Kapitel 49

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Tatsächlich hatte ich im Training noch viel Spaß gehabt.

Ohne das Vorgefallene mit einem Wort zu erwähnen hatte ich mich gemeinsam mit Schmelle irgendwann wieder Marco und Jule angeschlossen und alle unangenehmen Gesprächsthemen wurden einfach umschifft und nicht angesprochen.

Ab und an schenkte Marco mit sogar ein kleines Lächeln, was ich nach ersten Anfangsproblemen letztendlich auch zu erwidern begann. Ohne eine derart komplizierte Anfangssituation konnte das Training vielleicht doch besser werden als gedacht.

Erst bei Marco im Auto holte mich die Realität auf sehr unschöne Art und Weise wieder ein.

"Bist du bereit deine Sachen zu packen und umzuziehen?", fragte er mich, während er den Motor aufbrummen ließ.

"Nein, eigentlich nicht", seufzte ich.

"Wir schaffen das schon Mario. Zusammen ist es nur halb so schwer", versuchte mir Marco Mut zu machen.

"Ja, wenn du das sagst", murmelte ich, "willst du nicht Scarlett helfen ihr Zeug bei dir einzuräumen?"

"Nein, ihre Freundinnen helfen ihr und vielleicht auch der richtige Vater des Kindes. Die beiden sind die ganze Zeit über schon per WhatsApp in Kontakt geblieben", ruinierte Marco meinen Plan, wie ich ihn für etwas Zeit loswerden konnte oder den Umzug meiner Sachen gar verschieben konnte.

"Da wär ich nur überflüssig, während du bestimmt eine helfende und Kisten schleppende Hand gebrauchen kannst", fügte er noch hinzu und ich wollte ihn am liebsten töten.

Ich würde es auch noch selbst schaffen ein paar Kisten zu schleppen. Ich war zwar ein Omega, aber weder schwach, noch hilflos ohne die Hilfe eines Alphas. Dann dachte ich jedoch an die Worte von Schmelle.

Vielleicht war es ja gar nicht so von Marco gemeint gewesen. Vielleicht hatte er es wirklich nur als guter Freund gemeint und ich seine Absichten sofort kategorisch falsch eingeordnet.

Statt ihn also blöd anzumachen, beschloss ich einmal die durchzuatmen und auf die Situation einzulassen.

"Ja, ein bisschen Hilfe wird denk ich schon nicht schaden können", murmelte ich also und legte all die Dankbarkeit in meine Worte, die ich zusammenkratzen konnte.

"Das habe ich mir gedacht", grinste Marco und konzentrierte sich voll auf die Straße.

Mit einem lautlosen Seufzen auf den Lippen betrachtete ich ihn.

Ich wollte so gerne böse auf ihn sein, aber ich konnte irgendwie nicht. Ich war froh, dass er mich gerettet hatte, aber gleichzeitig wollte ich das alles auch nicht. Ich konnte mich auch einfach immer noch nicht mit meinen zerplatzten Träumen abfinden. Meine Sachen zuhause zu holen bedeutete jetzt nur eine letzte Endgültigkeit des Ganzen und das zerrte wirklich an mir.

Mit zitternden Fingern schloss ich am Haus angekommen die Tür auf. Wenigstens Ann Kathrin war nicht da, was mir das mehrfache drehen des Schlosses verriet.

Auf eine Konfrontation mit ihr konnte ich jetzt wirklich gut verzichten. Das letzte Mal waren schon Tränen geflossen und dieses Mal wäre es wohl kaum besser gelaufen. Nein, nein, so war es besser.

Vorsichtig betrat ich den Flur. Ich war nicht mal eine Woche weg gewesen und schon fühlte es sich so an als würde dieses Haus aus einem anderen, glücklicherem Leben stammen. Wie eine Erinnerung in einem Traum.

"Ich denke wir werden hauptsächlich Kleidung brauchen und vielleicht wenn du noch ein paar DVDs und Bilder mitnehmen willst. Möbel, Handtücher und so hab ich ja alles zuhause", riss mich Marco aus meine Gedanken.

Natürlich hatte er die Grundausrüstung selbst bei sich, aber für mich war es nun mal doch sein Eigentum und nicht das Meine. Deswegen beschloss ich trotzdem das ein oder andere Handtuch oder die ein oder andere Tasse einzupacken. Dabei fiel mir auf, dass es noch etwas wichtiges gab, was ich mitnehmen wollte. Meine heilige Kaffeemaschine. Marcos konnte da einfach nicht mithalten. Kurz bevor ich in der Küche war, drehte ich mich also zu Marco um, der mir wie ein Schosshund auf den Fersen war.

"Die Kaffeemaschine-", setzte ich an, aber Marco unterbrach mich sofort.

"Die können wir natürlich mitnehmen. Du sollst ja nicht auf deinen guten Kaffee verzichten müssen", beantwortete er mir meine noch nicht gestellte Frage.

"Danke", lächelte ich ehrlich.

"Willst du deine Sachen oben zusammensuchen? Ich würde die Maschine ins Auto packen und dann dir helfen kommen", schlug er vor und ich nickte.

"Warte, die Tasse muss aber noch mit", meinte ich noch, eilte an den Schrank und holte meine absolute Glücks- und Lieblingstasse raus.

Marco sagte nichts als ich sie ihm in die Hände drückte und ihn dann in der Küche stehen ließ.

Jetzt beschloss ich mich meinem Kleiderschrank zu widmen. Ann Kathrin hatte mir schon vor Ewigkeiten gesagt, dass ich mal wieder ausmisten sollte. Damit war natürlich jetzt die perfekte Gelegenheit gekommen.

Ich nahm mir vor wirklich nur das Nötigste mitzunehmen und dann würde ich mich auch neu einkleiden können. Vermutlich wird das eh das Beste sein. Immerhin verband ich mit fast jedem Kleidungsstück irgendeine Geschichte oder ein Erlebnis. Diese Erinnerungen musste ich mir selbst auch, um ehrlich zu sein, nicht immer antun.

Zum Teil fiel mir das Aussortieren aber dennoch ziemlich schwer und ich zögerte lange bei einigen Sachen. Am Ende kamen schließlich doch ungelogen so ziemlich alle Koffer und Reisetaschen die wir im Haus hatten zum Einsatz. Als Marco mir schließlich auch zur Hilfe kam, entwickelte es sich für ihn zur Kunst, die ganzen Koffer im Auto zu verstauen. Immerhin wollte er auch nicht doppelt fahren.

"Ich schreib Ann Kathrin noch einen Zettel, dass sie den Rest von mir wegschmeißen kann und wir die Sachen geholt haben. Nicht, dass sie sich wundert", erklärte ich Marco noch schnell mein weiteres Vorhaben.

"Okay, ich warte dann im Auto auf dich. Lass dir Zeit", entgegnete er und gab mir damit die Gelegenheit mich alleine und in Ruhe von meinem alten Zuhause zu verabschieden.

Mit einem tiefen Seufzer schnappte ich mir schließlich Zettel und Stift und begann zu schreiben:

"Hey Ann Kathrin. Ich war mit Marco da und hab noch ein paar von meinen Sachen geholt. Es sieht jetzt alles ziemlich so aus als würde ich wohl für länger bei Marco bleiben. Mit dem Kram, den ich hier gelassen hab, kannst du machen was du willst. Verschenk es, schmeiß es weg oder verkauf es. Geh feiern und such dir einen Partner, der dich verdient hat und der dich glücklich machen kann. Wenn irgendetwas ist, hast du ja meine Nummer und weißt, wo Marco wohnt. Danke für all die Jahre die du mir geschenkt hast. Du warst mein Anker und meine Stütze. Meine beste Freundin und wie eine Schwester. Ich werd weiter träumen und ich hoffe, du erfüllst dir deine Träume auch.
In Liebe, dein Mario"

Nachdem ich die letzten Worte geschrieben hatte, legte ich den Zettel schließlich gut sichtbar auf die Küchenzeile.

Während ich das Haus kurz darauf verließ, wurden meine Schritte immer langsamer. An der Tür drehte ich mich dann noch ein letztes Mal um. Die Tränen zurückhaltend flüsterte ich ein "lebe wohl" zu meinem alten Leben und schloss die Tür hinter mir ab.

Hier hatte ich kein Zuhause, kein Leben und keine Träume mehr. In meiner Zukunft gab es nur eine Weggabelung. Am einen Ende stand Marco und am anderen das Zentrum.

Als ich schließlich zu Marco ins Auto stieg, versuchte ich positiver zu denken. Ich hatte mich für einen Weg entschieden und war mir nun langsam auch sicher, dass ich auch auf diesem Weg Träume finden würde.

Sleepless DreamerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt