64. Es sieht nach Kreuzband aus...

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Marcos Sicht

Mir war fast klar gewesen, dass man mich im Fernsehstudio entdeckte. Dieser dämliche Daniel Hartwich hatte sich auf mich gestürzt, aber das jahrelange Medientraining beim BVB hatte sich ausgezahlt. Marcel war ziemlich amüsiert darüber, wie der Moderator versuchte mich vor versammelter Mannschaft lächerlich zu machen doch überraschenderweise hatte ich auf jede Frage ein Geheimnis. Nach dem Hartwich mich zufrieden ließ, kam als nächstes die Tanzdarbietung meiner Ex-Freundin. Der Auftritt von Scarlett dagegen amüsierte mich überhaupt nicht. Sie war nicht sonderlich gut, allerdings wie sollte ich das auch beurteilen, die einzige die ich ständig tanzen sah war Bo. Und Bo war nun mal kein Massstab für meine Ex. Sie hatte stattdessen kein wirkliches Rhythmusgefühl oder Takt. Aber zu meiner Schande musste ich gestehen, dass ich zu meiner Überraschung eher Mitleid mit ihr hatte als das es mich freute. Ich hatte durchaus das Gefühl, dass sie gerne tanzte und sich Mühe gab. Sie wollte es, aber von Können war da keine Rede. Außerdem war im Anschluß  Bo mit ihrem Solo an der Reihe. Sie startete zwar außer der Konkurrenz, dennoch sah man ihr die Tanzausbildung sofort an. Die junge Holländerin war Profitänzerin und das sah man von Kopf bis Fuß. Körperspannung, Körperhaltung und Ausdruck. Sie lief die Treppe hinunter und sie sah selbst dabei umwerfend aus. Sie hatte diesen Hauch von Nichts beziehungsweise Hauch von Glitzer an. Jede ihrer Bewegungen wurde von diesen bunten Glitzersteinen unterstützt. Für mich war sie die eine Prinzessin aus Tausend und einer Nacht. Ihre Hüfte wippte von links nach rechts und ihr langes blondes Haar umspielte ihre schmalen Schultern. Wie immer hatte ich nur Augen für sie. Mein Herz schlug bis zum Hals und ich wusste beim nächsten Herzklopfen, dass das mit Scarlett endgültig vorbei war. Der Beat der Musik gab den Takt vor und die junge Frau legte mit ihrem Paso Double die Messlatte extrem hoch an. Sie verkörperte Kraft und Schnelligkeit. Bo lieferte ab und das Publikum schenkte ihr für ihre Darbietung Standing Ovations. „Das hat sie wirklich gut gemacht!" Sagte Marcel zu mir, ich beobachtete die junge Frau, die gefühlt auf der Bühne zusammen sackte. Irgendwas stimmte nicht, vor Schmerzen konnte sie sich nicht mehr auf den Beinen halten. Bo konnte kein geraden Schritt mehr laufen. Mein Herz blieb stehen und die Nervosität und Anspannung kroch mir den Rücken hoch. Pepe kam aufs Tanzparkett gerannt, half ihr und hob sie hoch. Er trug sie nach hinten. An ihrer Körpersprache konnte ich sehen wie sie weinte. Ich hatte augenblicklich ein schlechtes Gefühl in der Magengegend. „Was ist passiert?" Fragte Marcel mich. „Keine Ahnung, es sieht nach Kreuzband aus!" Sagte ich ohne mir wirklich etwas dabei zu denken. „Willst du zu ihr?"Fragte mein Freund mich und ich nickte. „Ich bleibe so lange hier, vielleicht fällt es dann nicht so auf!" Lächelte er mich freundlich an. Ich nickte und ging nach hinten. Schnellen Schrittes lief ich durch die langen Flure und sah Pepe schließlich vor einer Tür stehen. Er sah mich an und sein ernster Gesichtsausdruck verreit das irgendetwas nicht stimmte. „Was ist los?" Fragte ich ihn. „Ihr Knie!" Sagte er mir. Also hatte ich mit meinem blöden Gefühl recht gehabt. Ich schaute in das kleine Zimmer. Ein Arzt schaute nach ihrem Bein. Es war mir egal und ich ging zu ihr. Unsere Blicke streiften sich und ich sah die Tränen in ihren Augen. „Ich hoffe es nicht, aber es sieht nach Kreuzband aus..." Sagte der Arzt zu ihr. Bo sah mich einen Augenblick verzweifelt an und ich wusste das es ihr nicht gut ging. Nicht nur das Bo Schmerzen hatte, für sie war mindestens ein halbes Jahr Pause eine Katastrophe. Liebevoll setzte ich mich zu ihr und nahm ihre Hand. „Was ist passiert?" Fragte ich sie. „Ich bin vorhin gestürzt, da hatte ich schon das Gefühl das irgendwas nicht stimmte." Weinte sie. Dicke Krokodilstränen rannen ihr über die Wangen. „Wir sollten schauen dass Sie ins Krankenhaus kommen!" Sagte der Arzt zu ihr. „Wenn es das Kreuzband ist, will ich das Bo in München bei meinem Arzt behandelt wird!" Sagte ich zu ihm. „Nun wir haben hier ausgezeichnete Ärzte." Versuchte er mich zu beruhigen. „Es ist Dr. Müller-Wohlfahrt, sie kennen ihn wohl!" Sagte ich zu dem Arzt. Mull war der Arzt der deutschen Nationalmannschaft. Seit Jahren ließ ich mich von ihm behandeln, auch wenn ich dafür nach München musste. „Nun dann sollten sie schnell nach München." Lächelte der Arzt mich resigniert an. Egal was er mir sagen würde, ich würde es nicht zulassen, dass Bo von einem anderen Arzt behandelt werden würde. Der Arzt reichte der jungen Frau ein paar Krücken. „Nun ich wenn du willst, werde ich ein paar Sachen für dich einpacken!" Schlug Pepe ihr vor, während ich ihre Krücken richtig einstellte. Sie schniefte und schluchzte immer noch. Ich wollte einfach nur weg mit ihr. „Dann komm doch nachher zu mir!" Schlug ich Pepe vor. Er nickte, als hätte er sofort verstanden was ich meinte. „Mein Schlüssel ist in meiner Handtasche!" Sagte Bo zu Pepe und richtete sich auf. Sie konnte kaum auftreten. Ich kannte dieses Gefühl nur zu gut. Denn ich war schon ein paar mal in meiner Fußballerkarriere verletzt gewesen. „Versuch gar nicht erst aufzutreten!" Sagte ich ihr, während sie sich mit den Krücken abmühte. Gott ich hatte Mitleid mit ihr, unglaubliches Mitleid. Ich wusste wie viele Schmerzen das bedeutete. Immerhin hatte ich die Weltmeisterschaft verpasst, als Deutschland gewonnen hatte und das alles nur weil ich verletzt gewesen war. Ich versuchte Marcel anzurufen, während ich meinen Wagen holte. Ich erreichte ihn schließlich, er machte sich gleich auf den Weg zu uns während ich den Wagen parkte. Pepe half ihr und Bo wirkte unglaublich verletzlich. Ihre Augen waren vom weinen ganz Rot unterlaufen. Ihr Tanzpartner half ihr und setzte sie ins Auto. Das ein Kamerateam nicht weit von uns entfernt stand, war mir ziemlich egal. Ich stieg ebenfalls in den Wagen und wir fuhren unmittelbar zu mir nach Dortmund. Bo saß schweigsam neben mir und schaute aus dem Fenster. Mit ihrer linken Hand hielt sie sich Eis aufs Knie. „Geht es?" Fragte ich sie nach dem ich durch ein ziemliches Schlagloch gefahren war. Sie sah mich mit ihren verweinten roten Augen an. „Es tut ziemlich weh!" Gab sie zu und hielt weiter ihren Eisbeutel fest. „Wie ist denn das passiert?" Fragte Marcel sie. „Ich bin gestürzt." Murmelte sie wortkarg. „Wie gestürzt?" Fragte ich sie. Vorhin schon hatte sie nicht wirklich mit der Sprache rausgerückt. „Na hingefallen..." Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass sie mir nicht vollkommen die Wahrheit sagte. „Über was drüber gefallen?" Fragte Marcel noch einmal. „Ja über ein Bein!" Platzte es aus ihr hinaus. „Konnte Pepe nicht aufpassen?" Fragte ich sie. „Es war nicht Pepe!" Brummte sie und verschränkte die Arme vor der Brust. Ich sah sie entgeistert an. Was sagte sie denn da? Ich verstand nicht was sie da sagte. „Es war Scarlett, sie hat mir ein Bein gestellt." Erklärte sie mir. Ich hatte das Gefühl, dass mein Herz stehen blieb. „Wie ein Bein gestellt?" Wiederholte ich noch einmal das Geschehene. „Ich wollte zur Bühne, sie hat mir ein Bein gestellt, ich landete im hohen Bogen auf dem Gesicht." Sie deutete auf ihr aufgeschlagene Kinn. Ich war sprachlos, wenn Scarlett das getan hatte dann konnte ich das niemals akzeptieren. Die Wut stieg ins Unermessliche. Wenn Sie das wirklich getan hatte, dann würde das definitiv Folgen für sie haben. Das konnte ich und wollte nicht akzeptieren. 

Dance // Marco ReusWo Geschichten leben. Entdecke jetzt