Kapitel 34

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(Bild von Woojin Kim)

Last

Woojin Kim

Das jüngste Geschehen an der Independence High sorgt für viel Getümmel. Durch den Amoklauf zweier Schüler, ist ein Schüler ums Leben gekommen und zwei weitere wurden schwer verletzt. Die verantwortlichen jungen Männer wurden heute festgenommen. Aufgrund divers begangener Straftaten, wurden die Jugendlichen Jeongin Yang und Seungmin Kim zu lebenslänglich verurteilt. Die Jungen waren gerade erst 18 Jahre alt..."

Ich schaltete den Fernseher aus. Ruhe kehrte ein. Eine Stille. Eine unangenehme Stille, die in meinen Ohren anfing zu piepen. Mein Blick war starr auf das schwarze Monitor vor mir gerichtet. Ich rührte mich nicht. Kein bisschen. Stattdessen blieb ich einfach da sitzen. Ich empfand ein dumpfes Gefühl in meiner Brust. Ein Gefühl von Leere. Allein-sein. Die Erkenntnis, dass mein Bruder nun nicht mehr Zuhause war... War ein Tage her. Sie nahmen ihn gestern fest. Sie nahmen ihn fest, weil ich angerufen hatte. Ich wusste von dem Amoklauf, bevor dieser stattfand. Fünf Minuten vorher wusste ich Bescheid. Dass auch nur... Weil ich im Zimmer meines Bruders was gesehen hatte. Ein Zettelchen. Das Zettelchen. Durch sein schräges Verhalten die Tage davor, fiel es mir nicht schwer, eins plus eins zusammen zu zählen. Ich wusste, irgendwas war nicht in Ordnung und warnte die Polizei. Als ich dann auf dem Weg zur Schule war, geschah es. Die Schüsse gingen bis nach draußen. Ich stand da vor der Tür der Schule... Eine ganze Minute... Eine ganze Stunde... zwei ganze Stunden... Bis es vorbei war. Bis die Schule gestürmt wurde und beide hinaus getragen wurden. Jeongin. Seungmin. Beide. Als die Polizei schließlich soweit war, wollte ich nicht mehr anwesend sein. Ich ging. Die Tatsache, dass mein Bruder... Mein eigenes Fleisch und Blut... Ich wollte den Gedanken nicht ausführen, obwohl es mein Unterbewusstsein bereits tat.

Die Tatsache, dass mein Bruder einen Amoklauf plante.

Dieser Gedanke. Der allein ließ mich zittern. Wie gruselig und abstoßend war das denn bitte? Wo hatte er dieses Verhalten nur gelernt? Etwa von Jeongin? Die Antworten besaß ich nicht. Wollte ich auch nicht. Ich wollte einfach nichts darüber wissen. Niemals. Ich würde sie auch nicht besuchen gehen. Keiner der beiden. Das war die Strafe, die sie zusätzlich kassierten. Denn ich wusste... Mein Bruder würde mich jetzt brauchen. Mehr als je zuvor. Den Gefallen tat ich ihm aber nicht. Ich würde nicht für ihn da sein, nein. Nicht, nachdem er das getan hatte. Nachdem er unsere Eltern im Grab enttäuschte. Nein. Er verdiente es nicht. Ich schloss die Augen. Diese Enttäuschung. Sie war zum Greifen. Ich war verletzt. Zutiefst. Mein Bruder traf mich mit seiner Tat. So sehr. Ich fing an... Ich fing schon an... Ihn zu hassen. Ihn. Die Tat. Jeongin. Jeongin's Familie. Ich ahnte es von Anbeginn. Reiche Familien waren nicht gesund für uns. Dennoch... Ich ließ mich auf sie ein. Wie dumm und naiv von mir.
Apropos reich... In meiner Hosentasche, da kramte ich es hervor. Das kleine Zettelchen...
Auf das Zettelchen hinabgesehen, biss ich die Zähne aufeinander. Trotz großer Verdrängung spürte ich es. Ich spürte, wie eine Träne meiner Wange entlang glitt, worauf ich aufgesprungen war. Selbstverständlich war ich verletzt und enttäuscht. Diese beiden Gefühle gingen so tief, dass ich sie nicht beachten wollte. Es war anders im Vergleich der Gefühle, die ich empfand, als unsere Eltern verstarben. Denn ich war nicht nur traurig, verletzt und spürte Schuldgefühle, nein. Da schwang enormer Hass mit. Wut... Vor allem, nachdem ich den ersten Namen auf der Liste gelesen hatte.

Chan Chaehyoung.

Ich wusste, dass er eines der Schüler war, die schwer verletzt wurden. Im Amoklauf war er einer derjenigen, die übel zugerichtet wurden. Denn ja. Er hatte sein Leben nicht geben müssen. Leider. Das war ebenfalls eine Sache, die mich mehr als wütend machte. Geschnieft, entschloss ich mich, das Haus zu verlassen. Die Wahrheit war... Ich gab ihm die Schuld. Chan. Er war schuld an der Situation. Er stand schließlich auf dem ersten Platz. Laut dem Polizeibericht, stand sein Name als erster drauf und erst nach einigen Tagen oder Wochen, wurden die anderen Namen auf die Liste gesetzt. Das sagte viel aus. Das sagte genug aus. Das sagte nämlich aus, dass er derjenige war, der als Motivation genutzt wurde. Er war die Inspiration des Amoklaufes. Hätte er sich nicht immer wie das letzte Arschloch benommen, wäre all das nie geschehen. Vermutlich war das unfair, was ich dachte. Ja, vielleicht. Er litt schließlich. Alle litten. Aber das war mir egal. Mir war das sowas von egal, weil es ihm auch egal war. Er schubste, beleidigte und schlug meinen Bruder. Er führte sich auf wie ein Tyrann und niemand unternahm etwas dagegen. Er drohte mir mit einer Anzeige. Er tat soviel. Das konnte nicht sein, dass nun jeder andere dafür einbüßen musste, nur er nicht. Also geschah es. Meine Beine führten mich automatisch in das Krankenhaus, in diesem er behandelt wurde. Wie von selbst. Selbstverständlich wusste ich, wo er lag. Jeder wusste es. Ohne an die Rezeption zu müssen, um zu fragen, wo sich ihr Patient befand, lief ich direkt in den dritten Stock. Dahin, wo sich sein Zimmer befand. Ich klopfte nicht einmal an. Von der Wut dominiert, schlug ich die Tür auf. Wen ich vorfand, das war doch klar. Ich trat einem jungen Mann entgegen. Einem, dem anzusehen war, dass mein Auftritt ihn überraschte. Ganz anders im Vergleich zu mir. Sein Aussehen überraschte mich gar nicht. Wie er da saß. In seinem Rollstuhl. Er trug eine graue Shorts, die aus Stoff bestand. Mein Blick fiel direkt auf das große Verband um sein linkes Bein. Meine Augen gingen weiter hinauf. Ich erkannte erneut ein großes Verband, dass um seine Brust gewickelt wurde. Es war so groß, es deckte ein Teil seiner Schulter und seines Halses ab. Er trug nämlich kein Shirt, sondern eine einfache graue Stoffjacke, die ihn wärmen sollte. Sein Gesicht war blass. Blasser denn je. Seine Augen wirkten träge. Er schien müde. Sehr müde.

Too much Promises - Stray Kids FF, Hwang HyunjinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt