Teil 72

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Noel blieb noch kurz stehen, bis ich in den Bus eingestiegen war und winkte mir dann noch zu, bevor er verschwand. Seufzend ließ ich mich auf einen Platz im hinteren Teil des Busses fallen. Ich konnte nur mit Noel hoffen, dass Luke sich abregen würde, aber daran glaubte ich nicht wirklich, doch zumindest könnte er damit aufhören, mich jedes Mal, wenn er mich sah, blöd anzumachen. Es war ja nicht meine Schuld, dass ich in seiner Klasse war, oder doch. In gewisser Hinsicht war ich schon der Grund dafür, dass wir überhaupt hierher gezogen waren. Ich schloss die Augen, Lukes Leben wäre leichter ohne mich. Die Türen schlossen sich zischend und somit blieb die Kälte draußen. Es ruckelte ein wenig, als sich der Bus in Bewegung setzte und ich ließ mich noch tiefer in den Sitz sinken. Um mich herum saßen noch einige, aber davon kannte ich niemanden und sie schienen auch nicht Notiz von mir zu nehmen. Der Fahrer hielt an der ersten Haltestelle und ein relativ kleines Mädchen mit braunen Haaren stieg aus, dann fuhren wir weiter. Ich sah nach draußen und beobachtete, wie die einzelnen Häuser an mir vorbeizogen. In jedem von ihnen wohnten Menschen, die keine Ahnung hatten, dass es Nightmares gibt. Manchmal wünschte ich, ich wüsste auch nicht von unserer Existenz; normal zu sein wäre viel leichter. Wir hielten erneut und dieses Mal stieg niemand aus, obwohl die Türen sich im Schneckentempo auseinander bewegten. Von vorne hörte man ein genervtes Seufzen:"Leute, wenn ihr nicht aussteigen wollt, dann drückt bitte nicht auf Stop." Ein paar Kinder rechts von mir fingen an zu kichern und ich konnte den Busfahrer in diesem Moment wirklich verstehen.

Die Aussage des Fahrers hatte nichts genützt, denn wir hielten nochmal, ohne dass jemand den Bus verließ und als ich aussteigen musste, wurde auch schon gedrückt. Ich musste einen großen Schritt machen, um auf den Bürgersteig zu kommen und dann fuhr das Verkehrsmittel weiter, so wie immer. Wieder sah ich mich um, doch das Gebüsch sah noch genauso aus wie heute morgen, allerdings wollte das Gefühl der Beobachtung mich einfach nicht verlassen und so lief ich zügig nach Hause. "Hallo?", schrie ich ins Haus und schmiss dann die Tür zu, weil ich nicht mehr mit einer Antwort rechnete. "Hallo, Rose." Ich ließ meine Tasche fallen und sah auf, weil ich schon dachte, ich hätte mir den Klang dieser Stimme nur eingebildet, doch Nelli stand mit breitem Grinsen vor mir. "Nelli?", platzte es einfach so aus mir heraus. "Überraschung!", sie grinste breit und ohne nachzudenken fiel ich ihr um den Hals. "Was machst du denn hier?" "Melrose", schrie sie und drückte mich weg, "ich hasse Umarmungen." Ich lachte:"Ich weiß, tut mir leid." "Es kommt mir vor, als hätten wir uns ewig nicht gesehen.", murmelte sie und musterte mich genau und meine Freude wurde von Sorge beiseite geschoben, denn Nelli kam bestimmt nicht ohne Grund, nicht einfach so ohne Ankündigung. "Warum bist du hier?", fragte ich und konnte die Augen nicht von meiner besten Freundin abwenden. Sie lachte lauthals los:"Fragst du dich nicht eher, wie ich hier herein gekommen bin, es ist sonst keiner da." Ich runzelte die Stirn und blickte um mich:"Wie bist du denn hereingekommen?" Sie lächelte:"Jemand war zu blöd um die Hintertür zu schließen." Verwirrt sah ich sie an:"Die Terrassentür war offen?"

"Ja, das war mein Glück, sonst würde ich nicht hier stehen." "Du bist doch verrückt, was wäre gewesen, wenn meine Eltern hier gewesen wären?" "Du meinst deine Adoptiveltern.", sagte sie und ihre Stimme nahm einen kalten Ton an. Ich ignorierte das und lief aus das Wohnzimmer zu:"Komm, wir setzen uns, dann können wir in Ruhe reden." "Äh, Süße-", doch sie brach mitten im Satz ab, weil ich scharf die Luft einsog. "Was macht denn der hier?" "Begrüßt man so einen alten Kumpel?", fragte Tobias schelmisch grinsend von der Couch aus. Mein Blick wanderte zu Nelli, die jetzt auf ihn zuging. "Wir sind wieder zusammen, Rose.", und wie um es zu beweisen, ergriff sie seine Hand. Ich schaute zwischen den beiden hin und her, weil ich nicht wusste, was ich davon halten sollte. "Ach komm schon, Rosilein, bei einem Typ wie mir kann man halt nicht widerstehen.", meinte Tobias und Nelli boxte ihm gegen die Schulter. Rosilein? Für wen hielt der sich? "Warum seid ihr hier?", meine Stimme klang kälter, als dass ich es beabsichtigt hatte. Die lockere Stimmung verflog und Nelli sah mich ausdruckslos an:"Das war die einzige Sache, die ich an dir nicht vermisst habe." Ich schnaubte verächtlich:"Danke sehr." Ihre Gesichtszüge wurden automatisch wieder weicher, dann sah sie zu Tobias und dann wieder zu mir:"Du bist also wirklich Melrose Morgen?" Ich denke, mein Blick sprach in diesem Moment Bände:"Waren wir nicht schon weiter?" Tobias hob die Hand, wie in der Schule und sprach einfach los:"Ich bin der mit den Zweifeln. Das ist wirklich nicht böse gemeint, Rosilein, aber das ist alles so, so-" "Neu.", ergänzte Nelli und ihr Freund lächelte nickend. "Ich habe nichts gegen dich, nur ist das alles, naja sagen wir, ziemlich speziell."

Ich starrte ihn an, nur um dann wieder zu Nelli zu sehen:"Ist das dein Ernst?" Sie biss sich auf die Unterlippe:"Du weißt doch hoffentlich, dass du es uns früher oder später irgendwie zeigen musst, oder?" "Und da habt ihr entschieden, dass heute früher ist, oder wie?" Tobias richtete sich jetzt auf:"Wenn du wirklich Alisias Tochter bist, dann dürfte es für dich doch kein Problem sein uns das zu beweisen." Ich biss die Zähne zusammen und musste mich beherrschen, um ihm nicht sofort an die Kehle zu springen und dann zog ich den Anhänger meiner Silberkette hervor, sodass die beiden ihn sehen konnten:"Ist das Beweis genug?" Nelli riss die Augen auf und kam sofort zu mir gerannt, um die Morgentanne zu inspizieren:"Das ist ja unglaublich!" Auch Tobias kam auf uns zu und betrachtete den silbernen Anhänger:"Dreh ihn mal um." Ich hielt ihm die Rückseite entgegen, die mit meinen Initialen versehen war und sein kritischer Blick nahm Verwunderung an. Nach einer gefühlt ewigen Pause räusperte ich mich und Tobias sah mich ausdruckslos an:"Das ist die echte Morgenkette, aber das beweist noch lange nicht deine Identität." Jetzt war Nelli diejenige, die antwortete:"Tobias, woher soll sie die Kette denn sonst haben?" "Woher soll ich das denn wissen?" "Ich stehe übrigens neben euch.", meinte ich und atmete tief durch. "Tut mir leid.", flüsterte Nelli und Tobias beäugte mich von oben bis unten. "Kannst du es auch noch anders beweisen?" Ich schluckte und starrte auf meine Hände, unsicher, ob es das Richtige war:"Ja, das kann ich."

Nightmare-Ist Angst stärker als Liebe?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt