Sicht Leo
Und wie eingeschränkt ich war! Und immer noch bin! Seit Wochen liege ich jetzt hier in diesem beschissenen Bett und laufen kann ich noch immer nicht richtig. Das fordert meine Nerven immer wieder aufs Neue heraus. Heute ist mein Geburtstag und aufwachen tu ich zum Lärm draußen auf dem Flur. Man hab ich den Scheiß hier satt! Meine Blase drückt ordentlich, aber ich bin alleine zu kaum was fähig. Mit Mühe schaffe ich es, mich aufzurichten und natürlich steht der Rollstuhl gefühlt am anderen Ende des Zimmers. Wer ist denn bitte auf diese bescheuerte Idee gekommen? Ich versuche, mich am Nachttisch abzustützen und tatsächlich schaffe ich es, kurz mein Gleichgewicht zu halten, dann geht die Tür auf, ich bin abgelenkt und schon liege ich auf dem Boden.
„Oh shit!" höre ich Hannes, meinen Physiotherapeuten, dann hilft er mir hoch und setzt mich auf dem Bett ab „Was machst du denn?"
„Ich wollte auf Toilette" murmle ich.
„Okay, warum drückst du nicht auf den Rufknopf?"
„Weil ich verdammt nochmal 31 Jahre alt bin und alleine aufs Klo gehen kann!" fange ich an zu heulen. Mal wieder.
„Okay, hey... Ich helfe dir jetzt und dann reden wir mal endlich Klartext. Ich glaube, das hast du noch nie richtig gemacht, oder?"
Irgendwie benommen schüttle ich den Kopf und lasse es einfach über mich ergehen, wie mir ins Bad und dann auch zurück ins Bett geholfen wird.„Leo, was ist los? Ich glaube nicht, dass du eine von Grund auf pessimistische Person bist, was bedrückt dich?"
„Was mich bedrückt? Vielleicht die Tatsache, dass ich nen Krüppel bin! Mir wurde etwas genommen und das kann mir niemals irgendwer irgendwie zurückgeben! Vier Jahre! Vor fünf Jahren habe ich meinen Geburtstag noch zusammen mit meinen Freunden und meinem Freund in München ausgelassen gefeiert! Als wir erfahren haben, dass ich schwanger war, haben wir so viel geplant und uns gefreut! Wir sind in den Norden zurückgezogen, haben uns verlobt und geheiratet. Wir haben geheiratet und am selben Tag hat uns das Schicksal wieder getrennt! Das ist doch alles nicht fair! Ich bin zu nichts selbstständig in der Lage! Wahrscheinlich wäre es besser gewesen, ich wäre niemals aufgewacht! Oder einfach direkt gestorben..."
„Hey, stopp! Sowas darfst du nicht sagen, verstanden? Und lass das auf keinen Fall irgendwen hören, eigentlich sollte ich das melden, damit du psychologische Betreuung bekommst, aber ich hab das jetzt nicht gehört. Es ist normal, dass dein Körper noch nicht das tut, was du willst. Das ist scheiße und ich verstehe dich. Aber das bekommen wir wieder hin! Mein Job ist es, dich wieder auf die Beine zu kriegen. Dein Job ist es dabei, auf mich zu hören und mir zu vertrauen. Ich weiß, was ich tue. Ich hab schon Leute wieder auf die Beine bekommen, die deutlich schlechter dran waren als du."
„Du kannst nicht verstehen, was ich gerade durchmache. Wenn man es nicht-"
„Selbst durchgemacht hat blablabla! Was glaubst du, wie oft ich das schon gehört habe? Von so gut wie jedem einzelnen frustrierten Patienten." Er holt sein Handy aus seiner Hosentasche, tippt kurz drauf rum und hält es mir dann unter die Nase. „Autounfall mit achtzehn. Ein halbes Jahr Koma und ich war deutlich schlechter dran als du. Hat gedauert, bis ich wieder laufen und sprechen konnte. Und jetzt, 15 Jahre später, merkt man nichts mehr davon... Ich wollte wieder Sport treiben. Das war mein größtes Ziel. Was willst du unbedingt machen? Wovon träumst du, seit du aufgewacht bist?"
„Mit Kilian rumtoben."
„Das ist ein gutes Ziel. Visualisiere es! Komm! Wir probieren mal was."
Er steht auf, schiebt den Stuhl weg und schiebt meine Beine über die Bettkante, sodass ich automatisch sitze.
„Und jetzt?"
„Mach deine Augen zu und hör mir zu... Stell dir Kilian vor, ihr zwei seid am Strand. Er spielt im Sand und du beobachtest ihn einfach nur. Dann ruft er dich zu sich. Du stehst auf, um auf ihn zu zu gehen. Je näher du ihm kommst, desto besser erkennst du sein Grinsen und seine strahlenden Augen. Da musst du doch glatt selber breit lächeln... Okay, jetzt mach die Augen auf."
Ich halte mich noch immer an seinen Armen fest, während ich meine Augen öffne. Erst checke ich nicht, warum er so breit grinst, dann sehe ich runter und tatsächlich stehe ich.
„Ich lasse dich jetzt langsam los. Du stehst schon, stark genug bist du also schonmal. Alles, was du machen musst, ist das Gleichgewicht halten."
„Okay" murmle ich, immer noch von dem Fakt beeindruckt, dass ich stehe.
Langsam lässt er mich los und tritt einen Schritt zurück. Kurz schaffe ich es, die Balance zu halten, es fühlt sich einfach verdammt gut an, das zu tun. Aber dann verliere ich das Gleichgewicht und schaffe es gerade noch so, mich an Hannes festzuhalten, um mich langsam aufs Bett zu setzen.
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Alles was uns reicht
FanficJa gut, Leo ist wieder da, aber sicher, dass damit jetzt wieder alles einfacher wird? Sind sie bereit, die ganzen Herausforderungen zusammen zu meistern, oder werden sie an ihnen zerbrechen? Was ist mit Kilian?