Kapitel 71

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(Bild von Felix Lee)

Bonuskapitel
-6 Monate in der Vergangenheit-

Chan Chaehyoung

Ich lag und atmete schwer. Es war ein stockender Atem. Ein Atem, bei diesem ich nach Luft rang, aber meine Atemwege die Luft nicht aufnehmen wollten. Kein Moment war unpassender als dieser, aber der Gedanke kam über mich. Ich dachte an den Sport. Ich dachte an die Atemtechnik, an die wir uns streng halten mussten. Es hieß: Durch die Nase... Wir mussten durch die Nase atmen. Krampfhaft schloss ich den Mund und versuchte durch die Nase zu atmen, doch das ließ mich nur auf husten. Diese Husten sorgten dafür, dass mein Brustkorb schmerzte. Meine Schulter tat gleich mit weh. Ich wollte nach ihr greifen, konnte es aber nicht. Mein Körper schien von dem Schuss noch viel zu paralysiert. Viel zu verletzt... Ich versuchte es dennoch. Ich spürte, wie ich am ganzen Leibe bebte. Bebte, weil er kämpfte. Mein Körper kämpfte gegen den Schmerz, gegen den Blutverlust, gegen das Ohnmachtsgefühl... Meine Zähne klapperten. Sie klapperten so fest, ich hatte Angst mir die Zunge abzubeißen. Meine Hand hob ich dennoch an. Ich schaffte es sie anzuheben und führte ich sie an meine Schulter. Der Schmerz war zu spüren, aber... Erträglich. Er war auszuhalten und... Genau das war es, was mir Angst machte. Angst... Ja. Ich hatte Angst. Fürchterliche Angst. Das war vermutlich das erste Mal in meinem Leben, dass ich diese Emotion so ausgeprägt verspürte. Angst. Ich würde sterben... Das war es nämlich, was ich vermutete. Ich würde sterben. Die Nässe an meinem Hinterkopf verriet es mir. Es war kein Schweiß, nein. Es war das ganze Blut, dass aus meinem Körper floss. Ich würde sterben, ja. Hustend verzog ich das Gesicht. Meine Beine zog ich an meinen Oberkörper und schlug mich auf die rechte Seite. Auf meinen gesunden Arm. Ich verschluckte mich dabei an der Luft und fing wieder an zu husten. Ich befürchtete, dass ich mich noch übergeben würde. Vor allem nach dem, was ich sah. Vor Schreck riss ich die Augen auf. Denn... Meine Augen mussten zu ihm sehen. Ich blickte direkt in das Gesicht von ihm. Von Felix... Ich hielt die Luft an. Mein gesamter Körper wurde steif. In meinem Brustkorb breitete sich ein Gefühl aus... Ein Gefühl, dass ich nicht zuordnen konnte. Aber ich wusste, da war die Erkenntnis. Die Erkenntnis, dass... Er... Tot war. Felix... Die Tränen bildeten sich in meinen Augen.
Er wurde auch getroffen, brach der Gedanke auf mich nieder, damit verbunden all die Emotionen. Das Blut... Das Blut um meinen Körper herum. Das Blut, auf dass ich gelegen hatte. Das war nicht nur meines gewesen. Das Blut kam... Von ihm... Von seinem Kopf kam das Blut. Es kam auch von ihm. Ein Gänsehaut überkam mich. Ich konnte meine Augen nicht mehr von ihm abnehmen. Nicht mehr von dem Loch auf seiner Stirn. Ich fühlte, wie die Tränen über meine Wangen flossen. Trauer... Ich fühlte Trauer. Ich fühlte Trauer für einen Menschen, den ich nicht kannte. Trauer für jemanden, mit dem ich nie ein vernünftiges Gespräch führte. Trauer für jemanden, der immer neben mir war, den ich aber nie wahrgenommen hatte. Bis heute. Ich nahm ihn erst heute wahr. In der Sekunde, als er mich am Kragen packte. In dem Augenblick, als er mir sagte, er würde nicht rauslaufen, bis er all seine Liebenden zusammen hatte. Ich musste aufatmen und musste erneut husten. Vielleicht empfand ich deshalb Trauer. Ich empfand wohl Trauer, weil ich ihn erst heute kennenlernen durfte. Dann, wenn es zu spät wurde... Ich biss mir auf die Unterlippe und schmeckte das Blut. Das Blut, dass aus meinem Munde floss. Das machte mich wieder so wütend. Ja. Selbst, wenn mein Leben am seidenen Faden hing, empfand ich Wut. Wut, weil Felix nicht auf mich hören wollte. Er wollte einfach nicht auf mich hören. Wieso blieb er nicht mit Hyunjin in der Besenkammer? Wieso kam er mit raus? Wieso bestand er darauf mir beizustehen? Wieso, wenn er genau wusste, dass das meine Arbeit war. Das war es seit der Sekunde, an dem ich wusste, Seungmin hielt das Gewehr in der Hand. Es war nämlich egal wie man es wenden und ändern wollte. Er war wegen mir hier und vermutlich nicht alleine. Jeongin war es auch. Ich hatte es von vornherein gewusst. Mein Verstand sagte es mir nämlich. Mein Gefühl... Und täuschen taten sich mein Verstand und mein Gefühl in einer Kombination nie... Ich hatte es ihm erklärt. Ich hatte ihn sogar weggesperrt. Zweimal. Denn ich wusste... Würde er sterben, würde es mir keiner vergeben können. Nicht Jisoo. Nicht Minho. Niemand. Ich mir selbst nicht. Und das war die Sekunde, in der es geschah. Die Erkenntnis... Sein Tod. Sein Tod war meine Schuld. Die Wut schwand. Schuldgefühle übernahmen meinen Körper. Ebenfalls eine Emotion, die mich in meinem Leben nur selten überkam. Schuld... Vielleicht war der Tod doch besser. Mein Tod... Vielleicht war es besser, als zu überleben. Zu überleben und zu wissen, das hier. Das ganze hier. Das war mir zu verdanken. Ja... Ich spürte, wie meine Augen zu flattern begannen. Wie ich mich schläfrig fühlte. Wie ich kurz davor war einzunicken.

Too much Promises - Stray Kids FF, Hwang HyunjinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt