Teil 115

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Seine Haare waren verstrubbelt und sein Oberteil nass, obwohl es gar nicht mehr regnete. Ich bekam den Mund einfach nicht auf. "Melrose, ich, wo soll ich anfangen?", Lukes Augen funkelten so blau wie immer, ein blau, das einen an das wilde, tobende Meer erinnerte.
Er lebte, er war wohl auf, ich hätte vor Freude heulen können und ohne nachzudenken fiel ich ihm um den Hals. Er war überwältigt, das merkte man ihm an, denn seine Arme schlossen sich zögerlich um mich. "Du lebst.", flüsterte er in mein Haar. "Und du bist hier.", murmelte ich gegen seine Brust. "Wir müssen von hier weg, Rose, sofort. Ich habe schon die Nacht hier draußen verbracht, das reicht, lass uns verschwinden." Diese Worte erfüllten mich mit solchen Glücksgefühlen, dass ich am liebsten sofort losgerannt wäre, doch das ging nicht. Ich löste mich aus der Umarmung:"Sie hat deinen Vater." "Was?", er wurde bleich. "Meine Tante, sie will Steve hinrichten lassen.", ich griff nach seiner Hand und er starrte auf meine Finger, die seine Haut berührten und nichts geschah. "Du beherrschst dich."
Hatte er meine Worte nicht verstanden? "Ja, aber Luke, hast du mir zugehört?" Er war mittlerweile kalkweiß und starrte mich an wie einen Alien. "Sie will meinen Vater töten?", seine Stimme zitterte.

Ich drückte seine Hand fester und er sah mich an. "Luke, du musst dich verstecken, wenn dich jemand sieht, wird er nicht zögern, dich auszuliefern.", murmelte ich und blickte mich nervös um. "Mein Vater wird sterben?" "Nein, das lasse ich nicht zu." "Wo ist er jetzt?" "Ich- ich weiß es nicht." Sein Körper zuckte kurz zusammen:"Dann werde ich ihn finden und du verlässt das Gelände." "Luke, nein. Du bist hier nicht sicher, du musst auf der Stelle verschwinden!"
"Da hat sie recht.", erklang eine andere Stimme hinter mir und ich fuhr herum, Erik.
Mein Puls beschleunigte sich und ich stellte mich vor Luke:"Bleib hinter mir!" Das war ein Befehl, da ich wusste, er würde sich sonst nicht daran halten. "Wer ist das?", fragte Luke, er klang aggressiv. "Das wird Mayra brennend interessieren, Melrose." "Erik, was willst du?", zischte ich und trat näher auf ihn zu. "Wegen dir ist Nelli gegangen." Ich verstand nicht:"Was?" Erik schüttelte den Kopf:"Er ist ein Mensch, nicht wahr?" "Bleib weg von ihm!", schrie ich und er trat noch näher. "Wieso beschützt du einen Menschen?" "Warum verfolgst du mich?" "Warum ist Nelli ausgezogen?" Ich hielt seinem Blick stand. "Du magst sie und bist wütend auf mich.", stellte ich fest und er kam noch einen Schritt auf mich und Luke zu. "Da hast du deine Antwort, jetzt sag mir, warum ich nicht auf der Stelle Mayra davon erzählen soll, dass sich ein Mensch auf dem Herrschaftsgelände befindet."

Ich biss die Zähne zusammen:"Das kann ich nicht." "Gut, dann hätten wir das geklärt." "Schlaf!", sagte Erik und Luke fiel hinter mir zusammen. Sofort bückte ich mich und rüttelte ihn:"Wach auf!" Erik lachte:"Er wird zuerst meinem Befehl folgen, Melrose." "Warum hast du das getan?", mir traten Tränen in die Augen. "Oh mein Gott, sag nicht, dass dieses Wesen dir etwas bedeutet, er ist ein Mensch, er ist ein Nichts!" Ich stand extrem schnell auf und packte Erik am Hals. "Er ist kein Nichts!" Sein Grinsen wich nicht von seinem Gesicht, auch als ich seine Kehle fester zudrückte. "Sie ist schon auf dem Weg hierher. Mayra ist gleich hier." Ich ließ ihn los und er fiel auf die Knie, wo er zu husten begann, dann sah ich den kleinen Chip, der blinkend an seinem Kragen saß. "Was ist das?", schrie ich. Er antwortete nicht, er würgte nur. "Was ist das?", ich zwang ihn, mich anzusehen. "Ein GPS Signal mit Lautsprecher.", meine Tante stand direkt neben mir. Ich richtete mich auf:"Ich wusste nicht, dass er hier draußen ist." "Das ist Steve Wilsons Sohn.", Mayra trat an mir vorbei und bückte sich zu ihm, "Ich hoffe, du kannst mir das erklären." Sie hielt das Gegenstück des Chips, das an Eriks Kragen hing, in die Luft. Ich bekam den Mund nicht auf, ich hatte solche Angst, dass ich mich kaum bewegte, sie hatte mitgehört, aber ich hatte doch nicht verraten, was ich wusste, oder?
"Wieso wollte Luke Wilson mit dir von hier verschwinden?" Ich schluckte, reime dir schnell etwas zusammen. "Ich habe mit ihm telefoniert. Er wollte mich nicht vergessen und ich ihn auch nicht, deswegen ist er hier, deswegen ist er mitgekommen. Er wollte mit mir verschwinden." "Und wolltest du das auch?", sie zog die Augenbrauen zusammen und ich entschuldigte mich im Kopf tausend Mal bei Luke. "Nein, ich will bleiben."
"Er bedeutet dir etwas.", Mayra richtete sich wieder auf, sodass sie größer war als ich. "Ja.", ich sah sie nicht an. "Du weißt, dass ich das nicht ungestraft lassen kann und ihn schon gar nicht gehen lassen kann, ohne vorher sein Gehirn zu bearbeiten."

"Was?", platzte es aus mir heraus. "Er ist ein Mensch und er weiß von unserer Existenz. Er würde uns alle gefährden, deswegen werde ich ihm die Erinnerungen an uns nehmen, und an dich." Ich hatte das Gefühl, die Welt drehte sich viel zu schnell:"Nein!"
Mayra lächelte:"Das wird auch die Strafe für dich. Erik!" Er rieb sich über den Hals, funkelte mich böse an und sah dann zu meiner Tante:"Ja?" "Trag Luke zum Schloss, immerhin ist das dein Werk.", sie deutete abfällig auf seinen schlafenden Körper. "Nein.", murmelte ich und sah zu, wie Erik sich Lukes schlaffen Arme über die Schulter hängte. "Das kannst du nicht tun!", ich wandte mich an Mayra, doch sie lachte nur auf. "Natürlich kann ich das, es ist sogar nötig, er gefährdet uns." "Luke würde uns nie verraten!", ich lief neben Mayra her und bettelte sie förmlich an. "Sei froh, dass ich nicht an deinen Erinnerungen spiele, Melrose." Ich starrte sie an und fragte mich, ob sie das überhaupt konnte, allerdings wollte ich es nicht darauf ankommen lassen. "Bitte, es gibt doch sicher einen anderen Weg!", flehte ich. "Sei nicht so kindisch und sieh der Tatsache ins Auge, Melrose." "Ich liebe ihn!", schrie ich jetzt heraus, doch selbst darauf reagierte sie nicht anders. "Herzzerreißend, hätten wir das jetzt geklärt?" Ich sah panisch um mich, konnte ich sie angreifen? Und dann noch Erik überwältigen? Das konnte nicht klappen. Lass dir etwas einfallen, redete ich mir zu, aber mir fiel nichts ein. "Hast du noch nie jemanden geliebt?", meine Stimme klang total kläglich und ängstlich. Daraufhin lachte Mayra:"Keinen Menschen, nein."
Damit hatte sie meine Frage nicht richtig beantwortet.

Ich sah Lukes Kopf der hin und her schwankte:"Pass doch auf, Erik!" Dieser drehte sich nur genervt um:"Ich kann ihn auch fallen lassen, wenn dir das lieber ist." "Ich werde dich-" Mayra stöhnte:"Ruhe, ihr seid ja schlimmer als Dreijährige!" Ich verstummte, doch ließ ihn nicht aus den Augen. Ich hatte bestimmt noch bis morgen Zeit, mir einen Plan zu überlegen. An diesen Gedanken klammerte ich mich und das war auch der einzige Grund, warum ich nicht auf der Stelle zusammenbrach.
Im Gebäude angekommen, brachte mich Mayra in mein Zimmer und schloss ab.
"Damit du nicht auf dumme Gedanken kommst, bis diese Sache erledigt ist.", hatte sie gesagt.
Ich presste mein Ohr gegen die Tür, um zu lauschen.
"In einer Stunde sollte er aufgewacht sein, dann kümmern wir uns um ihn.", Mayra. "Soll ich bei ihrem Zimmer Wache halten, während es geschieht?", das war Erik. "Nicht nötig, sie wird dabei sein, sie wird sich anschauen wie ihr mickriger, menschlicher Freund seine Erinnerungen verliert. Das soll sie lehren, was es für Folgen nach sich zieht, wenn man sich mit ihnen anfreundet."
Ich stolperte ein paar Schritte rückwärts von der Tür weg. Sie wusste, dass ich lauschte, sie wollte, dass ich das hörte.

Mir blieb also ungefähr eine Stunde, um mir etwas einfallen zu lassen.

Nightmare-Ist Angst stärker als Liebe?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt