Kapitel 226

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Ich hab mir noch nie einfach Leos Handy genommen und darin rumgeschnüffelt. Nichtmal, als sie im Koma lag, da hatte ich auch ganz andere Probleme. Und auch jetzt, wo mit ihrem -und meinem- Handy hier im Sand sitze, bin ich mit noch unschlüssig, was ich machen soll. Ich drehe es erst etwas in meinen Händen rum, bevor ich es letztlich doch entsperre und Instagram öffne. Ich gehe direkt auf ihre DMs und auch wenn ich kurz in Versuchung bin, den Chat ganz oben mit Hannes zu öffnen, gehe ich auf den Anfragenordner. Was zur Hölle ist falsch mit den Menschen? Leo hat definitiv einige dieser Anfragen geöffnet, aber soweit ich das sehe, keinem geantwortet. Ich lese mir bestimmt eine Stunde lang Nachrichten durch, die meiner Frau hauptsächlich geschickt wurden, als sie im Koma lag. Die neueren wurden alle heute oder gestern geschickt. Wir waren die letzten Tage ziemlich wenig am Handy, also hat sie die glücklicherweise noch nicht gelesen. Kurz überlege ich, einfach direkt alle zu löschen, aber ich bin mir ja noch nichtmal sicher, ob ich will, dass sie erfährt, dass ich mir ihr Handy angeschaut hab. Auch wenn ich wirklich nichts anderes als diese Anfragen angeschaut habe. Warum hat sie mir nie davon erzählt? Warum musste ich davon erfahren, als wirklich alles zusammenbricht? Die ganze Mauer, die ich um mein Privatleben aufgebaut habe, um vor allem Kilian und Leo zu schützen, ist zusammengebrochen.

„Was machst du hier draußen?"
Gerade geht die Sonne auf, während Leo sich neben mich setzt.
„Mein Handy?"
Ich entsperre es wieder und bin direkt in den Anfragen drinnen.
„Hattest du vor, mir davon zu erzählen?"
„Wince..."
„Hattest du nicht, alles klar... Du hast es mir damals versprochen."
„Damals, vor dem Unfall, bevor ich im Koma lag und bevor zwischen uns eine Eiszeit herrschte."
„Also ist jedes Versprechen aus unserem früheren Leben jetzt hinfällig? Unser Eheversprechen zufälligerweise auch?"
„Das ist nicht fair."
„Ich bin nicht fair?"
„Natürlich ist unser Eheversprechen nicht hinfällig! Ich liebe dich damals wie heute!"
„Warum hast du mir dann nichts gesagt?"
„Warum hast du mein Handy?"
„Weil ich diese Nachrichten sehen musste."
„Wie hast du davon erfahren?"
„Spielt jetzt keine Rolle, warum hast du mir nichts erzählt?"
„Ich weiß es nicht."

Seufzend ziehe ich sie in meine Arme.
„Diese Nachrichten tun auch mir extrem weh."
„Woher wusstest du von den Nachrichten? Oder wonach hast du sonst in meinem Handy gesucht? Du weißt, dass ich keine Geheimnisse habe."
„Anscheinend ja doch, wenn du diese Nachrichten vor mir verheimlich hast. Ich hab nach nichts anderem gesucht. Ich wollte mir nur diese Nachrichten ansehen."
„Und von wem hast du davon erfahren?"
„Hast du's wem anders erzählt?"
„Lenk nicht ab, Wincent!"
Seufzend entsperre ich mein Handy und sofort öffnet sich der Artikel.
„Jahrelang hat Wincent Weiß ein Geheimnis um sein Privatleben gemacht, wogegen er früher damit doch recht offen umgegangen ist. 2020 machte er noch super glücklich öffentlich, dass er in festen Händen ist, ein Jahr später wird es plötzlich still um den Sänger. Privat sei etwas vorgefallen und er bräuchte Zeit. Zurückgemeldet hat er sich dann mit einem neuen Album, dass kein Auge trocken lässt. Das lässt schlussfolgern, dass die vergangen Jahre beim einstig immer so gut gelaunten Sänger nicht ohne gewesen sein müssen. Ist die Beziehung doch gescheitert? Von wegen! Am Flughafen wurden die beiden jetzt zum ersten Mal seit 2021 gesehen und das nicht alleine! Auf dem Arm hatte der Sänger einen etwa drei- bis vierjährigen Jungen, der sich richtig an ihn geklammert hat. Hat der Sänger heimlich eine Familie gegründet? Wir haben um ein Statement gebeten, warten aber noch auf eine Rückmeldung. Was denkt ihr? Hat Wincent uns jahrelang einfach nur etwas vorgemacht? Ging es ihm privat doch viel besser, als er gezeigt hat?"
„Was?"
Ich gebe ihr mein Handy, inzwischen sitzen wir doch wieder mit einer kleinen Lücke zwischen uns da.
„Von einigen Spezialisten wurde das noch aufs nächste Level gehoben. Die vermuten, dass du mich hast sitzen lassen, mit unserem Kind abgehauen bist und jetzt zu mir zurückgekommen bist, weil das Geld knapp wurde... Und dann sehe ich auf Instagram, dass meine Schutzmauer, die ich um unsere Familie aufgebaut hatte, schon lange instabil war. Auch wenn dich diese Nachrichten bis vor ein paar Monaten nichtmal erreicht haben...Die Mauer war nicht so undurchdringbar, wie ich dachte."
„Willst du sagen, dass das meine Schuld ist, weil ich dir nicht von den Nachrichten erzählt habe?"
„Nein! Natürlich nicht!"
„Warum hast du nie öffentlich gemacht, was passiert ist?"
„Weil ich dann hätte drüber sprechen müssen? Weil es mir zu privat war? Weil ich Angst vor den ganzen Fragen hatte?"
„Okay... Dann überlegen wir uns jetzt zusammen was."
„Wir müssen uns nichts überlegen. Ich will dich und Kilian schützen, da komme ich jetzt nicht mehr drum rum, nen ehrliches Statement abzugeben. Ich muss sagen, was passiert ist... Autounfall, du im Koma, ich alleine mit Kilian, du wieder aufgewacht, jetzt sind wir hier und ich werde mein Privatleben weiterhin aus der Öffentlichkeit raushalten."
„Das ist wirklich extrem runtergekürzt und wird mehr Fragen aufwerfen als beantworten."
„Ich bin nicht stark genug, das alles nochmal durchzukauen."
„Du bist aber nicht mehr alleine."
„Du kannst nichts machen, ich will dich nicht mit in diese Welt ziehen."
„Bisschen zu spät. Ich hab dich geheiratet und mit meinem Wincent, der du im Privaten bist, eben auch den, der in der Öffentlichkeit steht. Ich hab mich bewusst dazu entschieden, hinter dir zu stehen. Egal mit welcher Scheiße du klarkommen musst, ich muss auch mit dieser Scheiße klarkommen. Deine Probleme sind auch meine."

Alles was uns reichtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt