Kapitel 18

223 20 6
                                    

(Bild von Changbin- links und Han- rechts Seo)

Ying oder Yang

Han Seo

„Meinst du, das war zu übertrieben? Ich habe sie schließlich mit Vater verglichen. Einen Menschen hat sie aber nie ungebraucht. Ich stell mich an. Richtig?"

Changbin und ich saßen in unserem großen Garten. Nachdem wir eine Woche von der Schule befreit wurden, um bei unserem Opa zu übernachten, bemerkten wir, dass uns unser Garten fehlte. Unser Garten und unser Fitnesscenter. Sport war das Nächste, dass wir uns vornahmen. Erst berichtete mein Bruder aber von seinem Treffen mit Jisoo, der er zufällig über den Weg lief. 

Ich zuckte die Achseln. „Sie hat keinen Menschen gekillt, dafür aber dein Vertrauen. Das ist dasselbe."

Hatte unser Vater nicht auch das Vertrauen der Familie missbraucht, indem er mordete? Ich glaubte, sein Vergleich war gut. Jisoo musste mal aus ihrer Traumwelt erwachen. Aus ihrer rosaroten Welt, in der sie sich einfach nur gut fühlte. Sie musste Schuld empfinden. Reue. Eine Abweisung, die mein Bruder ihr definitiv gab. Die Welt drehte sich nämlich nicht nur um sie. Ja... Der Hass ihr gegenüber brodelte mal wieder in mir auf.

„Stimmt... Weiber sind echt scheiße", setzte sich Changbin zurück. „Und Vater auch."

Ich musste zu ihm sehen und dachte über seine letzten drei Worte nach. Ich dachte eben über den relevanteren Teil nach. Meinte er etwa damit, dass er unseren Vater scheiße fand? Ich dachte oft darüber nach. War unser Vater eigentlich scheiße? Uns gegenüber meinte ich... Mal abgesehen davon, dass er gerne die Wut an uns rausließ... Liebte er uns sicherlich. Er wäre sonst niemals so lange geblieben. Die Gerüchte, von wegen, er hatte vor... Uns auch zu ermorden, das glaubte ich nicht. Wieso hatte er das nicht längst getan, als er noch nicht festgenommen wurde? Wieso ließ er sich Zeit? Wieso mordete er erst in seinem Umfeld? Für mich ergab das keinen Sinn. Er wollte uns nie töten. Ihm lag was an seiner Familie. Oder? Wie gern ich ihn das gefragt hätte... Und so schloss sich der Kreislauf mal wieder.

„Wieso besuchen wir ihn nicht, Changbin?", blickte ich zu den Apfelbäumen.

Changbin seufzte. „Wieso wusste ich, dass du fragst?"

„Sag schon. Bitte...", biss ich die Zähne zusammen.

„Du tust echt immer auf hart, aber sobald es um ihn geht... Weichst du plötzlich auf. Warum?", fragte mein Bruder direkt.

Sicherlich eine Frage, die ihn länger beschäftigte.

„Los, Changbin.", ignorierte ich ihn jedoch.

Er rollte die Augen. „Du sagtest doch selbst. Er hat gemordet. Unser Vertrauen missbraucht. Wieso sollten wir zu ihm?"

Ich zuckte die Achseln. Wie sollte ich ihm das erklären? Sollte ich ihm jetzt wirklich erklären, wie abgefuckt ich war? Dass ich keine Lust mehr hatte? Dass ich irgendwie alles nur noch negativ sah, was paradox schien, da ich ja das Positive in meinen Vater versuchte zu sehen. Innerlich schlug ich mir gegen die Stirn. Das war so dumm. Ich fühlte mich traurig und glaubte, dass mir das nur mein Vater wieder nehmen könnte. Das Problem hierbei war... Dass ich glaubte... Er könnte mir etwas sagen, wodurch ich wieder... Wodurch ich endlich mal ein Bild von ihm bekam. Wodurch ich wüsste, ob er jetzt gut oder böse war. Wodurch ich endlich wissen würde, ob auf mir ein Segen ruhte oder ein Fluch lastete. Dafür bräuchte ich doch nur ein Gespräch. Nur eins. Aber würde er es verstehen? Er könnte es sicherlich niemals.

„Um zu reden...", antwortete ich knapp.

Das kam ihm sicher zu kurz, aber das war mir egal. Ich wollte endlich abschließen. Die Fragen beantwortet bekommen, die ich hatte. Irgendwas. Ich wollte einfach nur ein Lebenszeichen.

Too much Promises - Stray Kids FF, Hwang HyunjinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt