Kapitel 105

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(Bild von Seungmin Kim)

Ruhiger Herzschlag

Woojin Kim

Ich saß auf seinem Bett, während der Kopf meines Bruders auf meinem Oberschenkel ruhte. Seine Augen waren geschlossen und seine Atmung ging ruhig. Ich vermutete, dass er schlief. Vorsichtig hob ich meine Hand, um sie über sein Haar fahren zu lassen. Sie fühlten sich weich an und ließen sich einfach durch fassen, wie Sand am Meer. Ich strich sie sachte von seiner Stirn, um sein Gesicht besser sehen zu können. Niemals könnte ich einem Menschen beschreiben, was Seungmin mir bedeutete oder was er für mich war... Schon klar. Biologisch gesehen... War er mein kleiner Bruder. Nicht mehr, nicht weniger. Aber für mich? Für mich war Seungmin nicht einfach nur mein kleiner Bruder. Er war mehr. Ich fühlte eine tiefe Verbindung zu ihm. Eine tiefe Liebe, die andere nie nachvollziehen könnten. Einfach, weil sie nicht dasselbe Schicksal erlitten, wie Seungmin und ich. Wir hatten unsere Eltern verloren, was bedeutete, dass ich immer auf ihn aufpassen musste. Er war fast schon wie ein Sohn für mich. Das klang total bescheuert, das wusste ich. Aber so fühlte ich. Er war wie mein kleiner Junge, auf den ich aufpassen musste. Nach den ich mein Leben umstrukturieren musste und das tat ich! Ich machte alles für ihn. Ich ging immer nur arbeiten, damit er zur Schule gehen konnte. Ich versuchte zu Hause zu sein, damit er nicht alleine war. Ich ließ mich in ein verdammtes Gefängnis sperren, um ihm Schutz bieten zu können. Denn er brauchte mich. Genauso, wie ich ihn brauchte. Ich musste bei ihm sein, um mich nach ihm zu richten. Wenn nicht... Ich wüsste nicht, was ich sonst tun sollte. Was wäre meine Aufgabe, wäre Seungmin nicht da? Sein inszenierter Tod hatte mich genau deshalb so sehr mitgenommen... Weil ich mir genau diese Frage stellte. Was sollte ich tun ohne ihn? Was, während er bisher meinen Lebenssinn darstellte? Er war meine zweite Hälfte. Ohne ihn konnte ich nicht ruhig atmen. So war das. Das war die Wahrheit. Deshalb war ich glücklich. Mein Herz konnte entspannt schlagen, weil er bei mir war. Es ging ihm gut. Ihm fehlte nichts. Er war endlich wieder bei mir. Da, wo er hin gehörte. Und... Ich würde alles tun, um ihn nicht wieder zu verlieren. Das schwor ich mir. Ein Lächeln schlich sich auf meine Lippen. Ich wäre ein schrecklicher Vater. So beschützerisch, wie ich es war... Aber ich musste es sein. Schließlich lebten wir in einer grausamen Welt. Das bewies sich mir die letzten Tage immer wieder aufs Neue. Das bedeutete, ich war verpflichtet dazu meine Kinder zu schützen. Meinen Bruder zu schützen. Wer sollte es tun, wenn ich es nicht tat? Schlussendlich konnte ich sehen, was passierte, wenn ich unachtsam wurde... Mein kleiner Bruder ließ sich manipulieren, worauf das eine zum anderen führte... Die Geschichte war jedem bekannt. Sowas würde sich jedoch nie wiederholen. Nicht noch einmal, nein. Dafür sorgte ich!

„Alles wird wieder gut", sprach ich. „Versprochen."

Von nun an... Würde die Ruhe einkehren. Das spürte ich. Das schwerste war nämlich getan. Der Weg, um zusammen zu finden, das war das Schwerste. Das hatten wir jedoch überstanden. Nun verbrachten wir sieben Jahre eingesperrt. Aber das sollte nicht das Problem sein. Denn wie bereits erwähnt... Alles, dass zählte, das war, dass wir zusammen waren. Und das waren wir...

„Ich weiß", hörte ich Seungmin auf einmal leise
schmatzen, was mich überraschte.

Da ich vermutete, er schlief, war ich überrascht, dass er es nicht tat. Auf ihn runter gesehen, konnte ich sehen, wie er sich ein Stück bewegte, um sich besser zu positionieren. Dafür schob er seine Hände unter sein Ohr, was mir zwar leicht im Oberschenkel schmerzte, aber ich hielt es aus. Für ihn...

„Weil ich dir vertraue.", fuhr er fort.

Ich musste lächeln, als er das sagte. Er vertraute mir. Das war mir wichtig. Er musste mir nämlich vertrauen. Damit all das funktionierte, mussten wir uns blind vertrauen. Ein Glück beeinflussten mich Seungmin's Fehler nicht. Das zeigte sich mir anhand des Vertrauens, dass ich ihm gegenüber noch besaß. Woran das lag? Die Antwort war ganz einfach. Ich wusste, dass sein Herz rein war. Dass er einen großen Fehler machte, den er bereits bereute. Ich sollte ihn damit nicht aufziehen. Ich war schließlich sein großer Bruder. Ich sollte nicht dafür sorgen, dass es ihm noch schlechter ging. Ich sollte ihn nach seinem begangenen Fehler auffangen, damit er ein besserer Mensch werden konnte. Damit er daraus lernte und wachsen konnte. Das war der klügere Zug. Alles andere wäre dämlich. Ich blickte nach einiger Zeit wieder zu Seungmin runter, der nun leise vor sich hin schnarchte. Dieses Mal schlief er wirklich. Das wusste ich. Da ich ihn nicht weiter stören wollte, kroch ich von ihm. Das funktionierte unkompliziert, da er einen festen Schlaf hatte. Schlussendlich deckte ich ihn zu, bevor ich seine Zelle verließ.

Too much Promises - Stray Kids FF, Hwang HyunjinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt