Reichenbach Sherlocks PoV

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Angst
Wörter: 939


Ich stand oben auf dem Dach des St. Barths Krankenhauses. Hier hatte ich John, meinen besten Freund, meinen Mitbewohner, meinen Lichtleiter zum ersten Mal getroffen. Und hier würde ich mich auch von ihm verabschieden. 

Doch das konnte ich nicht von Angesicht zu Angesicht. Ich weiß, dass ist vermutlich ziemlich feige, aber ich schaffe es auch so schon kaum, das durchzuziehen, was getan werden muss. Also hole ich mein Handy heraus und wähle Johns Nummer, gerade als er aus dem Taxi aussteigt.

Ich sehe, wie er abnimmt und direkt auf das Gebäude zu rennt. "Hallo?" Seine Stimme schnürt mir die Kehle zu und ich bekomme gerade noch seinen Namen heraus.

"Hey Sherlock, alles in Ordnung?" Ich unterdrücke ein trauriges Lächeln bei der Frage und weise ihn an, wieder dahin zurück zu gehen, wo er ausgestiegen ist.

"Nein, ich komme rein." Panik durchflutet mich. Wenn er rein kommt, hoch kommt, wird er mich davon abhalten, zu springen. Das wäre sein Tod. Und Mrs. Hudsons und Lestrades. Das konnte ich nicht zulassen.

"Tu einfach, was ich verlange", sage ich harsch. Ich merke, dass es vielleicht ein wenig zu rau klang und schiebe schnell ein gebrochenes "bitte" hinterher. 

Meine Hand schwitzt und das Handy droht mir aus den Fingern zu rutschen. Ich will das nicht tun. Ich will John nicht verlassen, aber ich muss. Zu seiner eigenen Sicherheit. Ich umklammere mein Handy fester. Es ist meine einzige und letzte Verbindung zu John, ich kann es nicht verlieren.

"Ok, sieh nach oben. Ich bin auf dem Dach."

Er tut, wie ihm geheißen und ich höre sein gepresstes "oh, Gott", als er versteht, was vor sich geht und was ich gleich tun werde.

"Ich... i... Ich kann nicht runter kommen, also müssen wir's einfach so erledigen." Ich hasse, dass meine Stimme so zittert, aber ich schaffe es einfach nicht, sie unter Kontrolle zu bekommen.

"Was ist denn los?" Er weiß, was los ist. Er ist nicht dumm. Aber er will es nicht wahr haben. Ich weiß wie er sich fühlt. Ich wünschte auch, ich müsste es nicht tun.

"Ich muss mich entschuldigen. Es ist alles wahr." Es wird werden schwierig, ihn davon zu überzeugen, doch ich muss es schaffen. Ich muss einfach. "Alles, was über mich gesagt wurde. Ich habe..." Ich gucke zu der Leiche, die hinter mir auf dem Dach liegt und Hass durchflutet mich. Seinetwegen muss ich hierdurch. Seinetwegen werde ich John wahrscheinlich nie wieder sehen. "...Moriarty erfunden."

"Wieso sagst du das?"

"Ich bin ein Schwindler."

"Sherlock." Seine Stimme klingt gepresst. Er glaubt mir nicht. Er steht auch kurz davor, seine Tränen fallen zu lassen.

"Was in der Zeitung stand, ist die Wahrheit. Ich möchte, dass du es Lestrade sagst, ich möchte, dass du es Mrs. Hudson sagst, und Molly... Sag es einfach allen, die es hören wollen. Dass ich Moriarty erschaffen habe für meine eigenen Zwecke."

"Halt den Mund, Sherlock, halt den Mund." Ich staune über seinen Ton. So habe ich ihn nur einmal erlebt. In Baskerville, als er seinen Rang benutzt hat, um uns da rein zu bringen. Normalerweise mochte ich es, wenn er so klang, doch jetzt macht es mich traurig. "Als wir uns das aller erste Mal begegneten, das erste Mal begegneten, wusstest du alles über meine Schwester, stimmt's?"

Ich lächle traurig. Ich habe mir unser erstes Treffen heute so oft in Erinnerung gerufen, dass ich den Überblick verloren hatte, wie oft wirklich. Dass er jetzt auch daran denkt, versetzt mir einen Stich ins Herz. Doch ich muss ihn immer noch davon überzeugen, dass ich ein Betrüger bin.

"Als ob jemand so clever sein könnte."

"Du schon."

Ich will zusammenbrechen und mich zusammenrollen und weinen. Er glaubt so sehr an mich, hat so viel Hoffnung und Bewunderung für mich übrig. Ich habe das nicht verdient und er auch nicht. Er hat was so viel besseres verdient. Ich kann nicht so egoistisch sein und ihn für mich beanspruchen. Ich überspiele das Gefühl mit einem Lachen, doch es klingt sogar in meinen Ohren gezwungen und gebrochen.

"Ich habe über dich recherchiert. Ich habe vor unserer Begegnung alles mögliche ausfindig gemacht, um dich zu beeindrucken. Es ist ein Trick. Bloß ein Zaubertrick." Bitte schluck die Lüge. Bitte merke nicht, dass Mike und ich beide gesagt haben, dass ich von unserem Treffen nichts von dir wusste. Bitte glaube mir. Ich tu das doch nur für dich.

"Nein, hör auf mit dem Unsinn!" Natürlich glaubt er mir nicht. Es würde so vieles leichter machen. Für uns beide. Doch ich muss auch so springen.

Er bewegt sich wieder auf das Gebäude zu. "Nein, bleib genau da, wo du bist. Geh da nicht weg!"

Er hebt die Hand. "Schon gut." Er will mich mit der Geste beruhigen und mich davon überzeugen, nicht zu springen. 

"Behalte mich im Auge. Würdest du das für mich tun, bitte?" Es ist egoistisch, das weiß ich, aber diesen einen letzten Wunsch muss ich mir noch erfüllen.

"Dieser Anruf ist sowas wie mein Abschiedsbrief. So was hinterlässt man doch, oder? Einen Abschiedsbrief."

"Wie jetzt, wann?"

"Auf wiedersehen, John"

"Tu... tu das nicht!" Doch ich tue es. Ich lege auf und werfe das Handy weg. Meine letzte Verbindung zu John, achtlos auf den Boden geworfen. 

"Bitte versteh mich doch", flüstere ich. "Ich tue das alles für dich. Bitte versteh, dass ich dich liebe." Er kann die Tränen nicht sehen, die über mein Gesicht laufen, noch die Worte hören, die für ihn bestimmt sind, die er jedoch nie hören würde.

Ich breite meine Arme aus, blicke noch einmal hinunter in sein geschocktes Gesicht und springe. Er schreit meinen Namen als ich falle und es bricht mir das Herz, das Entsetzten in seiner Stimme zu hören, noch bevor der Boden mir das Genick brechen sollte. Verglichen mit diesem Schmerz, ist der Aufprall auf dem Boden, wie in ein weiches Federbett zu fallen.

Johnlock OneShotsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt