Woher soll ich wissen, dass das keine Falle ist und ihr wieder irgendwelche Tests mit mir durchführt?" Mein Vater wirkte belustigt, während meine Mutter mich gekränkt anschaute:"Denkst du das wirklich?" "Ich weiß nicht, was ich denken soll.", fauchte ich zurück. Keiner wusste jetzt noch etwas zu sagen und ich wurde von beiden Seiten angestarrt. "Na gut, fahren wir.", damit machte ich auf dem Absatz kehrt und begann meine Schuhe zu binden. Er trat mir gegenüber:"Vielleicht werden wir ja wirklich noch Freunde, Melrose." Ich schenkte ihm keine Aufmerksamkeit und murmelte nur:"Das glaubst du doch genauso wenig wie ich." Mit einem lauten Lachen schloss er die Tür hinter uns. Im Auto drehte er das Radio lauter und sang zu irgendeinem alten Country Song. Ich beobachtete die Häuser, die vorbeizogen, dabei waren ja wir diejenigen, die sich bewegen. Mein Blick wanderte zu meinem Adoptivvater und ich fragte mich, wie das eigentlich alles so kommen konnte. Er hatte meinen Arm gebrochen und ich hatte sein Leben komplett verändert und das nicht gerade zum Positiven. Hatte er also das Recht so zu reagieren, wie er es tat?

War er vielleicht ein wenig so wie mein leiblicher Vater? Über ihn wusste ich ehrlich gesagt rein gar nichts und ich würde ihn auch nie persönlich kennenlernen können. Ich atmete tief durch und konzentrierte mich wieder auf die Häuser und ehe ich mich versah, parkten wir auch schon auf dem Parkplatz des Lebensmittelgeschäft. "Soll ich mit reinkommen?", fragte er und ich überlegte augenblicklich. Wollte er mich hier zurücklassen? Er würde schön mitkommen. "Komm lieber mit hinein." Er zuckte nur wenig begeistert mit den Schultern:"Wenn du das so willst." Also maschierten wir zusammen auf den Eingang zu und hielten genug Abstand zueinander. Ich sah mich um und suchte das richtige Regal, um das Mehl zu finden, während er mir hinterherlief. "Ich habe es gefunden!", ich hielt ihm die Packung entgegen. "Gut, brauchst du sonst noch etwas?" Ich sah ihn misstrauisch an, seit wann konnte er nett sein? "Nein, ich habe alles." "Dann können wir ja zur Kasse.", er ging an mir vorbei und steuerte direkt auf die Kassen zu. Wie ausgetauscht lief ich ebenfalls denselben Weg, was zur Hölle war nur auf einmal in ihn gefahren? Wir bezahlten und fuhren zurück nach Hause, als wären wir Vater und Tochter, als wären wir eine ganz normale Familie. Als wir kurz vor unserem Haus waren, hielt ich es nicht mehr aus:"Warum warst du jetzt so nett?" Wieder huschte ein Lächeln über sein Gesicht:"Keine Sorge, ich kann dich nach wie vor nicht leiden." "Warum dann?" "Ihr zuliebe, ich versuche mit dir klarzukommen, um sie nicht zu verlieren." Darauf antwortete ich nicht, sondern wandte den Blick der Einfahrt zu. Wie lange würde er das durchziehen?

"Wir haben Paniermehl bekommen!", rief mein Vater meiner Mutter zu und sie lächelte zurück. "Ich habe schon Salatdressing gemacht, aber vielleicht sollte das einer von euch vorher nochmal probieren." "Das kann Melrose machen, ihr wolltet ja sowieso zusammen kochen.", damit verdrückte er sich wieder auf die Couch. "Wo ist das Dressing denn?", fragte ich und ignorierte die Tatsache, dass die beiden gerade so gesprochen hatten, als wäre ich gar nicht anwesend. "Ist irgendetwas passiert?", flüsterte meine Mutter stattdessen. "Passiert?", wiederholte ich. "Hat er irgendetwas Dummes versucht?" Jetzt verstand ich, worauf sie hinaus wollte. Mein Adoptivvater hatte nicht versucht mir weh zu tun, aber das Gegenteil zu behaupten war eine große Verlockung. Allerdings hatte er sich heute wirklich Mühe gegeben:"Nein, er war sogar relativ nett zu mir." Ihre Besorgnis verwandelte sich augenblicklich in Freude:"Ich wusste doch, dass du ihm etwas bedeutest." Dazu sagte ich nichts und machte mich lieber daran die Schnitzel richtig zuzubereiten. Zu zweit zu kochen machte sogar ein wenig Spaß. Wahrscheinlich würde ich es sogar öfter machen, wenn es nur nicht mit diesem ständigen Sicherheitsabstand verbunden wäre. "Kannst du mir mal eine Gabel bringen?", fragte meine Mutter mich und ich reichte ihr eine. Sie probierte die Nudeln und nickte dann:"Wir können essen." Schon ein paar Minuten später saßen wir zu dritt am Tisch und das Essen schmeckte heute wirklich richtig gut. "Ihr solltet öfter zusammen kochen.", er lächelte, aber sah dabei nur seine Frau an. Sie nickte eifrig:"Auf jeden Fall. Schmeckt es dir auch, Rose?" Ich nickte und konzentrierte mich wieder voll auf meine Gabel. "Ich gehe heute Abend zu einer Freundin." "Aus der Schule?", fragte mein Vater. "Ja, wir treffen uns so gegen sieben." "Habt ihr etwas Bestimmtes geplant?" "Nein, Mum. Wir wollen nur einen Film anschauen und ein bisschen zusammen abhängen." Bei diesen Worten wurde mir erst richtig klar, wie sehr ich mich eigentlich nach so einem Abend sehnte.

Nightmare-Ist Angst stärker als Liebe?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt