(Bild von Jisoo Chaehyoung)
Die fünf Phasen und die Schule
-3 Monate später-
Jisoo Chaehyoung
Ein weiterer Tag. Ein Tag, an dem ich so scheiße wütend auf sie war, dass ich ihr am liebsten den Kopf eingeschlagen hätte. Ihr und Jennie. Diese verfluchten Zicken! Konnten sie sich denn nicht ein einziges Mal zusammenreißen? Dann waren wir mal zu viert im Kino und beide hätten sich beinahe die Augen ausgekratzt, weil sie sich über die Auswahl des Filmes nicht einig werden konnten. Ugh! Ich bin direkt gegangen. Wäre ich es nicht, hätte ich wirklich Dinge gesagt, die beide verletzt hätte. Der ideale Fall: Minho hätte auch was abbekommen. Was soll's. Eben habe ich eine Nachricht bekommen. Im Gruppenchat von uns vieren. Es wurde ein Essen bei Jisoo Zuhause vorgeschlagen. Ob ich zusagen sollte? Bis dahin musste ich mich beruhigen. Wenn ich überhaupt hin wollte... Was machte ich nun? Joggen? Ich würde joggen gehen, ja. Also... Hoffen wir, dass ich alle drei... Nein. Beide. Ich hoffe, dass ich beide Mädchen danach wieder lieben lernen kann...
Ich konnte lesen, wie oft Felix aus Wut mir oder uns gegenüber schrieb. Wie er seine Gefühle und Gedanken verarbeiten wollte. Musste. Er musste sie verarbeiten. Felix nahm sich sein Tagebuch oft als Vorlage und als Grundstein, um anschließend mit uns zu reden. Er wollte all seine Wut rauslassen. All seine Gedanken niederschreiben, damit er uns nicht verletzen konnte, wenn er vor uns stand, weil... Dann war bereits alles gesagt. Er hatte uns dann nichts mehr zu sagen. Zumindest nichts Böses. Ich hatte Felix noch nie wütend erlebt und nach 15 Jahren Freundschaft zu ihm, wusste ich endlich weshalb. Er verarbeitete ganz anders als ich. Als wir... Er war ein Mensch voller positiven Gefühle. Erfüllt mit Licht und Liebe. Das Wort Wut. Böse. Aggressivität. Das passte nicht zu ihm. Natürlich nicht. Wie konnte ich bloß ansetzen zu glauben, er würde in mir nicht seine beste Freundin sehen? Er liebte mich, wie ich ihn. Das hatte sich über all die Jahre nie geändert. Sein Tagebuch verlief zwar nur über zwei Jahre, aber das genügte, um das sehen zu können. Ich war mit seinen Einträgen noch nicht durch, nein. Ich ließ mir absichtlich Zeit damit. Ich wollte nicht allzu schnell damit abschließen. Ich wollte es eben so richtig genießen. Minho war das Gegenteil von mir. Er hatte das Tagebuch von Felix in innerhalb von Stunden verschlungen. Ich biss mir auf die Unterlippe, als ich an seine Worte zurückdachte. Als er mit mir über Felix' Tagebuch sprach. Er nannte die Einträge seines Cousins... Medizin. Eine Medizin. Wie recht er damit doch hatte. Er hatte sowas von recht, denn... Seit ich das Tagebuch besaß, sah ich ihn nicht mehr. Ich halluzinierte nicht mehr von ihm. Von Felix. Es war... Als hätte ich meinen Ausgleich gefunden. Einen schönen Ausgleich, auch wenn ich mir in manchen Momenten wünschte ihn wieder sehen zu können. Ich seufzte. Seit ich das Tagebuch bekam und seit er verstarb... Waren drei Monate vergangen. Drei. Ganze. Monate. Ich musste die Luft anhalten. In den drei Monaten... Blieb... Eine Leere. Ich fing wieder an aufzuatmen. Nur die Leere blieb zurück. Als wäre ich eine tote Leiche, die versuchte nicht zu verwesen. So hatte ich mich vor einem Monat gefühlt. Exakt richtig. Vor genau einem Monat. Mit mir war kaum etwas anzufangen. Mir war nach nichts zumute, nicht einmal nach reden. Ich hatte auf nichts mehr Lust. Ich erfuhr... Es gab wohl fünf Phasen der Trauer. Die erste war das Leugnen. Das war wohl die Phase, in der man den Tod eines Menschen nicht wahrhaben konnte. Nicht realisieren wollte. Die Tage, Wochen und Monate, in denen man sich eher ruhiger verhielt, eventuell sogar isoliert. Die zweite Phase war der Zorn. Meiner Meinung nach durchlebte ich diesen Abschnitt schon sehr früh und langhaltig. Dieses Stadium durchlebte ich aber definitiv mit dem dritten zusammen, der sich wohl das Verhandeln nannte. Das war nämlich die Phase der Selbstschuld. Die Phase, in der man versuchte sich von der Schuld rein zu waschen. Ich besuchte die Kirche. Damit verband ich nämlich meinen besten Freund. Felix war religiös gewesen. Ich tat es nur für ihn. Es half mir aber nicht. Ich fühlte mich nicht so, als würde man mir vergeben. Also fiel ich in ein tiefes schwarzes Loch. Die vierte Stufe. Die Depression. In der Zeit half nicht mal mehr das Tagebuch. Ich brach zusätzlich die Therapie bei Mister Monroe ab. Ich mied so gut wie alles, was mit Felix zutun hatte. Nur so lange, bis es mir wieder einfiel. Bis ich es einsah. Mein Versprechen. Ich wollte ihn die Woche mindestens einmal besuchen. Wie konnte ich ihn aus Trauer meiden, wenn ich es nicht durfte? Also kam ich bei der fünften Phase an. Die Akzeptanz. Mein bester Freund war verstorben. Das Leben ging weiter. Das musste ich einsehen. Ich hatte es lange Zeit akzeptiert, bevor ich die Phasen nochmal durchlebte. ich realisierte, dass ich immer wieder auf vorherige Phasen zurückgreife. Fast schon unbewusst. Jetzt gerade... Jetzt gerade befand ich mich in einem Abschnitt, der wohl offiziell nicht anerkannt war, aber den gab es, denn ich fühlte mich so. Ich fühlte nämlich... Als wäre ich stumpfer geworden. Dem Thema- Felix' Tod gegenüber. Das bedeutete nicht, dass es mir nicht näher kam, denn, wenn ich das behauptete, würde ich lügen. Es kam mir sehr wohl nahe. Noch immer... Ich lernte nur damit umzugehen. Ich hatte mich einfach daran gewöhnt. An den Schmerz... Egal, wie ungern ich das nun dachte, musste ich wirklich zugeben, dass ich mich damit abfand. Es war geschehen und ich konnte es nicht rückgängig machen. Ich hatte es aber nicht vergessen, nein. Ich konnte es einfach nicht vergessen. Ich lernte jedoch damit umzugehen. Nach ganzen vier Monaten, da schaffte ich es endlich. Mittlerweile waren wir wieder in der Schule. Heute war der erste Tag. Nach vier Monaten... Wir bekamen ein halbes Semester frei. Einfach nur, um klar zu kommen. Um uns erholen zu können. Um die Schule zu renovieren. Apropos Renovierung. Die Independence High war verändert. Das Innere des Gebäudes war nicht mehr das, was es einmal war. Selbst die Wandfarben und die Farben der Schließfächer wurden verändert. Das Schulgebäude wurde bis ins Innere verändert. Der Schulhof war auch nicht mehr das, was es einmal war. Die Mensa stand zwar noch immer, aber die Treppen. Sie waren weg. Wo Minho, Jennie, Felix und ich normalerweise immer gesessen hatten... Die Ecke gab es nicht mehr. Den Sportplatz gab es zwar noch, aber dieser wurde erweitert. Viel weiter ausgeweitet und die Tischtennisplatten wurden auf ihr verteilt. Das war in Ordnung. Das war wirklich in Ordnung. Es war, als wäre ich an einer neuen Schule. Sie hieß zwar noch immer die Independence High und trotzdem fühlte es sich anders hin. Die Schule hatte tatsächlich ihr Ziel erreichen können. Sie schafften es, dass wir oder ich zumindest... Dass ich nicht mehr an den schrecklichen Tag zurückerinnert werden konnte, weil ich keine Ähnlichkeit mit der alten Einrichtung sehen konnte. Mister Hwang gab sich große Mühe für all das. Genauso, wie er sich große Mühe für seine Ansprache gab. Ich hörte die erste Hälfte zwar nicht zu, wofür ich wirklich nichts konnte, aber ich versuchte mich zu konzentrieren. Zumindest für den letzten Teil seiner Ansprache.
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Too much Promises - Stray Kids FF, Hwang Hyunjin
Teen Fiction*wird demnächst auf Rechtschreibfehler überarbeitet* „Das sind zu viele Versprechungen, Hwang Hyunjin." „Und ich werde mich an jedes Einzelne halten." *** ...