Kapitel 271

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Wincent
Leo greift nach meiner Hand, aber so richtig besser wird meine Nervosität dadurch auch nicht. Gestern war ich ja noch irgendwie ganz guter Dinge, aber das war gestern. Heute ist ein anderer Tag und ich bin extrem nervös. Das ist ja schon fast vergleichbar mit dem ersten Kennenlernen! Grauenhaft! Auch, wenn das damals ganz gut lief. Ich dachte, durch so eine Nervosität muss ich nie mehr durch. Fehlanzeige. Kilian ist natürlich total aufgedreht und als auch noch Nils uns die Tür öffnet, gibt's keinen Halt mehr. Sowohl für Kilian, als auch Leo.
„Was machst du denn hier?"
„Wollte mal wieder vorbeikommen. Schlimm?"
„Ganz klares nein! Hab dich einfach vermisst."

Bis nach dem Kaffee ist das Thema Öffentlichkeit auch echt kein Ding. Leo quetscht ihren Bruder ziemlich aus, immerhin sieht man ihn in letzter Zeit ziemlich selten zuhause. Kilian will dann aber unbedingt mit Balu spielen und da macht Nils natürlich direkt mit. Das wiederum bedeutet, dass wir jetzt nur noch zu viert am Tisch sitzen.
„Spuckt es schon aus" seufzt Leo dann, lehnt sich etwas zurück und legt die Hand auf meinen Oberschenkel.
„Wir machen uns wirklich Sorgen um euch."
„Ich weiß doch, Mama, aber langsam wird's besser. Wirklich."
„Für den Augenblick, ja. Weil Wincent damit gedroht hat, sich wieder zurückzuziehen. Was ist, wenn es irgendwann wieder losgeht?"
„Dann höre ich mit der Musik auf" ergreife ich jetzt mal das Wort „Das ist mein voller Ernst. Ihr wisst, dass mir nichts auch nur im Ansatz so wichtig ist, wie meine Familie."
„Und wenn es dazu kommt kannst du das auch einfach so?" Frank sieht mich unsicher an „Versteh' mich nicht falsch, wir wissen wie hart du an dieser Karriere gearbeitet hast, aber was willst du machen, wenn du die abbrichst?"
„Es ist ja nicht allein meine Stimme, um das mal so zu sagen. Klar, Konzerte, irgendwelche Shows und Release sind aktuell das, was ich hauptsächlich mache, aber da is ja auch noch so einiges, was im Hintergrund läuft. Produzieren und Schreiben von Songs für andere Künstler zum Beispiel. Plus die Tatsache, dass ich auch in eine Hand voll Unternehmen investiert habe, die gut laufen. Am Finanziellen wird das alles nicht scheitern, wenn ich mich in den Hintergrund zurückziehe."
Ich bin mir durchaus im Klaren darüber, dass genau das es ist, wovor mich meine Großeltern immer gewarnt haben. Was ist, wenn meine Karriere irgendwann mal nicht mehr gut läuft und ich eine Familie habe, um die ich mich kümmern muss. Es ist ja nicht so, dass meine Karriere nicht mehr läuft, aber sie kollidiert gerade mit meiner Familie. Vielleicht gab es mal eine Zeit, in der ich meine Karriere vor die Familie gestellt habe, aber das ist lange vorbei. Durch Leo habe ich damals gelernt, wie ich Privat und Öffentlichkeit voneinander trennen kann.
„Wie können wir euch am besten unterstützen?"
Anke greift nach der Hand ihrer Tochter, die wie ich ganz genau merke, den Tränen nahe ist.
„Na komm, wir lassen die Damen mal alleine. Bierchen?"
„Dazu sag ich nicht nein."

Mit jeder einer Flasche Bier stellen wir uns an sie geöffnete Terrassentür, um Kilian, Nils und Balu zu beobachten.
„Du passt auf mein kleines Mädchen auf, ja?"
„Mir ist nichts wichtiger, als dass es ihr gut geht. Sie und Kilian stehen für mich an erster Stelle. Das wird sich auch nicht ändern. Ich weiß, dass ich bestimmt nicht gerade der Traum an Schwiegersohn bin, aber von Anfang an habe ich alles getan, um für Leo die beste Version von mir selbst zu sein."
„Ich würde mir ja gerne weniger Sorgen machen, aber versuch das mal bei deinem Kind."
„Das geht nicht, ich weiß."
„Es fällt mir auch nach fast dreißig Jahren noch extrem schwer, sie einfach machen zu lassen. Ihrer Mutter fällt das noch schwerer. Nach all den Jahren wissen wir, dass du sie wirklich liebst und alles für sie tun würdest. Trotzdem, machen wir uns Sorgen. Dieses ganze Öffentlichkeitsding ist auch für uns insofern beängstigend, dass Leo da jetzt mit drinnen hängt. Auch, wenn das keiner von euch wollte. Stalking, Angst in der eigenen Wohnung und zuhause verstecken, weil man Angst hat, dass Fotos vom eigenen Kind und sich selbst im Internet landen, ist nicht unbedingt das, was man sich für die Tochter wünscht. Aber daran konnte ja auch niemand denken und ich weiß, dass du ihr trotz dieser ganzen Hürden, an denen du ja auch nicht Schuld bist, extrem gut tust. Trotz allem ist Leo verdammt glücklich mit dir und das ist mir am wichtigsten. Mach dir nicht immer so einen Kopf, was wir von dir halten. Für uns gehörst du schon sehr lange zur Familie dazu."
Bevor ich etwas erwidern kann, kommen Leo und Anke zu uns. Leo schlingt die Arme um mich und sieht in den Garten zu den Jungs.
„Geht's wieder?" flüstere ich ihr zu und bekomme als Antwort nur ein kurzes Nicken.

Alles was uns reichtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt