Kapitel 58

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Gestern, als sich Draken bereits im Halbschlaf befand, hatte ihm Mikey behutsam den Zopf gelöst und den Haargummi auf den kleinen Nachttisch neben dem Bett gelegt.
Mit den Fingern fuhr er durch dessen langen braunen Haare, welche mittlerweile bis zu seiner Hüfte reichten.
Morgen würde er sie ihm unbedingt Flechten wollen. Wenn er dies schon selbst getan hatte sobald sie sich wieder sahen, würde er den Zopf halt wieder öffnen um sie selbst nochmals zu flechten.
Dann hatte der Rotschopf seine Arme wieder um Draken gelegt und sich von hinten an ihn gedrückt.
Er hatte diese Nähe zu ihm vermisst.
Es gab einen großen Unterschied zwischen körperlicher Nähe zu Kisaki und zu Draken. Wenn Kisaki ihn berührte, fühlte er sich fast noch einsamer als würde ihn niemand berühren. Es führte ihm jedes Mal aufs Neue diese graue, farblose Realität vor Augen, in der er sich befand. Dennoch war es besser als niemanden zu haben, der dies tat.
Mikey wäre nicht in der Lage dieses Gefühl zu beschreiben oder gar zu erklären, wenn ihn Draken danach Fragen sollte. Es war sehr schwer zu beschreiben und garantiert noch um einiges schwerer nachzuvollziehen.
Draken hingegen schaffte es, dass sich Mikey geliebt und begehrt fühlte.
Während Kisaki nur dafür sorgen konnte, dass die Einsamkeit ertragbar war.
Sein Geruch brachte Erinnerungen zurück.
Nie hatte sich Mikey in den letzten zwölf Jahren so geborgen und wohl gefühlt.
Es war beinahe als wäre er im Paradies gelandet.
"Ich verspreche dir...ich helfe dir."
Obgleich Draken jene Worte gestern Abend nur vor sich hin gemurmelt hatte - ja, sehr wahrscheinlich hatte er dies nicht einmal bemerkt - kurz bevor er eingeschlafen war, haben sie Mikey den Mut gegeben den er benötigte, um Kisaki gegenüber zu treten und ihre "Beziehung" zu beenden. Auch wenn Draken gestern so besoffen war, dass er sich heute an nichts mehr erinnern konnte.

Mikey hatte die Wohnung am nächsten Tag daher recht früh verlassen. Er wollte Draken nicht in Gefahr bringen. Kisaki sollte nicht wissen, dass das Ende ihrer Beziehung mit dem braunhaarigen in Verbindung stand.
Je weniger sein Peiniger mit Draken zu tun hatte, desto besser.
Wobei Mikey immer noch Schwierigkeiten damit hatte, ihn als solchen zu betrachten. Schließlich war es seine Entscheidung gewesen. Er war aus freien Stücken bei ihm geblieben. Ihm die Schuld für seine Schmerzen zu geben....fühlte sich irgendwie falsch an.
Die Sonne war erst vor einer halben Stunde aufgegangen. Es war noch sehr frisch draußen.
Mikey hatte sein Gesicht bis zu seinen Augen hin in seinem schwarzen Schal vergraben, während er die Straße entlang zu Kisakis Wohnung lief.
Sein Herz schlug wie wild gegen seine Brust. Mit jedem Schritt wurde er nervöser.
Mikey gab sein bestes diese Gefühle und diese Reaktionen seines Körpers auf die bevorstehende Aktion zu ignorieren. Definitiv leichter gesagt als getan.
Die Hände des Rotschopfes befanden sich in dessen Jackentaschen und er knetete deren Futter durch, um sich abzulenken.
Mikey seufzte. Sein Atem hinterließ eine weiße Wolke, welche kurz darauf mit der Umgebung verschmolz.
Er unterdrückte das in ihm hoch kommende Bedürfnis seine Sinne zu betäuben. Würde er jetzt high werden, konnte er sein Vorhaben vergessen.
Einige Minuten später stand der Rotschopf auch schon vor dem Gebäude, in welchem der blondhaarige wohnte.
Er atmete durch und drückte die Tür in den Eingangsbereich auf.
Sofort machte sich der Temperaturunterschiede bemerkbar.
In dem Gebäude war es sicher mindestens zehn Grad wärmer als draußen.
Es war noch so früh, dass in der Lobby nichts los war. Mikey lief an der Rezeption und an den leeren Stühlen vorbei, geradewegs zum Aufzug.
Die meisten hohen Mitglieder Tomans, wobei die Gang heutzutage fast ausschließlich unter dem Namen Manji bekannt war, hatten hier ihren Wohnsitz.
Gerade deswegen wollte Mikey hier nicht einziehen.
Allein der Gedanke nur ein paar Meter entfernt und so immer erreichbar zu sein missfiel ihm. Zumal er sich dann nicht einmal mehr bei sich zuhause von Kisaki ungestört erholen konnte.
Mikey stand, noch immer mit den Händen in den Jackentaschen, vor den geschlossenen Aufzugstüren.
Vor was hatte er eigentlich Angst? In einem Kampf könnte er Kisaki mit Leichtigkeit schlagen.
In Gedanken zog Mikey seinen Verlobungsring von seinem Finger und versenkte seine Hände anschließend wieder in seinen Hosentaschen.
In der dritten Etage öffnete sich die Aufzugstür. Der Lichtkegel, welcher durch die Bewegung der Tür den Fahrstuhl zunehmend mehr erhellte, warf Mikeys Schatten an dessen Wand.
Der Rotschopf trat aus dem Fahrstuhl hinaus in den Flur.
Er musste keine Angst haben. Er war Kisaki überlegen. Noch einmal würde er sich nicht von ihm fesseln lassen. Es gab nichts, wovor er sich fürchten musste.
Mit neu gefundenem Selbstbewusstsein blieb er schlussendlich vor Kisakis Wohnungstür stehen.
Noch immer war ihm mulmig zu Mute und noch immer war ihm fast schlecht vor Nervosität.
Doch Mikey war Entschlossen dem jetzt und hier ein Ende zu setzen.
Er würde Draken nicht in seine Angelegenheiten mit hinein ziehen.
Der rothaarige klopfte an die Tür statt die Klingel zu benutzen. Diese Angewohnheit hatte er sich nicht abgewöhnt.
Kisaki öffnete ihm die Tür. Seine Haare waren zerzaust und er befand sich noch in seinen Schlafklamotten.
Ihre Blicke kreuzten sich und auf einen Schlag schoss Mikey das Adrenalin durch die Adern.
Was war nur aus ihm geworden? Das einzige vor dem er jemals so viel Angst hatte war, seine Freunde zu verlieren. Doch diese Angst, die er nun verspürte, schien noch um einiges schlimmer zu sein.
"Weißt du wie früh es ist?"
Kisaki trat zur Seite und ließ ihn eintreten.
"Ich muss etwas mit dir besprechen."
Der rotschopf gab sein bestes das zittern in seiner Stimme zu unterdrücken. Dies gelang ihm auch erstaunlich gut.
Hinter Mikey schloss der blondhaarige die Tür, ehe er an ihm vorbei lief und vor dem Türrahmen der Küche stehen blieb.
Mikeys Blick folgte dabei Kisaki, bis ihn jener erwiderte. Der Rotschopf streckte seine Hand aus und ließ den Verlobungsring in Kisakis Hand fallen.
"Ich werde dich nicht heiraten."
Kisaki jedoch wirkte in keinster Weise überrascht. Dies warf Mikey aus der Bahn. Sollte es ihn nicht wenigstens ein klein wenig emotional mitnehmen? Allein schon aufgrund seiner Position in der Manji Gang.
"Ich bin enttäuscht.", sagte der größere schließlich und ließ den Ring in seiner Hosentasche verwinden. "Ich habe gedacht du wärst intelligenter."
Irritiert sah Mikey zu Kisaki, welcher einen Schritt zurück in die Küche trat. Kurz darauf trennte eine Glasplatte sie beide voneinander.
Panzerglas.
Was zum Teufel-?!
Ein seltsamer Geruch erfüllte den Raum, welcher zuerst nur sehr schwer zu erkennen war.
Scheiße!
Kisaki hatte doch nicht vor ihn zu vergiften?!
Mikey rüttelte an dem Türgriff der Wohnungstür. Doch natürlich war sie abgesperrt.
Kisaki hatte sie nicht abgesperrt. Mikey hatte es doch gesehen. Wurde er verrückt?!
Der Rotschopf gab sein bestes sie einzutreten, doch natürlich war dies zwecklos.
Sehr wahrscheinlich hatte Kisaki auch an dieser Tür einen Schutzmechanismus eingebaut.
Am Ende verletzte er sich nur selbst damit.
Er sollte sich beruhigen. Er sollte-
Verdammte scheiße!
Langsam aber sicher begann die Umgebung einen seltsamen Geruch anzunehmen, welcher kaum zu beschreiben war.
Mikey zog seinen Schal etwas fester um seine Atemorgane. Er gab sein bestes seine in ihm hoch kommende Verzweiflung zu ignorieren und versuchte stattdessen auf ein neues die Tür einzutreten.

Draken X Mikey X Kisaki - One More NightWo Geschichten leben. Entdecke jetzt