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Caleb

Diese abartige Geschichte, welche die beiden verbindet, lässt mich allmählich verstehen. Ganz gleich ob Tolyas oder unsere Leute - alle wirken mitgenommen. Das ist sie, unsere kleine abstoßende Welt. Keiner von uns hat es sich aussuchen dürfen. Nur Vasca wurde mit in den Abgrund gerissen, der sich jedem von uns irgendwann eröffnet.

Die Welt von Macht und Geld wird einmal in einhundert Jahren erschüttert und wir sind ein Teil davon. Jeder gestandene Mann zollt Emilia ihren Respekt. Nicht weil sie genauso grausam sein kann, sondern weil sie Überlebende ist. Eine der wenigen Sachen, die fast niemals eintreten.

„Vielleicht sollte ich Vasca die Wahl lassen, was meinst du? Sollte sie dich persönlich umbringen?"

„Das würde sie niemals tun."

„Bist du dir da sicher? Luan hatte das so ähnlich auch gesagt."

„Du hast ihn nicht erschossen."

Emilia geht ganz nah an ihn heran und lacht so kalt. Sie zieht die Waffe in ihrem Holster und stellt die Szene mit sich selber nochmal nach. Damals hatte ich ihr gesagt, dass es ihre Entscheidung wäre. Jedes verdammte Wort war mein Ernst und das war auch heute so. Ihre Darstellung lässt kein Detail aus.

Eine kleine Geste von Emilia reicht völlig aus, damit man Vasca vom Baum bindet. Man bringt sie neben Emilia zum Stehen und die beiden Männer schauen fragend zu Tolya. In der Luft breitet sich eine gewisse Spannung aus, bis er endlich nickt. Man entfernt sich nur einen kleinen Schritt von ihr.

Emilia dreht die Waffe in ihrer Hand und lächelt nur kurz. Der bittere Ton lässt unmissverständlich klarwerden, dass es ihr alles andere als leichtfällt. Ihre Augen glänzen schon fast, bevor sie sich abwendet und vor Vasca stellt. Sehr exakt erklärt sie ihr, wie sie diese Waffe zu bedienen hat. Rosario wird sichtlich unruhig und beginnt damit auf Vasca einzureden.

Ihr völlig leerer Blick lässt mich vermuten, dass sie es nicht tun wird. Womöglich mag ich mich irren, aber Emilia sah entschlossener aus. Doch Vasca nickt zumindest und so gibt Emilia sie Waffe fast weiter.

„Solltest du auf die Idee kommen, die Waffe gegen einen von uns zu richten, garantiere ich dir Löcher in euer beiden Köpfen.", spricht Emilia bestimmt aus.

Vasca starrt wie gebannt auf die Waffe herunter. Ihre Hände zittern, Tränen rinnen über ihre Wangen und ihr Atem beschleunigt sich. Wieder gibt Emilia zu verstehen, dass von dieser Aktion nicht ihr Leben abhängt. Sie umschließt die Waffe mit beiden Händen und hebt sie langsam an. Noch einmal sieht sie zu Emilia und haucht kaum hörbar ein paar Worte.

„Ich hasse mich lieber selber, als einen Menschen wie dich."

Ein Schuss löst sich aus der Waffe. Einige Vögel schrecken auf und es herrscht absolute Stille. Mein Blick schweift von den beiden Frauen zu Rosario. Verblüfft sehe ich ihn mir an. Aus einer Wunde an seiner Stirn läuft Blut über sein Gesicht. Die Waffe fällt zu Boden und mit ihr Vasca. Sie weint ganz stumm. Kein Ton kommt aus ihrem leicht offenen Mund. Emilia hebt die Waffe auf und steckt sie in ihr Holster.

-

Der Whisky läuft meine Kehle herunter und ich lehne mich in dem Stuhl zurück. Mir gegenüber sitzen Mario und Toni. Der heutige Tag steckt uns allen mehr in den Knochen, als jeder von uns zugeben würde. Lauter gestandene Männer wurden heute Zeuge davon, was es mit Frauen in unserer Gegenwart macht. Wir setzten voraus, dass sie jeder Zeit damit zurechtkommen, wer wir sind.

Vasca hatte keine Ahnung wer Rosario wirklich gewesen ist. Ihre Welt wurde so erschüttert, dass sie ihn erschoss. Emilia hat die wahre Tiefe ihrer Wunden offenbart. Sie hat ihre Geschichte, mit all ihren verrückten Grausamkeiten erzählt. Überlebende zu sein ist wohl doch schwerer als ich angenommen hatte. Was in diesem Bunker passiert ist, zeigt wie wenig Angst sie in sich trägt. Während ich in meinem Kopf, diesen Tag Revue passieren lasse, kommt Emilia in die Küche gelaufen.

Parisi - Back To HimWo Geschichten leben. Entdecke jetzt