Kapitel 36

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(Bild von Felix Lee)

Sein Geist

Jisoo Chaehyoung

Die Schule war aus. Das bedeutete... Wir hatten erstmal keine Schule. Vorübergehen. Die Schülerschaft bekam frei, für einen ganzen Monat. Der Anlass dafür war der vergangene Amoklauf, die Verletzten, der Tod von Felix und das Trauma, was viele verarbeiten mussten. Es bestand die Chance, dass, selbst wenn die Schule wieder anfing, einige noch Zuhause blieben. Die Schule gab sich viel Mühe. Sie sprach sogar von einem Umbau, um die zur Schule gehenden Kinder nicht an das Ereignis zurückdenken zu lassen. Ich persönlich... Fand... Das war eine gute Idee. Wenn man bedachte, dass das eine Bild in Endlosschleife in meinem Kopf abgespielt wurde... Das musste aufhören. Ein Umbau würde das unterstützen. Ich atmete aus. Eigentlich wollte ich ja joggen. Deshalb war ich im Wald. In dem Wald, in diesem ich eigentlich  regelmäßig mit Felix joggte... Ich wollte versuchen, den Kopf frei zu kriegen. Auf andere Gedanken zu kommen. Irgendwie etwas anderes zu machen, doch nein. Das einzige, dass ich tat... Das war... Zu sitzen und nach zu denken. Eben dasselbe, was ich auch Zuhause tat. Erstmal, da hatte ich überlegt, ob ich Jennie kontaktieren sollte. Sie wäre sicherlich mitgekommen. Aber ich tat es nicht. Ich wollte es nicht. Sie litt ganz bestimmt. Sie musste den Tag und den Tod erstmal selbst verarbeiten. Wieso sollte ich ihr das Joggen zumuten, wenn Sie Zeit für sich selbst brauchte? Bedachte man, dass sie ihre Schwester verloren hatte und nun einen ihrer besten Freunde... Sie brauchte Zeit. Die musste ich ihr geben. Jennie war keine Person, die ihre Trauer mit anderen Menschen teilte. Sie brauchte und wollte ihre Eigenzeit. Den Freiraum ließ ich ihr. Nun... Schließlich dachte ich an Minho. Aber seien wir mal ehrlich. Ignorierten wir den Fakt, dass er kein Sport trieb, war nur ein Grund ausschlaggebend, um ihn nicht anzurufen. Es war sein Cousin, der verstarb. Er brauchte auch seine Zeit... Also war ich alleine. Ganz... Allein...

„So alleine nun wieder auch nicht.", ertönte seine tiefe Stimme.

Ich pustete die Luft aus, bevor ich die Augenlider aufeinander presste. Die Augenbrauen zusammengezogen, versuchte ich mich zu konzentrieren.

„Nein... Du bist nicht echt.", sagte ich etwas zu leise.

Ich kontrollierte meine Atmung. Ich versuchte es zumindest. Da war nämlich schon wieder seine Stimme. Das bedeutete, er war hier irgendwo. Ganz in der Nähe... Felix. Die Gestalt von Felix. Er selbst. Ich drückte die Augenlider nun fester zusammen. Aber das konnte nicht sein. Felix war... Er war schließlich nicht hier. Er war... Tot. Er war also nicht real, nein. Ich vergewisserte mich heute morgen sogar. Absichtlich. Ich hatte im Netz recherchiert. Ich las, dass es das sehr wohl gab. Dass es die Tatsache gab, das man sich einen Menschen nach einem schweren Verlust einbildete. Das war wohl absolut nicht schlimm. Das war es nicht, sobald einem bewusst war, dass die Gestalt auch wirklich nur eine Einbildung war. Nun. Das wusste ich mit Sicherheit.

„Was? Ich bin doch keine Einbildung", lachte er rau und setzte sich neben mich.

Mein Herz blieb stehen. Ich hielt die Luft an. Eine Gänsehaut breitete sich auf meiner Haut aus. Direkt verzog ich das Gesicht. Ich spürte ihn... Seine Schulter. Seine Präsenz. Wie er sich neben mich setzte. Ich konnte nicht anders, als zittrig ein zu atmen und die Tränen fließen zu lassen.

„Hey, nicht weinen...", sagte er und ich öffnete die Augen.

Vorsichtig drehte ich meinen Kopf zu ihm. Er lächelte. Sein Lächeln... Seine Grübchen. Seine wunderschönen weißen Zähne. Die Sommersprossen... Nein. Wie konnte das sein... Ohne darüber nachzudenken, fasste ich seine Wange. Ich spürte ihn. Ihn. Seine Grübchen. Er schloss die Augen und schmiegte sich in meine Hand. Es brach mir das Herz.

Too much Promises - Stray Kids FF, Hwang HyunjinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt