Teil 96

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"Wir müssen noch ein paar Treppen nach oben.", meinte Erik beiläufig als wir durch einen Gang mit gewölbten Decken gingen. "Jemand muss auch noch meine Adoptiveltern verständigen!", platzte es aus mir heraus. Er lächelte:"Das vergisst Mayra ganz sicher nicht." Nelli räusperte sich und klang dann viel leiser als sonst:"Ich will ja nicht unhöflich wirken, aber wir haben weder Klamotten, noch Abschminksachen, geschweige denn irgendetwas dabei." Ich sah, dass Erik ein lautes Lachen unterdrückte:"Sollte uns mal das Geld für eine Zahnbürste ausgehen, komme ich auf diese Aussage zurück, aber keine Angst, Nelli, es ist für alles gesorgt." Er hatte ihren Namen extrem betont und ich biss mir auf die Lippe, um mein Grinsen zu unterdrücken. Meine beste Freundin wurde rot und wandte dann den Blick ab:"Klingt gut."

Wir liefen eine schwarze, mit goldenen Ornamenten verzierte Treppe herauf und dann wurden die Stufen wieder weiß, als wir noch höher gingen. "Im vierten Stock befinden sich nur die Gästeräume, auch wenn, naja, Melrose, du könntest natürlich auch in dein eigenes Gemach.", Erik sah mich unsicher an, als hätte er gerade etwas Falsches gesagt. Mir klappte die Kinnlade nach unten:"Ich habe ein Zimmer?" "Natürlich, dieses Schloss ist so riesig, dein Gemach wurde nie von jemand anderem bewohnt, als du weg warst." Als ich weg war. Diese Worte lösten ein warmes Kribbeln in meinem Bauch aus; ich war hier wirklich zu Hause. Wenn ich daran denke, wie oft ich schon umgezogen war, wegen dem, was ich bin, und jetzt werde ich hier aufgenommen, wegen genau dem, wer ich bin, überkommt mich ein gutes Gefühl. Ich sehe schnell zur Seite und versuche die Freudentränen zu unterdrücken, doch schüttele dann den Kopf:"Ich bleibe in der Nähe von Nelli." Er nickte:"Wie du wünschst."
Der Boden im Gästetrakt bestand aus Marmor und die Türen waren mindestens doppelt so hoch wie ich groß war. "Das ist das Gemach für dich, Nelli.", er lächelte nicht, aber seine Augen verrieten sehr wohl, dass er sich freute, ihr so etwas zu zeigen. Erik öffnete die Tür und ließ uns zuerst eintreten. "Oh mein Gott!", Nelli stieß einen Freudenschrei aus. Auch ich war überwältigt.

Die Fläche des Raumes hätte als Tanzfläche locker ausgereicht und alles sah aus, wie aus diesen typischen alten Filmen, in denen hochnäsige Prinzessinnen sich über die Einrichtung beschwerten. Jetzt konnte Erik seine Belustigung nicht mehr unterdrücken und lehnte sich mit verschränkten Armen gegen die Wand:"Sagt, wenn ihr fertig seid." "Bin fertig.", sagte ich, sah mich aber trotzdem noch weiterhin um. Nelli drehte sich zu uns um und grinste vom einen bis zum anderen Ohr:"Ich hatte noch nie sowas!" Erik stieß sich von der Wand ab und nickte mit dem Kopf in Richtung Gang:"Komm, Melrose, ich zeige dir dein Gemach, es ist gleich nebenan. Nelli, du kannst dich ja weiter umsehen." Wieder lachte er leise auf und meine Freundin stemmte die Hände in die Hüften:"Und das werde ich auch." Sie schloss die Tür hinter uns und ich schüttelte nur lächelnd den Kopf. "Ist sie immer so?", fragte Erik mich. "Wenn es um sowas geht, ja, definitiv." "Nun gut, du wirst auch nicht schlecht staunen, wenn du das Gemach siehst, das dir gehört und nicht in diesem Gästetrakt liegt." "Mir reicht es, wenn ich es morgen sehen kann." Erik zuckte mit den Schultern und öffnete dann die Tür zu meinem Zimmer.

Es war genauso groß wie Nellis und eigentlich konnte man dazu schon gar nicht mehr Zimmer sagen, es hatte eher die Größe einer Wohnung. Die Fenster führten zu Balkonen, von denen man auf den Innenhof sehen konnte und ein überdimensional großes Himmelbett stand rechts von mir an der Marmorwand. "Das ist so unglaublich.", murmelte ich. "Das Schloss hat noch viel schönere Orte, das kannst du mir glauben." Ich sah ihm ins Gesicht:"Ich meine doch gar nicht das Schloss, ich meine alles. Ich stehe hier und ich bin Zuhause, ich habe eine Familie." Erik lächelte schief:"Hat nicht jeder eine Familie?" Ich schüttelte den Kopf und konnte dann die Tränen nicht mehr zurückhalten:"Nicht jeder." Er kam näher und legte mir einen Arm auf die Schulter:"Ich finde, dass wir uns auch eine Familie aufbauen können, ohne dass wir verwandt miteinander sind." Meine Adoptiveltern, Nelli, Wendy, Steve und sogar Luke tauchten vor mir auf:"Oh ja, da hast du recht."

Nightmare-Ist Angst stärker als Liebe?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt