Teil 10

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Er hatte sich einen Anzug besorgt, der ihn komplett bedeckte, und noch bevor ich reagieren konnte, packte er meinen kaputten Arm und versuchte ihn zu brechen. Es knackte.
Ich schrie, ich hatte das Gefühl, mein Arm würde jeden Moment explodieren, es pochte heftig und einer meiner Blutergüsse hatte irgendwie begonnen zu bluten.
Sein Griff umschloss meinen anderen Arm durch das Oberteil und ich konnte mich nicht wehren, der Schock saß zu tief, doch kurz bevor er meinen zweiten Arm brechen konnte, fiel er um.
Ich sah erschrocken hoch. Meine Adoptivmutter stand mit einer Pfanne hinter ihm. "Oh mein Gott, Melrose!", sie zog mich am Ärmel nach unten und verständigte einen Notarzt.
Ich sei in einen Dornenbusch gefallen, wo eine alte Säge gelegen hatte. Hätte ich nicht so höllische Schmerzen gehabt, hätte ich darüber bitter gelacht.
Ich hörte die Sirenen und Männer mit komischer Kleidung stürmten zu mir, es war wie einem Film, irgendwie war alles so verdammt unrealistisch.
Das Letzte, was mir auffiel, war, dass alle Handschuhe trugen, danach wurde alles schwarz.

Ich öffnete die Augen, aber ich sah nur verschwommen.
In einem hellen Raum saß irgendeine Person, deren Umrisse ich nicht richtig ausmachen konnte. Nach ein paar Mal Blinzeln wurde meine Sicht allmählich besser und der helle Raum entpuppte sich als Krankenhauszimmer, doch die unbekannte Person blieb weiterhin unbekannt.
Mein Blick glitt an meinem Körper herab, ein Arm war vergipst und mein anderer verbunden. Ich spürte glücklicherweise keinen Schmerz, was mir ein wenig seltsam vorkam.
"Dein linker Arm ist gebrochen und dein rechter hat ein paar Macken abbekommen, also haben wir Salben daraufgeschmiert. Außerdem haben wir dir Schmerzmittel verabreicht, damit du ruhig aufwachen kannst und pass beim nächsten Mal doch besser auf, wenn du im Wald spielst", der Arzt stand auf und wandte sich zum Gehen.
Hatte ich das gerade richtig verstanden? Dieser Mann glaubte also die peinliche Geschichte, die meine Adoptivmutter sich zurechtgelegt hatte? So würde ich sicherlich nicht mit mir reden lassen.
Ich lächelte: "Natürlich mache ich das, aber können Sie kurz nach dem Verband schauen, irgendwie brennt da etwas." Er sah mich erschrocken an, er sollte mich also auch nicht berühren.
"Eigentlich solltest du gar nichts spüren", seine Stimme wurde gegen Ende des Satzes immer leiser.
"Tue ich aber. Sie sind doch der zuständige Arzt, oder täusche ich mich da etwa?", fragte ich mit meiner Unschuldsstimme.
"Ja, selbstverständlich", er kam unsicher an mein Bett.
Zögerlich streckte er die Hand nach mir aus und ich ergriff sie, noch bevor er die Gelegenheit hatte, sie zurückzuziehen. Ich wusste nicht, was in mich gefahren war, aber ich hatte immer noch so unglaublich viel Wut in mir und die musste ich irgendwie herauslassen. Für mich hätte keine bessere Gelegenheit kommen können.
In der Vision war ich auf einem OP-Tisch und lag gerade im Sterben, als er schrie: "Nein, nein, rettet sie!" Der Monitor des Messgerätes für die Herzfrequenz zeigte nur noch eine gerade Linie an und ein unfassbar lautes Piepsen schmerzte einem in den Ohren.
Das sollte schon reichen. Ich zwang mich dazu, ihn loszulassen, auch wenn es kurze Zeit dauerte und mich unheimliche Überwindung kostete.
Schweißperlen hatten sich auf seiner Stirn gebildet, seine Haut war jetzt so weiß wie die Wand und sein Atem ging unregelmäßig. Er starrte mich panisch an, wie um sich zu vergewissern, dass ich nicht gestorben war.
"Wir werden uns noch öfter sehen, keine Sorge, und passen Sie doch nächstes Mal besser auf, mit wem Sie spielen", ich grinste ihn breit an und er stürmte förmlich aus dem Zimmer. Ich lehnte mich zurück und sah an die Decke, manchmal war es vielleicht doch recht hilfreich, ein Monster zu sein.
Ich fragte mich, wie das weitergehen sollte, Lügen über Lügen, Eltern die mich gar nicht wirklich wollten und mit Fähigkeiten für ein ganzes Leben gestraft.
Ein leichtes Stechen machte sich in meinem Arm breit, anscheinend verloren die Schmerzmittel ihre Wirkung. Ich schaute zu meinem Verband und dann zu meiner Hand, mit der ich dem Arzt gerade gelehrt hatte, dass man nicht so mit mir umgehen konnte. Wie hatte ich überhaupt so schnell aufhören können? Wie hatte ich die Vision so schnell abbrechen können? Sonst war es ziemlich unmöglich, sich diesem Rausch zu entziehen. Vielleicht war ich ja wirklich besser geworden, nur wodurch sollte das ausgelöst worden sein?
Um realistisch zu bleiben, ich war noch lange davon entfernt, meine Fähigkeiten abzustellen, jedoch war es immerhin ein Anfang.
Ich beobachtete die Uhr und ihre viel zu langsamen Zeiger. Die Zeit wollte einfach nicht vergehen. Nach einer gefühlten Ewigkeit, was in Wirklichkeit nur eine halbe Stunde war, wurde die Tür geöffnet.
Meine Mutter kam zögerlich herein: "Wie fühlst du dich?"
"Die Schmerzen kommen langsam, aber es ist erträglich", erwiderte ich und starrte weiterhin die Uhr an.
Sie stand unschlüssig am Ende des Bettes: "Es tut mir so leid."
Nun sah ich sie an: "Das ist nicht deine Schuld, du hast mir geholfen." Ich atmete tief durch: "Wo ist er jetzt?"
"Er schläft seinen Rausch aus", sie blickte gen Boden.
Ich zog die Augenbrauen hoch: "Ist das dein Ernst?" Sie zuckte mit den Schultern und widmete immer noch dem Boden ihre volle Aufmerksamkeit. "Und, was jetzt? Willst du so weitermachen wie schon die ganze Zeit?", ich war fassungslos.
"Das wird nicht nochmal passieren, versprochen."
Ich lachte und in dem Moment kam eine Krankenschwester herein: "Ich werde deiner Mutter alles erklären mit der Medizin." Meine Adoptivmutter sah aus als wäre sie erleichtert, endlich von mir wegzukommen. Sie gingen auf die Tür zu.
"Warum macht das nicht der Arzt?", fragte ich.
Die Krankenschwester sah mich ernst an: "Doktor Klag hat vorhin ohne ein Wort gekündigt."
Die Tür wurde geschlossen. Seltsamer Zufall.

Ich stand kurze Zeit später auf und verließ das Zimmer, weil es mir zu langweilig wurde. Typischer Krankenhausgeruch stieg mir in die Nase, widerlich.
"Was machst du denn hier?", meine Adoptivmutter kam mir entgegen.
"Ich werde behandelt wie eine Fünfjährige, ich bekomme nicht einmal gesagt, wann ich nach Hause komme."
"Jetzt."
"Na dann, gut. Gehen wir?"
"Willst du dich nicht noch umziehen?"
Ich blickte an mir herab: "Ich finde Krankenhauskleider stylisch."
Sie schüttelte den Kopf, drehte sich um und ging in Richtung Ausgang, woraufhin ich ihr folgte. Sie reichte mir meine Turnschuhe, in die ich dann schnell schlupfte. "Du gehst am Mittwoch das erste Mal in deine neue Schule", meinte sie beiläufig, als wir am Auto waren und das Ganze klang eher wie ein viel zu langes und viel zu grässliches Machtwort.
Juhu: "Okay."
Die Fahrt war ziemlich ruhig, im Radio lief nur ein uraltes Lied, das ich hasste. Nach einer viertel Stunde bogen wir in unsere Einfahrt ein. Ich mochte das Haus, jedoch fühlte es sich nicht nach einem Zuhause an.

Nightmare-Ist Angst stärker als Liebe?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt