2. Tango ist Ausdruck von Anziehung

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Majorleins Sicht

Ich absolvierte meine Joggingeinheit in Windeseile, ehe ich mich auf den Weg ins Tanzstudio machte. Endlich angekommen, zog ich mich schnell um und betrat den Tanzsaal. Zu meiner Überraschung waren bei Pepe zwei junge Pärchen. Er gab ihnen Unterricht und sah umwerfend aus, in seinem engen karierten Anzug mit passendem weißem Hemd. "Bo!" Freute er sich mich zu sehen. Jetzt wusste ich auch, warum er mir die Nachricht aufs Handy geschickt hatte: "Bitte Kostüm mitbringen!" Also hatte ich mich in kurzen Fransenshorts und das dazugehörige bauchfreie Top gequält. Meine Haare waren zu einem engen Zopf gebunden und ich hatte meine schwarzen Tanzschuhe angezogen. Diese hatte ich nur selten an, denn sie waren nicht eingelaufen, ich meine natürlich eingetanzt. Mir taten bereits jetzt die Füße weh. "Darf ich vorstellen? Das ist meine Tanzpartnerin Bo. Bo ist Profitänzerin und hat ihren Abschluss an der Drama and Dance Academy in London gemacht. Sie pendelt zwischen Broadway, Picadelly Circus, Prinzenplain und Trainingslager; also hier!" Lächelte er liebevoll und mir war der Lobgesang fast peinlich, als er mir liebvoll die Hand auf die Schulter legte. "Bo das sind Ann-Kathrin und Mario und Andre und Vanessa!" Stellte er mich den vieren vor. "Hallo!" Lächelte ich etwas peinlich berührt in die Runde. Pepe blickte mich an. "Die Grundschritte von Tango sind ganz einfach." Erklärte er mit seinem niedlichen spanischen Akzent. Mein Körper durchfuhr ein leichter Schlag. Mein Herschlag beschleunigte und ich wusste was Pepe von mir erwartete. Er kam zu mir und sah mich mit großen Augen an. Er war einen Kopf größer als ich. Eigentlich war er einen Hauch zu groß für mich als Tanzpartner, doch er war ein ausgezeichneter Tänzer und damit kompensierte er meinen körperlichen Makel, das ich zu klein für ihn war. Pepe blickte mich an und automatisch war die Verbindung zwischen uns vorhanden. Er packte mich an den Händen und die Show musste losgehen. "Tango ist Leidenschaft!" Begann er klischeehaft und führte zur ersten dramatischen Pose. Ich bewegte mich zum Takt, Fuß schwungvoll nach Rechts, Fußspitze nach außen, tipp, tipp, Balance auf das rechte Bein, das linke Bein nach ziehen, Drehung. Meine Hände hielten den Kontakt zu Pepe, der mich sicher durch den Saal führt. Ich bewege mich ganz automatisch, denn wir beide hatten es hundert Mal geübt. Genau wie den Paso Doble, den Cha Cha oder all die anderen dämlichen Standarttänze. Pepe kitzelte das Beste aus mir raus und das alles nur für diese dämliche Tanzshow. Er erklärte mir, das mit der Fernsehshow immer ganz einfach, doch ich wurde aus meine Gedanken gerissen, als seine Hand die Innenseite meines Oberschenkels berührte und mich anhob. Die Hebefigur war anspruchsvoll und ich krallte mich an seinen perfekten Körper. "Tango ist Kommunikation zwischen Frau und Mann. Drehungen und Stopps!" Es war die perfekte  Erklärung des Bewegungsablauf um Tango zu erklären. Pepe ließ mich gut aussehen, doch dass war die Kunst am Tanzen. Ich wusste, dass ich mich auf ihn verlassen konnte. Langsam entspannte ich mich und ließ mich mehr und mehr auf meinen Tanzpartner ein. Ab jetzt gab es nur noch Pepe und mich. Ich mochte sein kantiges Kinn und sein braunes volles Haar. Sein weißes Hemd spannte um seine perfekte Brust. Wenn wir Tango tanzten, verlor ich mich, ehe Pepe von mir abließ. "Also in dieser Stunde..." Mit seinem spanischen Akzent fing er anzuerklären, während ich Luft holte. Ich beobachtete die beiden Pärchen, die aufmerksam Pepes Worte lauschten. Die vier waren sehr hübsch und ich spürte den Blick einer der beiden Jungens auf meiner Haut. Seine braunen Knopfaugen ruhten auf mir. Ich lächelte etwas verschämt und folgte mit meinem Blick schließlich Pepe. Einen Moment versuchte ich mich zu erinnern, wann ich das letzte Mal ein Date oder etwas ähnliches gehabt hatte. Es war ewig her und das obwohl es an Angeboten nicht mangelte. Fast jedes Wochenende fragte mich jemand nach einem Date, doch ich war bei Liebesangelegenheiten ein hoffnungsloser Fall. Vielleicht wollte ich aber auch ein hoffnungsloser Fall sein. Es war einfacher wie sich seinen Gefühlen zu stellen.
Ich half also Pepe beim Unterrichten und konzentrierte mich auf meinen Job. Pepe bat mich darum, dass ich mit den beiden Jungens tanzen sollte, während Pepe sich um die Mädels kümmerte. Zuerst tanzte ich mit André. Er war deutlich größer, hatte rotblondes Haar. Taktgefühl hatte er zwar, doch er war ziemlich hölzern. "Entspann dich." Lächelte ich ihn an und fuhr fort; "Links, eins und zwei..." Begann ich zu zählen und André und ich setzten uns langsam in Bewegung. "Wo kommst du her?" Fragte er mich. "Amsterdam!" Sagte ich und verbesserte seine Körperhaltung, mit einem Stupser gegen seine Hüfte. Pepe kam zu uns und musterte unsere Bewegungsabläufe. Er griff ein; "Jungens Bo ist flüssiges Gold, packt sie an, wie ein Mann eine Frau anpackt!" Sagte er ihnen, während Pepe mich an der Hüfte packte und automatisch begann ich mit dem einstudierten Bewegungsablauf. Der hübsche Spanier ließ von mir ab und ich spürte ein letztes Mal seine Berührung auf meiner nackten Haut. Denn ich spürte seine feuchten Hände auf meiner Hüfte. Da war es wieder, diese Spannung zwischen uns. Ich richtete mich auf und gingen einen großen Schritt auf ihn zu. Pepe bemerkte dieses Flattern und riss meinen Arm hoch. Ich stoppte, drehte meine Hüfte und ließ seine Knopfaugen nicht aus dem Blick. "Tango ist auch ein Ausdruck von Anziehung!" Sagte er zu den Jungens gerichtet, während mein Körper das machte, was er von mir wollte. Ich war Wachs in seinen Händen, auch wenn mir das überhaupt lieb war. Es war dieses besondere Vertrauensverhältnis bei einem Paar, das man zum Tanzen brauchte. Wir tanzten die nächsten Schritte, ehe Pepe von mir abließ. Überglücklich schaute ich ihn an, denn perfekte Linien beim Tanzen waren genau das was ich im Moment brauchte. Wir trainierten und trainierten und manchmal hatte ich das Gefühl, dass wir kaum Fortschritte machten. Ich bemerkte die Anerkennung von Ann-Kathrin und Vanessa. "Du tanzt unglaublich!" Sagte die Kleinere der beiden Frauen zu mir. "Es ist sehr viel Arbeit!" Sagte ich ehrlich. "Du hast den perfekten Körper!" Lächelte sie mich an. "Vielen Dank!" Sage ich einen Hauch verlegen und tatsächlich war ich so gut in Form wie noch nie. "Sechs Stunden, sechs Tage die Woche Training!" "Das sieht man!" Lächelte sie freundlich und ich spürte erneut die Blicke der Jungens auf meiner Haut. "Ihr seid ein hübsches Paar!" Sagte die andere zur mir und deutete mit dem Daumen auf Pepe. "Wir tanzen nur zusammen!" Sagte ich verlegen und fuhr fort. "Mehr nicht!" Murmelte ich leise und blickte zu sehnsüchtig zu ihm hinüber. Nach meinem Studium, hatte ich noch in London gearbeitet. Doch Pepe hatte mich gefragt, ob ich mit ihm für ein Jahr nach Köln gehen wollte. Es war gut, denn ich hatte damals keine weiteren Anstellungen in London gehabt. So konnte ich an den Wochenenden regelmäßig nachhause nach Amsterdam. Der Job war eine nette Alternative gewesen. Zudem war die Anstellung bei dieser Tanzfernsehserie gut, um auch in anderen Ländern einen Job zu bekommen. Pepe würde Juror sein und mit mir die jeweiligen Tänze vorstellen. Ich wusste, dass er keine Fehler zulassen würde und so trainierte ich seit Monaten mit ihm Standard, Latein und Freestyletänze bis zur Perfektion. Nebenbei arbeitete ich, hielt mich fit und versuchte mir endlich darüber klar zu werden, was ich mit meiner Karriere machen wollte. Ein Musical, Theaterstück oder doch der Traum von einem Musikvideo? Wie wäre es mit einer Tour als Backgroundtänzerin oder doch einem Broadwaystück? Mir stand die Welt offen, aber ich wusste einfach nicht wie ich mich entscheiden sollte.
Ich brachte den Mädels ein paar Schritte bei, während Pepe die beiden Jungens eine Lektion in Testosteron gab. "Wirst du auch mit so einem Star tanzen?" Fragten sie mich schließlich aus. "Ich tanze mit Pepe, das wird wohl reichen!" Sagte ich ruhig. "Eine Bekannte von uns tanzt diesmal auch damit!" Erklärte sie mir. "So die Stunde ist um und Bo und ich werden noch ein wenig üben!" Klatschte Pepe in die Hände. Einen Moment lächelte ich ihn an. "Können wir noch einen Moment zuschauen?" Fragte die beiden Mädels mich. "Das muss Pepe entscheiden!" Sagte ich und wärmte mich nun richtig auf. "Bleibt ruhig, ein wenig Publikum tut uns gut!" Lächelte er selbstbewusst und ging zum MP3-Player. "Lass uns anfangen mit Samba!" Lächelte er mich an. "Gerne!" Nickte ich und dehnte ein letztes Mal meine Oberschenkelmuskulatur. Dann nahm ich meine Position ein. Typisch für den Samba sind deutliche, schnelle Hüftbewegungen, das sogenannte Bouncen also das Vor-und-Zurück des Unterkörpers. Mit Samba hatte ich schon seit Schulzeiten meine Schwierigkeiten. Doch da musste ich durch, immerhin trainierte ich seit Monaten auf diese Momente hin. Für mich war Tanzen Ausdruck und Hingabe zugleich. Pepe blickte mich an und innerlich drehte ich den Schalter um. In meinem Kopf fing ich an mitzuzählen, eins, zwei drei. Jede Bewegung saß dort wo ich sie haben wollte. Langsam fing es an Spaß zu machen. Die Körperrolle bis in die Fußspitzen gelang mir perfekt. Doch bevor ich mich auf dem nächsten Tanzschritt wieder ausruhen konnte, ging es bereits weiter. Ich war das erste Mal seit einer Ewigkeit zufrieden und mein Herz schlug bis zum Hals nach dem perfekten Samba. Pepe hatte zufrieden seine Hand auf meine Schulter gelegt und verschnaufte so wie ich. "Du warst wundervoll" Sagte er leise zu mir, allerdings nur so das ich es hören konnte. Es war das erste Mal, dass er mir ein Kompliment in diesem Ausmaß machte. Ich lächelte ihn kurz zustimmend an. "Wir sollten morgen vielleicht mit dem Contemporary anfangen!" Lächelte er mich an und ich nickte nur, während ich weiter Luft holte. Sein kantiges Gesicht und seine dunklen Augen starrten mich an. "Bist du nachher im Link?" Fragte er mich beiläufig und ich nickte. "Ja ich habe die Nachmittagsschicht!" Sagte ich ein wenig genervt. Denn neben dem Tanzen war ich manchmal einfach nur müde von der Doppelbelastung. "Vielleicht komme ich heute Abend mal vorbei!" Sagte er mir und zwinkerte mir zu. "Ja komm ruhig!" Lächelte ich und drehte mich verlegen beiseite. Das wir immer noch Gäste hatten, war mir relativ egal. Doch Pepe realisierte es, ging zu den vier hinüber und redete mit ihnen, während ich meine Schuhe auszog und meine Fußspitzen dehnte. "Hey Majorlein, das ist für dich!" Sagte Pepe schließlich und drückte mir hundert Euro in die Hand. Ich blickte in die Richtung der vier und war vollkommen überrascht. Normalerweise bekam ich nicht so viel Trinkgeld für eine Tanzstunde. "Vielen Dank!" Sagte ich laut. Mir war es unangenehm, aber dieser Monat war finanziell ziemlich eng. Kein Wunder, da ich in der Woche mindestens einmal zwischen Amsterdam und Köln hin und her pendelte. Außerdem war die kleine Wohnung in Köln  ziemlich teuer. Ich mochte es nicht sonderlich jeden Euro zweimal umzudrehen, aber ich sparte viel, da ich nie wusste wie es mit meiner Karriere weiter gehen würde. Einmal eine falsche Bewegung und mein Traum als Tänzerin war vorbei.


Dance // Marco ReusWo Geschichten leben. Entdecke jetzt