Kapitel 90

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Zu meinem entsetzten barg dieser Sonntag, der gleichzeitig der erste Advent war, noch mehr Schrecken in sich. Denn Marco hatte das Familienessen entlegenen meiner Hoffnung nicht vergessen. Als wir wieder zuhause auf dem Sofa saßen, sprach er das Thema an.
"Hast du darüber nachgedacht, wann wir deine Familie einladen wollen?", fragte Marco und ich schüttelte den Kopf.
"Wie wäre es mir nächstem Wochenende? Sofern alle Zeit haben", schlug weiter vor. Meine Antwort war ein Brummen. Ich wollte nicht über das Thema reden, aber Marco lies nicht locker.
"Okay, ich denke ich werde mich um deinen Vater kümmern und du könntest deine Mutter und deine Brüder einladen? Fabian weiß ja mehr oder weniger eh schon Bescheid und wartet nur noch darauf, welches Wochenende es wird", redete Marco weiter und nahm mein schweigen wohl einfach als Zustimmung.
"Nächstes Wochenende ist Derby", murmelte ich nur.
"Eben, das passt ja umso besser. Da sind wir nicht so weit weg und können Samstag auch noch was vorbereiten, wenn deine Familie am Sonntag kommt. Außerdem hat Augsburg da am Samstag Mittag auch das Spiel, also könnte Felix vielleicht sogar auch ohne Probleme her kommen", entkräftete Marco mein Argument.
"Du wirst eh nicht locker lassen oder?", fragte ich und seufzte.
"Nein, werde ich nicht. Ich möchte, dass du glücklich bist und auch wenn du es niemals zugeben würdest weiß ich, dass dich die Situation mit deiner Familie belastet. Weihnachten ist das Fest der Liebe und der Familien. Jetzt in der Adventszeit ist die perfekte Zeit, dass ihr euch aussprecht und euch versöhnt", meinte Marco.
"Das wird nicht klappen. Ich bin eine Schande für meine Familie und daran wird ein Essen nichts ändern. Keiner ist begeistert von einem Omega. Deine Familie wird dir doch bestimmt auch gesagt haben, dass du mich besser loswerden sollst oder?", versuchte ich einen letzten Ausweg und konnte ja gar nicht ahnen, wie sehr ich mich verzettelte und verzockte.

Marcos Blick hatte sich mit einem Schlag verdüstert und ich bereute meine letzte Aussage sofort.
"Nein Mario, meine Familie hat mir nicht geraten, dich loszuwerden. Im Gegenteil. Wenn es nach ihnen ginge, dann wäre du und ich schon lange für Kaffee und Kuchen bei meinen Eltern gewesen. Sie freuen sich auf dich. Ich wollte dir das eigentlich nicht sagen und nicht mit dir hin, weil ich dir nicht zusätzlich weh tun wollte, dass meine Familie so anders reagiert hat, als deine. Aber vielleicht ist das genau das, was du jetzt brauchst. Zieh dich an, wir besuchen meine Eltern zu Kaffee und Kuchen", meinte Marco düster.
"Aber wir könnten doch nicht einfach reinplatzen und uns selber einladen", versuchte ich die Situation abzuwenden, aber Marco kannte jetzt kein Erbarmen mehr mit mir. Ohne, dass ich es wollte saß ich eine viertel Stunde später mit Marco im Auto auf dem Weg zu seinen Eltern.
"Ich hab doch nicht mal Blumen oder Pralinen für deine Mama dabei", versuchte ich verzweifelt auch im Auto ihn noch davon zu überzeugen, dass wir jetzt nicht bei seinen Eltern aufkreuzen sollten.
"Meine Mutter legt darauf keinen Wert. Sie freut sich einfach, wenn wir beide kommen", verwarf Marco mein Argument und ich gab resigniert auf. Ich konnte dem nicht entgehen. Hoffentlich hatte Marco recht und seine Eltern hätten kein Problem mit mir als Omega. Ich wollte keinen Keil zwischen Marco und seine Familie treiben. Es reichte schon, dass ich meine Familie kaputt gemacht hatte. Das würde Marco mir übel nehmen und ich wollte ihn wirklich nicht verlieren. Die restliche Fahrt verlief schweigend. Marco hatte nochmal versucht ein Gespräch zum Laufen zu bringen, aber ich hatte darauf keine Lust.

Als wir dann vor der Tür seiner Eltern standen war ich dann sogar so weit, dass ich am liebsten weggelaufen wäre. Nur Marcos warme Hand in meinem Rücken hielt mich davon ab. Marcos Mutter Manuela öffnete uns die Tür und umarmte ihren Sohn sofort glücklich.
"Marco Schatz, es ist schön dich wieder zu sehen", begrüßte sie ihn und wandte sich dann mir zu.
"Schön, dass du auch mitgekommen bist Mario", meinte sie und zog auch mich in eine mütterliche Umarmung. Überrascht versteifte ich mich zunächst, erwiderte dann aber zögerlich die Umarmung.
"Kommt rein ihr beiden. Plätzchen und Kaffee stehen schon auf dem Tisch", meinte sie und führte uns ins Esszimmer, wo Marcos Vater Thomas schon am gedeckten Tisch saß.
"Deine Schwestern kommen auch gleich noch", meinte Manuela und mir wurde mulmig. Natürlich, warum sollten Marcos Schwestern nicht da sein? Auch wenn ich mir ernsthaft was anderes erhofft hatte. Aber dann hieß es wie so oft in meinem Leben halt mal wieder alles oder nichts.

"Setzt euch Jungs, setzt euch" forderte Marcos Vater uns auf. "Es ist so schön, dass ihr heute gekommen seid. Wir alle konnten es kaum erwarten, dass ihr beiden euch mal gemeinsam hier blicken lässt."
"Das stimmt. Marco, wie konntest du mir nur so einen Schrecken einjagen und uns verheimlichen, dass das mit der lieben Scarlett nur Fake war um dich und Mario zu schützen. Ich hätte den Partner meines Sohnes gerne schon eher hier gehabt", beschwerte sich Manuela bei ihrem Sohn.
"Er kann nichts dafür. Es war meine Schuld. Jeder Mitwisser war eine Gefahr. Es tut mir leid. Außerdem sind wir noch gar nicht so lange zusammen", sah ich mich gezwungen einzugreifen.
"Ach Mario Schatz. Es ist doch nicht deine Schuld. Du bist ein talentierter Junge, genau wie unser Marco und wir haben Verständnis für deine Situation und deine Entscheidungen. Wir wünschten nur, ihr hättet es uns eher gesagt. Wir hätten euch doch unterstützt und dich niemals verraten. Jeder talentierte Junge hat das Recht Fußballer zu werden", meinte Marcos Mutter sanft und lächelte mich an.

"Danke Mama. Wir werden auch dafür kämpfen, dass Mario wieder spielen darf", meinte Marco, griff nach meiner Hand und drückte sie.
"Das wird schon werden Jungs und jetzt lasst uns über was anderes sprechen", schlug Marcos Vater vor und das unangenehme Thema wurde zur Seite gelegt. Stattdessen berichtete Manuela, dass sie die Plätzchen alle zusammen mit ihren Enkeln gebacken hatte. Nach einiger Zeit trudelten dann auch Marcos Schwestern samt ihren Familien ein. Hatte ich zunächst auch Angst vor deren Reaktion, war diese nach der herzlichen Umarmung zur Begrüßung verschwunden und wir alle setzten uns wieder an den Tisch um gemeinsam den ersten Advent zu genießen. Am Anfang noch etwas zurückhaltend taute ich mit der Zeit immer mehr auf und hatte sogar meinen Spaß an dem Mittag.

"War es jetzt so schlimm?", fragte mich Marco, als wir am Abend gemeinsam im Bett lagen.
"Nein, deine Familie ist einfach toll", murmelte ich.
"Deine ist genauso. Ihr braucht nur eine Chance alles aus dem Weg zu räumen. Sie haben dich all die Jahre unterstützt. Gib ihnen eine Chance und lass sie uns einladen", redete Marco auf mich ein und ich gab nach. Dann sollte dieses Essen mit meiner Familie halt stattfinden.

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