Kapitel 211

534 34 3
                                    

Als ich meine Augen öffne, sehe ich direkt auf Leo, welche schon wach ist. Es fühlt sich friedlich an, die Stille tut gut. Ich sehe ihr einfach nur in ihre wunderschönen Augen...
„Er ist ein guter Freund-"
„Das ist jetzt nicht dein Ernst" brumme ich.
Wieso musste sie diesen ausnahmsweise mal friedlichen Augenblick zwischen uns zerstören?
„Lass mich doch einfach mal ausreden... Er ist zu einem guten Freund geworden, zu einer Stütze für mich... Aber du bist der Mann, den ich liebe."
Sie legt ihre Hand auf meine, während in meinem Kopf wieder das totale Chaos herrscht. Ich will immer noch diese Zukunft zusammen mit ihr und Kilian. Können wir diese Zukunft vielleicht doch noch retten? Sind wir nicht zum scheitern verurteilt? Können wir Kilian noch die Familie bieten, die er verdient hat?
„Kannst du dazu bitte auch mal was sagen?"
Ich hab gar nicht gemerkt, wie lange ich auf unsere Hände gestarrt habe. Jetzt sehe ich wieder in ihre Augen. Ich drehe meine Hand um, um sie mit ihrer verschränken zu können.
„Wir bekommen das wieder hin, ja?"
„Ja" nickt sie und wirkt wirklich überzeugt.
„Du hast Recht, einfach weitermachen und die letzten Jahre ignorieren kann nicht klappen. Ich hab es versucht und dich damit ausgeschlossen... Es ist nur so, dass diese Zeit unglaublich schwer für mich war. Wir saßen da am Strand und ich hatte das Gefühl, alles zu haben, was ich mir immer gewünscht habe. Verheiratet, fast Papa... Dann ging alles plötzlich ganz schnell. Ich saß eine halbe Ewigkeit in diesem verfickten Wartebereich, hatte Angst einfach alles zu verlieren... Meine Frau, meinen Sohn... Ich hatte solche Angst um euch. Dann hieß es, dass es zwar Komplikationen gab, ihr aber beide am Leben seid. Für einen Augenblick dachte ich, dass alles gut sei, aber es hat nochmal lange gedauert bis ich Kilian überhaupt auf den Arm nehmen durfte... Er war so klein und schwach, so zerbrechlich... Du hast mir immer den Rücken gestärkt, durch dich hab ich mich immer stark gefühlt, aber du konntest dieses Mal nicht an meiner Seite sein. Ich musste stark sein. Ich war stark. Für dich und für Kilian..."
„Und keiner war für dich stark" murmelt sie und drückt meine Hand etwas fester.
„Kilian hat mich, ohne es zu wissen, zusammengehalten und ohne unsere Familie und Freunde wäre ich aufgeschmissen gewesen und ich will gar nicht erst wissen, was aus Kilian geworden wäre."
„Ich denke, ihr und vor allem du hast das unglaublich gut hinbekommen. Kilian ist ein glückliches Kind, du bist ein unglaublich toller Papa. Aber du musst nicht mehr allein stark sein."
„Ja... ich weiß... Es wird noch eine Weile dauern, bis ich aus dieser Gewohnheit rauskomme. Ich war so lange auf mich allein gestellt, was meine Gefühle angeht. Ich hab nie mit jemandem wirklich drüber gesprochen."
„Nur in deinen Songs."
„Ja, sie sind ziemlich brutal, anders als früher... Aber das bin ich ja auch."
Ich schließe die Augen und drehe mich auf den Rücken, ohne Leos Hand loszulassen. Diese kleine, eigentlich doch so unscheinbare Berührung, gibt mir gerade so unglaublich viel Kraft, sie tut so unglaublich gut.
„Sie sind ehrlich."
„Ja... teilweise vielleicht etwas zu ehrlich. Die Tour war extrem... emotional. Wir haben ausschließend Songs vom vierten Album gespielt. Zum Tourabschluss hab ich einen Song vom Dritten gespielt. ‚Was die Menschen nicht wissen'... Ich bin danach hinter der Bühne zusammengebrochen. Amelie wollte, dass wir abbrechen, aber ich hab's durchgezogen. Ich hab kaum noch etwas gespürt. Und nur ein paar Wochen später bist du aufgewacht... Ich wollte mir einreden, dass damit jede Last von meinen Schultern gefallen ist, aber das ist nicht möglich und das weiß ich jetzt auch. Ich weiß nur noch nicht, was am besten für uns ist. Nach vorne schauen und einfach weitermachen als sei nichts hat ja definitiv nicht funktioniert. Wir können aber auch nicht in der Vergangenheit leben, das kann ja noch weniger gut für uns sein."
„Dann leben wir im hier und jetzt. Betrachten die Vergangenheit als vergangen, schweigen sie aber nicht tot, und sehen positiv in die Zukunft. Was sagst du?"
„Das sollten wir versuchen, ja."
Ich drehe meinen Kopf in ihre Richtung und meine Mundwinkel ziehen sich automatisch etwas nach oben. Leo lächelt mich auch leicht an und drückt einen Kuss auf meine Hand.

Eine Weile schauen wir uns nur in die Augen, bis ich hinter mir die Tür aufgehen höre. Sofort muss ich breit grinsen. Kilian klettert hinter mir aufs Bett rauf und über mich rüber. Zwischen Leo und mir lasst er sich fallen.
„Guten Morgen" lache ich.
„Ich will kuscheln!"
„Oh na dann!" grinst Leo und öffnet ihre Arme für Kilian.
Der wirft sich in die Arme seiner Mama und mein Herz geht regelrecht auf.

Alles was uns reichtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt