Kapitel 80

122 14 4
                                    

(Bild von Jisoo Chaehyoung)

Verhör

„Und jetzt sitzen wir zum zweiten Mal hier, Jisoo Chaehyoung..."

Der Tag hatte mich überfordert. Die ganzen letzten 24 Stunden waren zu viel für mich. Es war so viel, dass ich kaum mehr klarkam, vor allem, weil immer mehr dazu kam. Es fing sich an zu steigern, seit... Mein Bruder auf einmal ankam. Kein Tag später waren wir auf der Party und alles ging bergab. Mein Bruder musste sich in einen Streit verwickeln, Jennie und Minho hatten sich gestritten, wobei dazu kam, dass auch ich mich mit Jennie stritt. Der Alkohol war mir mal wieder über den Kopf gestiegen. Einige Stunden später standen dann Han, Minho und Chan vor mir. Die Leiche von Jungkook nicht ignorierend... Es wurde über Mord gesprochen. Mein Bruder schien jemanden ermordet zu haben. Schlussendlich saß ich hier vor Mister Kang Lee. Beim Verhör... Das zweite Mal, wie er bereits sagte, was Tausende von Erinnerungen in mir weckte. Das zweite Mal... Das stimmte...
Beim ersten Mal, da saß jemand neben mir. Es war Namjoon... Er war derjenige, der neben mir saß. Das, weil ich ihn anzeigte. Vor zirka drei Jahren... Wir saßen beide hier- meine Aussage gegen seine. Ich behauptete, er hätte Fotos von mir, die er nicht haben sollte. Damals hatte ich gewollt, dass er sie löschte, weil er mir drohte sie zu veröffentlichen. Das drohte er auch nur, weil ich das Ding zwischen uns, nach seinem Fremdgehen, beenden wollte. Das nahm er zu den Zeiten nicht so einfach hin. Als sich Mister Kang Lee vor drei Jahren meine und Namjoon's Geschichte anhörte, schickte er Namjoon erstmal raus. Wir unterhielten uns schließlich alleine. Ich erinnerte mich noch genau, wie mein Herz zu schlagen begann, exakt wie jetzt, als er meine Unterlagen hervor nahm. Die Unterlagen, die ihm Informationen beschaffen konnte, die doch eigentlich keiner wissen hätte dürfen. Die nur meine Familie wusste. Nur meine Eltern und Chan. Aber Mister Kang Lee wusste es auch. Er wusste es bereits, bevor er mich ins Verhör gerufen hatte. Er wusste von meinem Geheimnis... Von dem Geheimnis, dass niemand kannte. Dass ich krampfhaft versuchte zu verbergen. Dass ich es exzentrisch versuchte zu überspielen, hinter all meinem Verhalten...
Durch meine Akte erfuhr er es. Er Erfuhr, dass...
Dass ich krank war. Alleine es zu denken, konnte mich nicht entspannt ausatmen lassen. Er wusste von meiner psychischen Erkrankung. Er war der einzige Mensch, der außerhalb meiner Familie von ihr wusste... Er wusste, dass... Dass ich an einer einfachen, histrionischen Persönlichkeitsstörung erkrankt war... Er wusste, dass Betroffene, die an der seltenen Persönlichkeitsstörung litten, als aufmerksamkeitsuchend beschrieben werden... Theatralische beziehungsweise dramatisch...  Das waren ihre Charakterzüge... Er wusste auch, dass solche Menschen zur flachen Affektivität, gelegentlicher Oberflächlichkeit und Konzentrationsstörungen im Gedankengang neigten. Je älter Betroffene wurden, desto eher ließen die Kernmerkmale zwar nach, aber sie waren nie für immer verschwunden. Ich musste bei der Erinnerung erzittern. Bei der Erinnerung an Mister Kang Lee, als er mich fragte...

„Sprichst du auch wirklich die Wahrheit?", blickte er auf meine Akte nieder. „Dein Krankheitsbild kann für das Gegenteil sprechen..."

Ich schluckte. Das sorgte damals dafür, dass Namjoon mit keinen Konsequenzen rechnen musste. Er hatte im Endeffekt auch nichts getan und heute war all das vergessen, nur... War Minho's Vater erst der ausschlaggebende Grund für die Geheimhaltung meiner Erkrankung. Ich schämte mich so schon für sie und er zeigte mir, dass das berechtigt war. Dass die Leute mir so oder so nie glauben würden. Nie ernst nehmen könnten. Sie nicht sehen könnten, wie ich wirklich war... Dass ich die Realität vom Traum sehr wohl unterscheiden konnte. Aber... Nein. Eine „Kranke" könnte das ja nicht. Deshalb meine Mauer... Deshalb gewährte ich niemandem einen Einblick in meinen Kopf. In mein Herz. In mein wahres Ich... Deshalb ließ ich jeden denken... Ich war Jisoo Chaehyoung, das Mädchen, die nach ihrem Verhalten verurteilt wurde, weil sie keine Rechenschaft abgab. Aber keiner wusste... Ich tat das doch absichtlich, damit keiner mich sah. Damit keiner auf die Idee kam mein wirkliches Ich zu hinterfragen. Denn... Ich gab es zu. Ich hatte Angst. Angst davor am Ende... Alleine da zu stehen. Genauso wie ich jetzt die Angst vor hatte, dass man mich nicht ernst nehmen könnte. Genauso wie vor drei Jahren. Wäre meine Aussage überhaupt tauglich? Würde sie für ihn irgendwas ändern? Wieso saß ich hier, wenn mir doch sowieso nicht geglaubt wird?

Too much Promises - Stray Kids FF, Hwang HyunjinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt