Teil 110

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"Keiner drängt sie zu etwas.", Mayras Stimme hallte von sehr weit weg an mein Ohr und ich versuchte mich zu bewegen, doch es ging nicht. Meine Augenlider waren zu schwer und ich sah lediglich kurz ein Licht auf flimmern, dann war es wieder dunkel. "Ich wollte sie nicht rauslassen, aber sie hat mich dazu gezwungen.", das war Nelli. "Ich habe sie allein gelassen, das ist meine Schuld.", Jakes Stimme war voller Schmerz und es tat weh, das zu hören. "Steve Wilson ist eine Gefahr für die Allgemeinheit. Wahrscheinlich wollte er Melrose wieder zu den Menschen zurückholen. Er ist jetzt nicht mehr in der Lage irgendjemanden von seinen kranken Ansichten zu überzeugen.", das war wieder meine Tante.
Sie lügt. Sie hat schon die ganze Zeit über gelogen.
Ich will mich aufrichten und etwas sagen, doch meine Glieder sind schwer und mein Mund trocken.
"Hat er sie verletzt?", fragte Jara. "Nicht körperlich, nein. Zumindest konnten wir nichts feststellen.", Mayras Stimme klang monoton und ich fragte mich, ob das wirklich wahr sein konnte. Hatte sie ihre eigene Schwester vom Thron gestürzt, nur um selbst darauf zu steigen? Konnte man so selbstsüchtig sein? Mein Kopf tat immer noch höllisch weh, doch ich zwang mich dazu, mich zu erinnern. Darius, Steve erwähnte Darius Schwarz. Mein Literaturlehrer war kein Lehrer, er war ein Nachkomme einer königlichen Familie. Steckte wirklich meine Tante hinter alldem?

Jetzt öffne doch endlich die Augen, Rose! Ich versuchte es nochmal und dieses Mal funktionierte es. Grelles Licht zwang mich allerdings dazu, die Augen gleich wieder zu schließen. "Sie ist wach!", meine beste Freundin näherte sich mir und ich stellte jetzt erst fest, dass ich lag und mich nicht mehr draußen im Regen befand. Als ich die Augen wieder aufschlug, war es nicht mehr so hell und ich konnte langsam den Kopf drehen. Da war Nelli, die vor mir kniete, Jara, die unbeholfen neben ihrem Zwilling stand, Jake hatte den Kopf schief gelegt und sah mich mit einem schmerzverzogenen Blick an, meine Großeltern und Mayra. Alle, außer den Zwillingen und meiner Tante, rückten ein Stück näher.
"Wie fühlst du dich?", fragte mein Großvater. "Ganz okay.", ich richtete mich ein wenig auf und sah, dass ich in meinem Gemach lag und alle versammelt um mein Bett standen.
Meine Tante wedelte hektisch mit den Händen in der Luft herum:"Sie braucht jetzt Ruhe und außerdem möchte ich mit ihr allein sprechen."
Meine Kiefermuskeln spannten sich automatisch an und ich schluckte. Nelli drückte mir kurz die Schulter und erhob sich dann wie der Rest, natürlich tanzten sie alle nach ihrer Pfeife, wie sollte es auch anders sein? Ich beobachtete, wie sie alle zügig den Raum verließen und dann blieben nur ich und Mayra zurück. Genauestens begutachtete ich jede einzelne Bewegung von ihr, wie sie in ihrem schwarzen Samtkleid die Tür schloss und sich durch die ebenso pechschwarzen Haare fuhr.
In diesem Moment verspürte ich nichts als Hass, tiefen Hass ihr gegenüber, für alles was sie getan hat, was sie gerade tut und noch tun wird.

Sie kommt lächelnd auf mich zu und da wird mir klar, dass Steve recht hat. Ihr Lachen erreichte nie ihre Augen. Eigentlich war sie kalt und distanziert. Sie wusste so viel über mich und ich fast nichts von ihr, doch das hatte sich jetzt geändert. Nun wusste ich mehr, als ihr lieb war und das sollte sie am besten gar nicht erst erfahren.
Die Matratze sank ein wenig unter ihrem Gewicht ein:"Tut dir der Kopf weh?" "Ja.", presste ich hervor. "Das ist normal. Ich habe dir befohlen zu schlafen; das hat oft diese Nebenwirkung."
Deswegen war alles so schnell schwarz geworden. Ich musste in meiner Rolle bleiben, die Unwissende spielen:"Danke." Allem in mir widerstrebte es, dies zu sagen, doch ich wusste, dass es wichtig war, ich wusste es einfach.
"Kannst du darüber reden?", ihr Lächeln wurde immer breiter, während ihre Augen immer kälter wurden. "Ja."
"Wenn etwas zu schnell geht, sag es einfach, dann sprechen wir wann anders.", sie blickte mich durchdringend an und ich nickte, dann fuhr sie fort, "War er allein?" Ein Bild von Luke blitzte vor mir auf und ich warf einen Blick nach draußen, wo es immer noch stürmte. Steve hatte gesagt, er sei auch auf dem Herrschaftsgelände. Ich konnte nur hoffen, dass er noch da draußen im Regen herumirrte und vielleicht sogar wieder gegangen war.
"Er war allein.", ich sah Mayra direkt in die Augen und eigentlich war das ja auch nicht gelogen. Sie beobachtete mich, als würde sie darauf warten, dass ich einen Fehler beging. "Dann war er wahrscheinlich der einzige Eindringling." "Habt ihr sonst niemanden gefunden?", die Worte hatten schneller meinen Mund verlassen, als dass ich vorher hätte nachdenken können. Meine Tante schüttelte aber nur den Kopf:"Wir haben nur ihn gefunden."

Nightmare-Ist Angst stärker als Liebe?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt