Trotz unserem Gespräch standen wir am Abend noch vor einer Herausforderung.
Scarlett hatte sich ja im Gästezimmer eingeschlossen und lediglich meine wenigen Sachen vor die Tür gestellt. Damit stand ich mehr oder weniger ohne Schlafplatz da und sah mich schon morgen mit Rückenschmerzen auf dem Sofa aufwachen.
Allerdings hatte ich da die Rechnung ohne Marco gemacht. Der hatte meine Sachen zu sich ins Schlafzimmer gepackt und mir erklärt, dass ich auch heute schon dort schlafen könnte, immerhin würde ich es ab morgen ja sowieso tun.
Damit hatte sich dann wohl auch geklärt, dass ich mich nicht im Gästezimmer würde richtig einrichten können.
Am Anfang war es mir auch echt peinlich gewesen neben Marco ins Bett zu gehen und neben ihm zu liegen. Steif wie ein Brett hatte ich mich ganz klischeehaft an die Kante gelegt. Marco hatte eine Weile nichts getan oder gesagt, bis er irgendwann aufgestanden war.
"Ich bleib im Wohnzimmer bis du eingeschlafen bist. Dann ist es vielleicht etwas leichter", hatte er gesagt und war aus dem Schlafzimmer verschwunden.
Verwirrt hatte ich ihm hinterhergeschaut, aber war dann doch dankbar. Ohne ihn in meiner unmittelbaren Nähe, fiel es mir leichter mich zu entspannen und ich wurde tatsächlich immer schläfriger.
Als ich schon fast ganz eingeschlafen war, nahm ich nur am Rande noch wahr, dass Marco zurück kam und war dann endgültig eingeschlafen.
Wir verloren am nächsten Morgen kein Wort darüber, sondern frühstückten gemeinsam und machten uns dann auf den Weg zum Training.
Ich war zugegeben skeptisch, ob Marco sich wirklich anders als gestern verhalten würde, aber ich wollte unserem Gespräch vertrauen. Wenn ich dem ganzen keine Chance gab, konnte es ja nicht besser werden und in Marcos Wohnung einschließen könnte ich mich dann noch früh genug.
Unsicher war ich dann aber doch, als ich Marco hinterher lief und die Kabine hinter ihm betrat. Viel Aufmerksamkeit bekamen wir jedoch nicht geschenkt. Die meisten hoben nur ihren Blick und konzentrierten sich dann wieder auf sich selbst oder ihre Gespräche. Lediglich Jule schlenderte zu uns herüber und begrüßte Marco mit einem Handschlag.
"Alles gut bei euch?", fragte er locker.
"Klar. Mario und ich haben uns noch gut unterhalten und einen schönen Abend zusammen verbracht. Jetzt können wir sowas ja einfach tun", meinte Marco ganz locker.
Also hatte er Jule nicht aufgeklärt, sondern log ihn auch an. Wieder schämte ich mich, dass Marco jetzt lügen musste.
"Ihr habt das wirklich perfekt hinbekommen. Niemand hat auch nur in Ansätzen was von euren beiden Geheimnissen geahnt", sprach Jule.
"Das ist der Sinn hinter Geheimnissen", murmelte ich und brachte Jule damit zum Lachen.
"Wohl wahr", sagte er anschließend und auch von Marco erntete ich ein leichtes Lächeln.
"Aber mal ganz im Ernst. Es muss doch furchtbar schwer sein, die ganze Zeit zu lügen und sich verstecken zu müssen", meinte Jule und ich musste schlucken.
Natürlich war es nicht schön, aber es gab Dinge im Leben, für die man Lügen nun mal in Kauf nahm. In Kauf nehmen musste. Ich wartete irgendwie auf Marcos Antwort, aber es kam keine. Stattdessen schaute auch er mich aufrichtig interessiert an.
"Man gewöhnt sich irgendwann daran und dann ist es eher komisch, wenn man sich mal nicht hinter der Lüge verstecken soll. Man wird irgendwie mehr die Lüge, als die Wahrheit", versuchte ich ihnen zu erklären.
Es stimmte, man übernahm so Stück für Stück die Lüge als Teil seiner Identität und ich wollte nicht darüber nachdenken, was das für Marcos und meine aktuelle Lüge bedeuten würde.
Stattdessen konzentrierte ich mich darauf daran zu denken, dass ich bald für alle Welt ein Omega sein musste und wie ich die Lüge ein Beta zu sein, aus meinem Verhalten herausbekommen sollte. Ich kannte die Medien gut genug um zu wissen, dass sie Marco und mich sehr genau beobachten würden.
"Es ist schon traurig, dass Menschen so handeln und ihr Leben lang lügen", murmelte Jule.
"Es ist traurig, dass unsere Gesellschaft so bescheuert ist, dass man dazu gezwungen wird", gab ich bitter von mir.
Ich hatte echt keine Lust mich weiter mit Jule und Marco zu unterhalten und begann lieber mich stur schweigend umzuziehen.
Die nonverbale Botschaft war zum Glück bei Marco und Jule angekommen, denn die beiden ließen mich in Ruhe und Marco machte auch keine Anstalten mich abzuhalten als ich schon die Kabine verließ, bevor er fertig wurde.
Schon jetzt hatte ich um ehrlich zu sein die Nase voll vom Training. So würde ich morgen sicherlich freiwillig nicht mitkommen.
Frustriert begann ich auch schon zu laufen und zu laufen. Aber was sollte ich auch schon anderes tun. Ich musste dieses Training hier hinter mich bringen. Womit ich dann nicht gerechnet hatte war, dass Schmelle auf einmal wieder auf mich zugelaufen kam.
"Keine Angst, dass Marco dich wieder dumm anmacht?", fragte ich zynisch.
"Ehrlich gesagt mache ich mir darum keine Gedanken. Man könnte sagen ich hab sogar seinen Segen", meinte Schmelle locker, zuckte mit den Schultern und lief neben mir weiter.
"Seinen Segen? Na toll", brummte ich immer noch verstimmt.
"Weißt du, Marco macht sich wirklich Gedanken und Sorgen um dich. Er hat ganz schön betroffen gewirkt, nachdem du aus der Kabine verschwunden bist", redete Schmelle auf mich ein.
"Marco kann ja nichts dafür. Es ist gerade alles einfach so viel. Ich hatte niemals geplant, dass das hier so passieren würde. Wenn es nach mir ginge, wüsste bis heute noch niemand bescheid. Stattdessen drehen sich meine Gedanken eher darum, dass ich auch ja ein gutes Omega für ihn bin. Das bin nicht ich", seufzte ich.
"Ich glaube kaum, dass Marco das erwartet. Immerhin wart ihr all die Zeit auch zusammen und er hat dich geliebt auch als du dich als Beta ausgegeben hast. Also warum sollte es ihm jetzt etwas ausmachen?", fragte Schmelle und ich seufzte.
War ja klar. Aus ihrem Blickwinkel war meine Sorge unbegründet.
"Kannst du ein Geheimnis für dich behalten?", fragte ich ihn und er bestätigte natürlich sofort.
"Marco und ich waren nie zusammen und er wusste vorher auch nicht, dass ich in Wahrheit ein Omega bin. Das ist alles eine riesige, dicke Lüge, die er ohne nachzudenken in die Welt gesetzt hat um mich zu beschützen. Wir versuchen gerade damit klarzukommen", seufzte ich und schaute Schmelle nicht an.
"Bei dir hören die Lügen aber auch nie auf, oder?", fragte er irgendwann.
"Nein", seufzte ich, "nur dass dieses Mal Marco mit drin hängt und ich keine Ahnung habe, wie ich mich verhalten soll."
"Das erklärt natürlich einiges mehr. Aber Mario, Marco hat sich wirklich sorgen gemacht. Ich glaube es ist ihm wirklich ernst. Er will dir helfen, koste es was es wolle. Gib ihm und auch dir einfach noch mehr Zeit. Nehmt euch doch vielleicht sogar mal einen Tag frei. Ihr seid ja direkt am nächsten Tag wieder hier aufgetaucht", versuchte sich Schmelle an einem Ratschlag.
"Weißt du Schmelle, das Problem an Lügen ist, dass du nichts tun darfst, was sie gefährden könnte oder nicht 100 prozentig echt erscheinen lässt. Marco und ich haben ein Konstrukt einer Lüge geschaffen, in der wir bereits perfekt aufeinander abgestimmt sein sollten. Wir werden das nebenher auf die Reihe bekommen müssen", erklärte ich ihm.
"Und wenn ihr dem Team die ganze Wahrheit sagt?", fragte er, doch wieder schüttelte ich den Kopf.
"Auf keinen Fall. Zu viele Mitwisser sind einfach zu gefährlich. Ich will niemanden mehr als unbedingt nötig in diese ganzen Lügen mit reinziehen. Du bist die absolute Ausnahme", erklärte ich ihm.
"Ich werde alles tun, damit du das nicht bereuen wirst. Wenn ich euch irgendwie helfen kann, dann sag mir bescheid, ja?"
"Werd ich tun. Danke für’s Angebot", bedankte ich mich.
"Gut. Und jetzt mach dir keinen Kopf. Versuch das Training zu genießen und versuch Spaß zu haben. Wenn du absolut unglücklich wirkst, käuft dir auch keiner eure Lüge ab."
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Sleepless Dreamer
FanfictionAuch in einer Gesellschaft in der es Alphas und Omegas gibt, Anführer und Unterwürfige hat dennoch jeder Mensch seine Träume. Manche sind erreichbarer als andere und manche Träume platzen wie eine Seifenblase. Diese Erfahrung musste auch Mario mache...