Kapitel 227

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Inzwischen wieder zuhause sitze ich jetzt im Arbeitszimmer auf dem kleinen Sofa vor der Wand mit meinen Alben, vor der ich die letzten Jahre alles mögliche aufgenommen habe, was veröffentlicht werden sollte.
„Soll ich gehen oder bleiben?"
Leo lächelt mich an, Kilian ist im Kindergarten.
„Ich hab jedes einzelne Wort vergessen, was ich mir zurechtgelegt habe."
„Bleiben?"
„Kannst du bitte bleiben, ja?"
Nickend setzt sie sich auf meinen Stuhl und rollt etwas näher ran. Trotzdem bekomme ich noch keinen Ton raus. Ich höre nur wie Leo aufseufzt und sich neben mich setzt.
„Ich kann mich rausschneiden" flüstert sie und nimmt meine leicht zitternde Hand.
„Warum stelle ich mich so an?"
„Weil du sehr lange nichts so privates mit der Öffentlichkeit geteilt hast."
Leicht abwesend nicke ich und sehe dann direkt in die Kamere, meine Hand hält immer noch die meiner Frau.
„In den letzten Jahren hab ich eine große Mauer um mich und mein Privatleben aufgebaut... und jetzt wurde diese Mauer eingerissen. Ja, ich habe einen Sohn. Vier Jahre alt und mein größter Stolz. Seine Mutter ist die Frau, in die ich mich 2019 verknallt, 2020 verliebt und die ich 2021 geheiratet habe. Nur wenig später wurden wir auseinandergerissen. Wir hatten einen Unfall, woraufhin sie eine sehr lange Genesungszeit hatte. Ich kann nicht sagen, dass ich mit unserem Sohn alleine war, während sie nicht da sein konnte, unsere Familie, unsere Freunde haben uns, beziehungsweise mich, alle unterstützt... Versteht mich nicht falsch, ich bin extrem dankbar, ich war in den letzten Jahren so gut wie nie alleine... Trotzdem hat es mich gebrochen, als ich dachte, ich hätte die Liebe meines Lebens verloren. Also nein, ich habe nicht vorgetäuscht, dass es mir beschissen ging. Es ging mir nicht rund um die Uhr scheiße, Zeit mit meinem Sohn zu verbringen ist und war seit seiner Geburt ein riesiges Privileg. Aber eine Sache, die noch weniger der Fall war ist, dass sie mich mit unserem Sohn verlassen hat und mich von ihm ferngehalten hat. Während bei ihr extrem viele Nachrichten eingegangen sind, in denen sie beschimpft wurde, haben wir beide gekämpft. Es tat also echt weh, als ich diese Nachrichten nach all der Zeit gesehen hab...  Uns beiden." Ich sehe kurz rüber zu Leo, die mich leicht anlächelt und meine Hand drückt. „Wir haben noch einiges, woran wir aktuell arbeiten und dabei sind irgendwelche Fotos im Internet von intimen Momenten, wie dieser Augenblick am Flughafen für uns war, nicht hilfreich. Ehrlich gesagt macht mir sowas sogar Angst. Es hat mir gezeigt, dass ich meine Familie nicht so schützen kann, wie ich dachte, dass ich sie schütze. Ich würde allerdings echt alles tun, um meine Frau und meinen Sohn zu schützen."
Ohne Leos Hand loszulassen stehe ich auf und schalte die Kamera aus.
„Das war gut" lächelt sie, als ich mich wieder neben sie fallen lasse.
„Meinst du? Ich finde das nämlich komplett bescheuert. Ich hab alles mehrfach durchdacht und ich finde es komplett bescheuert mich rechtfertigen zu müssen, dass ich meine Familie meinem Privatleben zuordne und der Meinung bin, dass die Öffentlichkeit meinen Sohn nichts angeht. Allgemein mein Privatleben. Das ist doch nur meins!"
Leo rückt etwas rüber und zieht mich richtig in ihre Arme.
„Ich muss noch packen."
„Das hat Zeit."
„Universal hat langsam die Schnauze voll von meinen Stimmungsschwankungen. Die wollen einfach nur endlich wieder Ergebnisse sehen."
„Du bist in einer Ausnahmesituation, Wincent..."
„Sie sind der Meinung, dass sie lange genug Verständnis für mich aufgebracht haben."
„Du brauchst aber noch Zeit, wir brauchen noch Zeit. Ich weiß, dass es sie nicht interessiert, aber das wiederum juckt mich nicht. Mir ist nicht wichtig, was die wollen. Mir ist wichtig, was unsere Familie braucht. Was du brauchst, ist Zeit, um das alles zu verarbeiten. Ich brauche meinen Mann bei mir. Kilian braucht seine beiden Eltern."
„Können wir bitte einfach wieder mit Kilian ins Flugzeug steigen und wieder in unser kleines Paradies abtauchen, wo es deutlich einfacher war, euch zu schützen?"
„Du weißt, dass ich sofort dabei wäre, aber du weißt auch, dass das nicht geht."
„Warum?"
„Weil unser Leben hier ist."
Leo zieht mich etwas mehr auf die kleine Couch und schlingt ihre Arme noch fester um mich, während ich mein Gesicht an ihrem Hals verstecke. Ihr Duft umhüllt mich, ich spüre ihre gleichmäßige Atmung und wie sie sanft meinen Hinterkopf krault.
„Ich glaube, ich sollte mir mal wieder einen Therapie-Termin machen" murmle ich irgendwann.
„Das ist eine gute Idee."
„Ja?"
„Ja... ich werde, so sehr ich es will und versuche, dir nie wirklich helfen können. Ich kann dir zuhören und dich festhalten, wenn du es brauchst, aber professionell helfen kann ich dir nicht. Das ist aber das, was du meiner Meinung nach brauchst und ich bin froh, dass du das weißt."
Ich erwidere nichts mehr, sondern schließe einfach meine Augen.

Alles was uns reichtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt