Kapitel 76

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"Ich schätze mal ich brauche mit Jule so zwei Stunden bis wir wieder hier sind. Wird euch das reichen?", fragte Marco mich.

Wir standen schon auf dem Parkplatz des Zentrums. Besser gesagt Marco saß noch hinterm Steuer, während ich das Auto schon verlassen hatte und durch die geöffnete Beifahrertür mit ihm redete.

"Klar, das sollte reichen", meinte ich und lächelte.

"Gut, dann hole ich dich hier wieder ab", meinte Marco.

Mit dieser Absprache machte ich mich dann auf den Weg ins Zentrum. Dieses Mal hatte ich an der Rezeption auch keinerlei Probleme. Es war die gleiche Frau von gestern und bevor ich etwas sagen konnte, meinte sie schon:

"Joshua ist draußen im Garten. Ich zeige ihnen den Weg."

Sie kam hinter der Rezeption hervor und führte mich bis zu einer Tür, die ganz offensichtlich nach draußen führte.

"Sie werden ihn hier schon finden. Ich muss zurück an die Rezeption", verabschiedete sie sich und lies mich hier stehen.

Gemütlich trat ich nach draußen ins Grüne. Eigentlich war es gar nicht so schrecklich, was sie hier angelegt hatten. Der Garten lag wie eine Art Innenhof zwischen vier Gebäuden. Der Weg war aus Kies und es standen mehrere Bäume, Sträucher und Blumen auf der Wiese.

Langsam schlenderte ich den Weg entlang und hielt die Augen nach Joshua offen. Ich entdeckte ihn schließlich unter einem Baum sitzen und lesen.

"Was liest du denn da schönes?", fragte ich ihn und erschreckte ihn dadurch.

Er hatte mich wirklich nicht bemerkt und war wirklich überrascht gewesen als ich ihn angesprochen hatte.

"Mario! Du bist wirklich wieder hier", freute er sich und ich musste lachen.

"Ich habe es dir doch versprochen und ich halte meine Versprechen", erwiderte ich und setzte mich neben ihn ins Gras.

Interessiert griff ich nach dem Buch, das er gelesen hatte und las mir die Beschreibung durch.

"Bist du nicht zu vernünftig um solchen Bullshit zu lesen?", fragte ich ihn und schaute angewidert auf das Buch in meiner Hand.

Es sollte eine Anleitung sein, wie ein braves, heimisches Omega seinen Alpha bestmöglich beglücken konnte.

"Ich weiß das es Mist ist, aber was soll ich denn sonst machen? Ich liebe Jule und ich will nicht, dass er mich ablehnt nur weil ich ihm nicht Omega genug bin", gab Joshua traurig zu.

Mir stockte der Atem bei diesen Worten.

"Aber Jule liebt dich bestimmt auch. Er ist nur wegen dir aus Dortmund hier. Er liebt dich, weil du bist wie du bist. Denkst du wirklich, dass er dich wie ein perfektes Omega sehen möchte?", fragte ich ihn.

"Ich- Nein, ich glaube nicht", antwortete mir Joshua.

"Gut, dann vergiss diesen Mist hier jetzt und überleg dir lieber, was du am Samstag ins Stadion anziehen möchtest", meinte ich zufrieden und legte das Buch außerhalb von Joshuas Reich- und Sichtweite im Gras ab.

Warum nur hatte es mich nicht überrascht, dass sie hier im Zentrum solche bescheuerten Bücher zum Lesen ausgaben?

"Samstag? Stadion? Ich weiß nicht, ob du es mitbekommen hast, aber ich kann hier nicht einfach raus und in ein Stadion spazieren. Außerdem spielt der FC Bayern auswärts beim BVB, wie du ja wissen solltest", meinte Joshua verwirrt.

"Ja, weißt du, also die Sache ist so. Marco und ich wollen dir und Jule zu etwas mehr Zeit verhelfen. Auch außerhalb dieses Zentrums. Und da haben wir uns überlegt dich zum Spiel nach Dortmund zu holen. Niemand würde fragen, da die Bayern spielen und du könntest deinen Schatz beim Spielen beobachten. Außerdem wäre ich nicht alleine auf der Tribüne", erzählte ich ihm.

"Aber wie soll ich denn nach Dortmund kommen? Außerdem hat Jule noch nicht die Befugnisse über meinen Aufenthaltsraum zu entscheiden, sondern immer noch das Zentrum", zweifelte Joshua.

"Darüber wollen wir mit deiner Betreuerin reden und glaub mir, Marco und Jule werden das schon gut verkaufen können", versicherte ich ihm zuversichtlich.

"Ich hoffe du hast recht. Es wäre schön hier endlich mal raus zu kommen", meinte Joshua mit einem Seufzen und schaute in den Himmel von München.

"Wir schaffen das schon und so lange solltest du dir die Zeit mit etwas anderem vertreiben als solche schwachsinnigen Bücher zu lesen", meinte ich.

"Ist nur schwer die Zeit hier totzuschlagen. Ist nicht so, als würde hier jeden Tag was mega aufregendes passieren und von der Außenwelt bekommen wir auch nicht viel mit. Oder zumindest ich nicht. Es grenzt eh schon an ein Wunder, dass sie mich inzwischen ohne Wachhunde hier raus kommen lassen", meinte Joshua traurig.

"Du kannst dir nicht vorstellen, wie es das erst Mal war, als Jule hier war. Es gibt hier so einen Besucherraum für den ersten Kontakt zwischen Alpha und Omega. Es ist wie ein Verhörzimmer bei der Polizei. Du musst dir gegenüber sitzen, mindestens ein Pfleger ist zur Sicherheit des Omegas auch im Raum und von der anderen Seite eines großen Spiegels schaut deine Betreuerin und nochmals mindestens zwei Pfleger zu. Privatsphäre gibt es erstmal nicht. Es war so albern Jule so gegenüber zu sitzen, wenn ich ihn doch eigentlich nur umarmen wollte. Aber irgendwie hat er sie überzeugt. Sie alle. Beim dritten Treffen durften wir uns in meinem Zimmer sehen. Erst auch mit Pfleger und jetzt endlich alleine. Nur raus dürfen wir nie. Sie wollen keine Alphas in den Bereichen für Omegas. Dabei hat Jule mir versprochen, dass wir mal kicken würden und ich hatte lange schon keinen Ball mehr am Fuß."

Mir entging Joshuas sehnsüchtiger Blick nicht und ich konnte ihn verstehen. Fußball war der große Lebensinhalt seiner vergangenen Jahre gewesen und bei ihm wurde es ja noch deutlich strikter gehalten als bei mir.

"Weißt du was, dann kicken Wir beide halt", meinte ich dann kurz entschlossen, "eins gegen eins. Das sollten wir doch hin bekommen."

"Aber woher willst du den Ball nehmen oder hast du einen mitgebracht?", fragte mich Joshua.

"Das nicht, aber hier sind doch Jugendliche und Kinder oder?", fragte ich ihn und Joshua nickte immer noch verwirrt.

"Dann gibt es hier bestimmt auch Bälle", schlussfolgerte ich.

"Gib mir einen Moment", forderte ich ihn ein und sprang dann auf.

Ich würde die Dame an der Rezeption schnell fragen gehen. Ich hoffte nur, dass ich dabei auch Erfolg haben würde.

"Es tut mir leid, aber ich darf ihnen keinen Ball aushändigen. Nur an Kinder, so sind die Regeln", entschuldigte sie sich bei mir.

"Bitte, können sie nicht eine Ausnahme machen?", fragte ich sie flehend und sie seufzte.

"Ich wünschte ich könnte, aber ich kann wirklich nicht", meinte sie.

"Ich bitte sie. Nur eine Ausnahme. Ein Mal. Bitte. Es würde Joshua so viel bedeuten", flehte ich sie weiter an und merkte erneut, dass Joshua bei ihr irgendwie einen Stein im Brett hatte.

"Na schön. Aber nur ein einziges Mal und der Ball muss unbedingt zu mir zurück, sonst bekomme ich gewaltigen Ärger", gab sie schließlich nach einem inneren Kampf nach.

"Danke! Ich danke ihnen. Wirklich", bedankte ich mich und lief zufrieden mit dem Ball zu Joshua zurück.

Es war fantastisch zu sehen, wie seine Augen zu leuchten begannen als er den Ball in meiner Hand sah.

"Bereit etwas zu spielen?", fragte ich.

"Sehr bereit", antwortet er begeistert und war sofort aufgesprungen.

Sleepless DreamerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt