Meine Wehmut und meine Sorgen verschwanden auch die nächsten Tage nicht.
Marco versuchte verzweifelt mich aufzuheitern, aber es gelang ihm einfach nicht. Auch heute startete er einen Versuch.
Es war kurz vor Weihnachten und wir hatten noch immer keinen Weihnachtsbaum. Deswegen hatte er beschlossen, dass wir heute nach dem Training nicht heimfahren, sondern einen Baum kaufen würden. Wir oder eigentlich wieder Marco hatte sich im Internet ein paar Verkaufsplätze angeschaut und entschieden an welchem wir mit unserer Suche beginnen würden.
"Was möchtest du denn für einen Baum?", fragte er mich im Auto, aber ich zuckte nur mit den Schultern.
"Komm schon Mario. Irgendwelche Vorstellungen für den Baum musst du doch haben", forderte Marco mich auf und ich seufzte.
Natürlich wusste ich, wie ich mir den perfekten Baum vorstellte und Marco würde nicht locker lassen, bis ich es ihm erzählt hätte.
"Groß, am liebsten fast Deckenhöhe, mit viel Volumen und einer schönen Spitze", murmelte ich.
"Dann haben wir ja schon mal einen guten Ansatz", freute er sich.
"Müssen wir nur noch den Baum finden", murmelte ich.
Ich ging davon aus, dass das Stunden dauern konnte. Zumindest wenn ich ernsthaft nach diesem Baum suchen würde, worauf ich gerade aber eigentlich keine Lust hatte. Ich wollte einfach nur wieder nach Hause und mich auf dem Sofa oder im Bett verkriechen.
"Das wird schon. Wir schauen uns alle Bäume an, die sie haben und den Besten nehmen wir dann. Oder wir fahren weiter zum nächsten Händler und suchen da weiter. Bis wir unseren Baum gefunden haben", redete Marco mir zu.
"Wenn du meinst", murmelte ich und Marco seufzte, sagte aber nichts mehr.
Am Baumverkauf parkte er das Auto schließlich und wir stiegen aus. Gemeinsam betraten wir das mit Baugittern eingegitterte Gelände und begannen uns die Bäume anzusehen.
Der vordere Bereich war ziemlich schnell erledigt. Dort standen nur die kleinen Bäume, aber je näher wir den größeren Bäumen kamen und uns diese anschauten, stieg die Begeisterung auch langsam in mir.
Ich liebte Weihnachten doch eigentlich und der Weihnachtsbaum musste nun mal perfekt sein. Von Baum zu Baum wuchsen mein Engagement und meine Begeisterung so. Aber leider fanden wir hier nicht den richtigen Baum.
"Ist doch nicht schlimm. Wir fahren einfach zum nächsten Verkauf", meinte Marco nur locker und brachte uns zum nächsten Händler.
Hier war die Auswahl an Bäumen noch größer.
"Wenn wir uns aufteilen geht es schneller", schlug Marco vor und ich stimmte eifrig zu.
Hoffentlich fanden wir hier den richtigen Baum. Während Marco nun also die linke Hälfte der Fläche absuchte, begann ich in der rechten Hälfte.
Ein Baum nach dem anderen fiel nach und nach durch meinen Bewertungstest durch. Der eine hatte ein Loch mitten im Zweigevolumen, der andere hatte keine gerade spitze, wo man also keine Spitze drauf stecken könnte. Der Dritte war dann wieder komplett missraten und so ging es immer weiter, bis ich schließlich ganz hinten im Eck den perfekten Baum fand.
Er hatte alles, was ich suchte und sah wirklich schön aus. Zu meiner Freude war auch direkt ein Verkäufer hier hinten beschäftigt neue Bäume aufzustellen und höflich sprach ich ihn an.
"Entschuldigen sie, die Bäume sind leider nicht ausgezeichnet. Könnten Sie mir sagen, wieviel der kosten soll?", fragte ich den Mann höflich.
Genervt, dass ich ihn gestört hätte, wandte er sich zu mir um. Er musterte mich und dann musste er mich wohl erkannt haben, denn seine Reaktion fiel alles andere als freundlich aus.
"Wir verkaufen nicht an Omegas. Kommen sie mit ihrem Alpha wieder oder am besten gar nicht", herrschte er mich an.
"Aber ich wollte doch nur wissen, wie viel der Baum kostet", rechtfertigte ich mich.
"Ich wiederhole: Wir verkaufen nicht an Omegas. Und jetzt verschwinde, bevor ich dich rausschmeißen muss", wurde der Mann nun richtig unhöflich.
Ein paar andere Besucher die auf der Suche nach einem Baum waren, hatten schon innegehalten und die Szene beobachtet.
"Aber-", setzte ich erneut an, doch jetzt wurde der Mann richtig ungehalten.
Drohend machte er einige Schritte auf mich zu und baute sich vor mir auf.
"Ich sagte: verschwinde!", wurde er lauter und ich wich einen Schritt zurück.
Ich wollte doch wirklich keinen Ärger anzetteln, sondern nur wissen, wie viel der Baum kostete. Marco konnte ihn ja nachher für uns kaufen. Aber der Mann wollte mir ja nicht mal zuhören und auch keiner der umstehenden Leute schien eingreifen zu wollen.
Ich fühlte mich in diesem Moment wie ein Köter, der vom Hof gejagt wurde, während ich, um nicht noch mehr Ärger zu riskieren, den Verkauf verließ und mich bei Marcos Auto auf den Boden sinken ließ.
Das war gerade so demütigend gewesen. Schützend zog ich die Knie an die Brust und konnte nicht verhindern, dass die ein oder andere Träne mein Auge verließ. Ich wollte doch nur einen Weihnachtsbaum.
"Mario!", erklang irgendwann die besorgte Stimme von Marco und ich sah das Alpha aus den Augenwinkeln besorgt auf mich zueilen.
"Marco", schniefte ich leise und er kniete sich neben mich auf den Boden.
"Hey du bist ja ganz kalt. Was ist passiert? Was ist los?", fragte er mich, während er mich vom Boden hochzog.
Wärmend umfingen seine Arme meinen Körper und ich spürte, wie er hinter mir die Autotür öffnete.
"Setz dich erstmal hier rein. Ich mach gleich die Heizung an. Dann wird dir wieder wärmer."
Schniefend machte ich mich auf dem Beifahrersitz klein, während Marco sich hinter das Steuer niederließ, den Motor startete und die Heizung auf volle Stärke hochdrehte.
"Und jetzt erzähl, was ist passiert?", forderte er mich auf und schniefend begann ich zu erzählen.
Als ich meine Auseinandersetzung zu Ende erzählt hatte, herrschte Schweigen im Auto.
"Wir werden woanders einen Baum finden", meinte Marco mühsam beherrscht.
"Aber er war perfekt", schniefte ich.
"Wir werden keinen anderen Baum finden, der so perfekt ist wie dieser", weinte ich leise.
Ich wollte nicht auch noch einen schrecklichen Weihnachtsbaum. Dann sollte halt Marco ihn kaufen gehen und ich wartete hier.
"Doch das werden wir. An einem Stand, der nicht so sexistische Mitarbeiter hat. Dieser Verkauf bekommt keinen Cent von uns", meinte Marco.
"Aber der Baum", stammelte ich.
"Nein Mario. Man hat dich hier beleidigt und dich unwürdig behandelt. Wir kaufen hier keinen Baum", machte Marco seinen Standpunkt klar.
Mir war das eigentlich ziemlich egal gewesen. Ich wollte wenigstens den Baum, aber da ich jetzt nicht mal den bekam, war der Tag einfach nur beschissen.
Marco, der merkte, dass sich meine Stimmung auch nicht mehr ändern würde fuhr uns zum Glück nach Hause. Naja, erst hatte ich protestiert. Bald war Weihnachten und wir bräuchten langsam wirklich mal einen Baum. Aber unser Streit hatte nur darin geendet, dass ich noch mehr geweint hatte und Marco uns immer noch nach Hause fuhr.
Traurig, enttäuscht, wütend und vielleicht auch ein bisschen verletzt zog ich mich sofort ins Schlafzimmer zurück. Ich wollte gerade einfach niemanden sehen und Marco respektierte das zu meiner Erleichterung auch.

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Sleepless Dreamer
FanfictionAuch in einer Gesellschaft in der es Alphas und Omegas gibt, Anführer und Unterwürfige hat dennoch jeder Mensch seine Träume. Manche sind erreichbarer als andere und manche Träume platzen wie eine Seifenblase. Diese Erfahrung musste auch Mario mache...