Kapitel 286

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Wie in Zeitlupe betreten wir zu dritt das Krankenhaus. Shayenne rennt zu irgendeiner anderen Krankenschwester, bevor sie uns in einen separaten Raum zieht.
„Wo ist Kilian?"
„Bei einem Arzt. Soweit Sofia das jetzt kurz erzählen konnte hat er wahrscheinlich einen gebrochenen Arm und vielleicht eine kleine Gehirnerschütterung, durch den Unfall. Aber durch den konnten Unfall konnten sie schneller gefunden werden. Ihr könnt gleich zu ihm und die Polizei wird dann auch nochmal mit ihm reden wollen."
„Alles was ich will ist, dass er endlich wieder bei uns ist."
Ich habe kaum ausgesprochen, da wird die Tür geöffnet. Aber anstatt unseres Sohnes kommen Polizeibeamte herein. Während sie erklären, was genau jetzt Sache ist, kann ich kaum zuhören und dann wird er von Shayenne endlich zu uns gebracht.
„Mama! Papa!"
Während Leo und ich uns beinahe synchron auf die Knie fallen lassen, rennt er auf uns zu und lässt sich in unsere Arme fallen. Ich kann dieses Gefühl gerade einfach nicht in Worte fassen. Diese Angst, dich ich bis vor ein paar Stunden noch hatte hat sich in pure Erleichterung gewandelt. Trotzdem ist mir noch immer schlecht. Leo übersäht unseren Sohn mit Küssen, während ich meine Arme um sie beide geschlungen habe und ein paar Tränen nicht zurückhalten kann.
„Sie hat gesagt, dass ich jetzt bei ihr lebe und du bald auch kommen wirst. Aber ich will doch dass du und Mama zusammen seid. Ich will nur bei euch leben."
Ich bekomme kein Wort heraus, sondern kann Kilian nur anstarren und meine Fingernägel in meinen Handballen drücken, sodass es wehtut.
„Du musstest und solltest nie bei ihr leben. Du bleibst bei uns und Mama und ich bleiben zusammen, versprochen."
Wieder schmiegt er sich an seine Mutter und ich mustere jeden Zentimeter seines Körpers. Er hat ein paar Schrammen im Gesicht und sein Arm ist eingegipst.
„Papa?"
„Hm?"
„Bist du sauer auf mich?"
„Nein! Warum sollte ich? Ich bin bin einfach nur unendlich froh, dass du wieder bei uns bist!" Sanft hebe ich ihn auf meinen Arm und lehne meine Stirn gegen seine, bevor er die Arme um meinen Hals schlingt und sich an mich kuschelt „Ich hab dich unendlich doll lieb!"
„Und ich dich noch mehr!"
„Mehr als unendlich?"
„Ja!"

„Geht ihr schonmal vor zum Auto? Ich komme gleich nach."
Kilian ist so müde, er ist auf dem Arm seiner Mama schon längst eingeschlafen.
„Wo willst du hin?"
„Ich bin gleich wieder bei euch."
„Wince..."
„Ich bin gleich wieder da, geh schonmal zum Auto."
Nachdem ich noch einen sachten Kuss auf ihre Wange gehaucht habe, drehe ich mich nochmal um. Meine Hände ballen sich wie automatisch zu Fäusten, während ich zu den Beamten gehe, die uns gerade erst entlassen haben.
„Herr Weiß? Ist noch etwas? Ich vergewissere Ihnen, dass die Beamten, solange Frau Beireut noch im Krankenhaus bleiben muss, sie nicht aus den Augen lassen werden."
„Ich will mit ihr reden. Ich muss wissen, warum sie das getan hat!"
„Ich verstehe Ihre Aufgebrachtheit, aber ich kann Sie nicht zu Frau Beireut lassen."
„Wieso?!"
„Weil sie aktuell im OP ist. Ihr Sohn hat auf der Rückbank glücklicherweise nicht viel abbekommen. Das trifft auf Frau Beireut nicht zu und sobald die Ärzte das GO geben, werden wir sie befragen und es wird eine Verhandlung geben."
Ohne ein weiteres Wort drehe ich mich wieder um und trete auf dem Parkplatz noch ein paar steine weg, bevor ich mich ins Auto setze. Ich will jetzt keine Anzeige wegen Beleidigung von Polizeibeamten riskieren. Ich hoffe, dass dieses Miststück an Frau schnell wieder auf den Beinen ist und dann mindestens genauso sehr leiden muss, wie wir in den letzten Tagen.
Ich will Gerechtigkeit.

Aber leider Gottes sollte es nicht dazu kommen und demnach auch nie zu einer gerechten Strafe. Es mag etwas sadistisch klingen, aber der Tod ist in meinen Augen keine Strafe für sie gewesen. Wie es aussieht war sie psychisch labil, genaueres wurde uns nicht erzählt. Nur, dass sie es verheimlicht hatte und so den Job im Kindergarten, den sie nie hätte haben dürfen, bekommen hat. Jetzt ist sie tot. Allein der Gedanke, dass das auch unser Sohn hätte sein können, macht mich krank.
Ich versuche, mir den ganzen mentalen Stress von der Seele zu rennen, aber irgendwann bekomme ich keine Luft mehr. Ich fühle mich eingeengt. Ich muss stehenbleiben, stütze mich auf den Knien ab, fasse mir an die Brust... Irgendwann schaffe ich es, mich wieder aufzurichten. Langsam geht am Horizont die Sonne auf und ich laufe wieder nach Hause.

Leise schleiche ich mich durch den Flur hoch ins Schlafzimmer - wie ich dann feststellen muss ins leere Schlafzimmer - um mir frische Klamotten aus dem Schrank zu holen. Nur stehen hier zwei Koffer.
„Kilian hat wieder nicht durchgeschlafen..."
Leo lehnt sich an den Türrahmen und sieht mich mit müden Augen an.
„Was machen die Koffer hier?"
„Ich konnte auch nicht durchschlafen. Und als ich mitten in der Nacht aufgewacht bin, warst du mal wieder nirgends aufzufinden."
„Das erklärt immer noch nicht die Koffer. Leo, was wird das?"
„Was soll das wohl werden? Ich hab grade auch mit Kilian seinen Koffer gepackt."
„Und jetzt willst du ihn dir einfach schnappen und abhauen? Wohin? Wie lange?"
„Ich will nur ein wenig weg von hier. Ich will mich nicht schon wieder eingesperrt in meinem eigenen zuhause fühlen."
Oh bitte, Herr im Himmel, sag mir, dass das ein richtiger Scheißtraum ist und Leo sich nicht Kilian schnappen und mit ihm abhauen will.

Alles was uns reichtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt