Kapitel 269

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Tatsächlich hat Wincent sein Handy den ganzen Abend lang aus gehabt und es erst morgens wieder angestellt, bevor er Kilian in den Kindergarten gebracht hat. In der Zeit hab ich mich fertig gemacht. Auch, wenn ich heute nur Homeoffice habe und mich eigentlich niemand zu Gesicht bekommt, abgesehen von Wincent, fühle ich mich dann einfach besser. Schlussstrich ziehe ich dann aber bei den Klamotten. Nichts und niemand bekommt mich im Homeoffice aus der Jogginghose raus! Als ich fertig bin, höre ich, wie Wincents Auto auf die Einfahrt fährt. Sofort flitze ich runter.
„Nein, das ist mir ziemlich egal. Ja, das ist mein voller Ernst. Dann konzentriere ich mich aufs Schreiben und Produzieren."
Er ist angespannt, lächelt mich aber kurz an, während er die Tür hinter sich schließt und seine Schuhe wegtritt. Ich bekomme noch einen Kuss auf die Wange, dann geht er direkt nach oben. Seufzend folge ich ihm hoch, gehe aber in mein Arbeitszimmer. Seine Tür ist geschlossen, während ich meine geöffnet lasse. Wenn er bereit ist, weiß er, dass er zu mir kommen kann. Und das tut er auch. Es dauert nicht allzu lange, da schlingt er die Arme um mich und vergräbt seine Nase in meinen Haaren.
„Alles okay?"
„Geht schon, Anna versteht's ja... Hätte sich aber ne Vorwarnung gewünscht."
„Und die Plattenfirma?"
„Da will sie sich drum kümmern. Hast du fünf Minuten oder musst du das schnell fertig kriegen?"
„Für dich hab ich immer Zeit."
Ich lasse alles einfach stehen und liegen und stehe auf, um ihn richtig festhalten zu können. Okay, eigentlich weiß ich nicht, wer hier wen festhält. Ich Wincent oder Wincent mich. Aber es tut ziemlich gut. Irgendwann streichle ich über seine Seiten, während ich mich langsam löse.
„Geht's?"
„Ja, alles gut... Ich hab gleich noch nen Meeting, da sollte ich mich langsam mal für fertig machen."
„Mit Video?"
„Ja?"
„Nur damit ich nicht aus Versehen reinplatze."
„Gegen eins sollte das durch sein, gemeinsames Mittagessen?"
„Ja, definitiv!"
„Super, bis dann."
Wenigstens bekomme ich noch einen Kuss, bevor er wieder rübergeht. Bis halb eins schaffe ich es, ordentlich durchzuziehen, dann klappe ich alles zu und mache mich daran, Mittagessen zu kochen. Pünktlich kurz nach eins kommt dann auch Wincent runter und sieht mir neugierig über die Schulter.
„Holst du Teller und Besteck raus? Ist gleich fertig."

Wir genießen dieses kleine Mini-Date extrem, bevor es für uns beide wieder an die Arbeit geht. Ich bin mit meinem Tagesziel tatsächlich schneller durch als gedacht und trotz Kind ist haushaltstechnisch gerade nicht viel zu erledigen. Vorsichtig linse ich zu Wincent rein, der, wie ich schnell bemerke, mit jemandem redet. Ich will also gerade wieder abhauen, da nickt er mich zu sich. Ist also ohne Video. Er rückt etwas zurück, damit ich mich auf seinen Schoß setzen kann. Keine Ahnung, worum es gerade geht, aber ich merke, dass es nicht allzu ernst sein kann. Andernfalls würde Wincent sich noch immer auf das Gespräch konzentrieren. Stattdessen sieht er mich lächelnd an und gibt nur noch Halbantworten von sich. Ich vermisse diese Zweisamkeit in letzter Zeit manchmal echt. Klar, wenn Kilian abends im Bett liegt, nehmen wir uns Zeit für uns, aber durch all diesen Druck, der gerade von außerhalb auf uns einwirkt, kommen wir grade kaum dazu uns wirklich ausführlich um uns zu kümmern.
„Jio perfekt, dann hören wir uns" läutet mein Mann dann das Ende des Gesprächs ein und widmet sich nur wenig später voll und ganz mir.
„Hast du noch viel zutun heute?"
„Hm... hab gestern nicht so wirklich was geschafft, das will nachgeholt werden. Ich würde mir gern mal wieder richtig Zeit für uns nehmen. Ich verspreche, das kommt wieder. Wenn sich um uns herum alles beruhigt hat."
„Wenn es sich überhaupt beruhigt."
„Ich hab dir meinen Standpunkt erklärt. Wenn sich nichts tut, mache ich meine Drohung wahr."
„Ich will nicht, dass du sie wahrmachst. Du liebst es, Konzerte zu spielen."
„Dann reduziert sich mein Publikum halt auf unsere Kinder. Kilian und die Krümel, die in Zukunft da drin heranwachsen werden" Lächelnd tippt er auf meinen Bauch „Wenn sich unsere Pläne aus deiner Perspektive diesbezüglich in den letzten paar Wochen nicht geändert haben."
„Diese Pläne werden sich bestimmt nicht ändern."
Es klingt echt bescheuert, aber durch all das, wo wir bisher mit Kilian durchmussten, werde ich bei unserem zweiten Kind definitiv noch vorsichtiger sein, was den Schutz der Privatsphäre angeht. Mir sollen nicht alle meine Kinder später vorwerfen können, dass wir nicht gut genug auf sie aufgepasst haben. Das tun wir schon selber genug.
„Ich kann mir jetzt aber auch Zeit nehmen, wenn du willst. Wollen wir ne Runde laufen gehen?"
„Du musst das hier bestimmt fertig bekommen, was auch immer."
„Wollen wir ne Runde laufen gehen?" wiederholt er seine Frage schmunzelnd.
„Ja, gerne" grinse ich und stehe von seinem Schoß auf.

Wir ziehen uns schnell um und verlassen dann das Haus. Wincent legt zwischendurch ein paar Sprints ein, während ich beim lockeren laufen bleibe.
„Gleich noch nen bisschen Kraftsport" grinst er mich beim rückwärts laufen vor mir an.
„Du bist vielleicht noch fit, ich bin ausgepowert!"
„Du kannst noch reden, das passt."
Grinsend schiebt er mich zuhause in sein Gym und quält mich mit einem fetten Grinsen im Gesicht.
„Was ist nochmal aus deinem Fitnesstrainer-Plan geworden?" keuche ich, als er mir die Gewichte abnimmt.
„Den Plan hab ich irgendwann einfach unterbewusst nicht weiter verfolgt" zuckt er mit den Schultern.
Während er sich seine deutlich größeren Gewichte schnappt setze ich mich an die Seite und beobachte ihn. Beziehungsweise seine Muskeln.

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