21. Kriege ich einen Kaffee, ehe du Kreuze kriechst?

658 32 2
                                    

Marcos Sicht

Ich parkte meinen Wagen und lief das Stück die Straße hinunter. Bo hatte mir in der Nacht noch ihre Adresse geschickt. Unmittelbar nach dem aufstehen, hatte ich mich auf den Weg zu ihr gemacht. Dortmund Amsterdam waren gerade rund 250 Kilometer. Ob ich zum shoppen nach Köln oder eben nach Amsterdam fuhr, war für mich kein Unterschied. Es herrschte bereits reges treiben in der niederländischen Innenstadt. Überall wurden Stühle vor den Cafés aufgebaut und langsam öffneten die Einkaufsläden. Auch die Touristen waren bereits fleißig unterwegs und ich wurde bereits zum zweiten Mal fast von einem Fahrrad überfahren. An der Ecke stand Bo und wartete auf mich. Sie hatte ein ganz schlichtes Outfit an, enge schwarze Jeans, ein einfaches Top und knallbunte Nike Air Max 90. Sie hatte eine viel zu große Strickjacke um sich geschlungen und in der sie ein wenig verloren wirkte. Ihre Haare hatte sie zu einem einfachen Zopf gebunden und sich ein Snapback tief ins Gesicht gezogen. Sie schaute in die entgegengesetzte Richtung, als ich mich hinter sie stellte. "Nach gestern Nacht solltest du ein wenig mehr auf dich aufpassen!" Beschwerte ich mich bei ihr. Niedlich zuckte sie zusammen. "Oh man erschrecke mich doch nicht so!" Brummte sie verkatert. "Ich hätte dich nicht anrufen sollen!" Sagte sie leise und blickte verschämt zu Boden. Ihr linker Fuß kratzte große Kreise in den Dreck. "Kriege ich einen Kaffee, ehe du Kreuze kriechst?" Fragte ich sie direkt. Ich wollte nicht das sie sich schämte. Ganz im Gegenteil, sie hatte mich angerufen, weil sie ein Problem hatte und mir vertraute. Außerdem hatte sie mir gesagt, dass der Kuss mit diesem Typen nicht das war wonach es ausgesehen hatte. Ich meine nicht das es mich interessierte oder das ich mich hier nicht selbst belügen würde.  Aber ich hatte mir Sorgen gemacht, nach dem dieser Kerl sie mitten in der Nacht angesprochen hatte. Ich hatte Angst gehabt, dass ihr etwas passierte und das war mir noch während des Telefonats klar geworden. Und damit hatte Bo meinen verdammten, anerzogenen Beschützerinstinkt geweckt. Wenn ich Bo hier nicht abgeholt hätte, hätte ich es mir ewig vorgeworfen. Die umherschwirrenden Gedanken über die Trennung und das ich mich auf mich konzentrieren wollte, waren bereits vergessen. Stattdessen war ich nun nach Amsterdam gedüst um die hübsche Blondine zu retten. Erst blickte Bo erbost zu mir auf, ehe ein leichtes Lächeln über ihre Lippen huschte. "Danke, dass du gekommen bist!" Sagte sie und legte kurz ihre Hand auf meinen Oberarm. Die hübsche junge Frau ging voraus und ich folgte ihr. Zielstrebig steuerte sie das nächste Café an. Dabei ging sie einen Schritt vor mir und ich hatte die Möglichkeit auf ihren knackigen Hintern zu schauen. Sie hatte einen wirklich attraktiven Hintern, auch wenn ich versuchte den Gedanken von mir zu schieben, riskierte ich auch noch einen zweiten und ja ich bin ein Mann auch dritten Blick. "Was war denn gestern los?" Begann ich das Gespräch, um die Stille zwischen uns endgültig zu beenden. Außerdem würde ein Gespräch helfen, damit ich nicht weiter auf ihren Hintern starrte. "Du hast gesagt du willst erst einen Kaffee, bevor ich zu Kreuze krieche!" Grinste sie mich über die Schulter hinweg an und ging an die Theke. "Twee coffie!" Bestellte sie auf Niederländisch, während ich uns einen Tisch suchte. Sie kam schließlich mit einem kleinen Tablett zu mir hinüber, setzte sich zu mir und nahm sich eine Tasse Kaffee. Bo nahm sich ein Stück Zucker und warf dieses in ihre Tasse. "Ich war betrunken und ich hätte dich nicht anrufen dürfen." Fing sie an, als wäre das Thema für sie abgeharkt. Sie blickte nicht einmal zu mir auf. Log sie mich etwa an? Ich nahm meine Tasse Kaffe und schaute sie immer noch an. "Aber du hast mich angerufen!" Sagte ich amüsiert zu ihr und rollte etwas zu stark mit den Augenbrauen. "Ja weil du dich nicht gemeldet hast, verdammt!" Warf sie mir vor. Wir schauten uns an und ich verlor mich in ihren großen honigbraunen Augen. Als ich merkte wie lange wir uns anschauten, nahm ich meine Tasse Kaffee und schüttete mir einen Schluck Milch hinein. Die junge Frau lehnte sich zurück und ich kämpfte einen Moment gegen meine Nervosität. Sie war blass und man sah ihr an, dass sie gestern getrunken hatte. "Du rettest mich! Okay?" Unterbrach sie mich. "So weit ist es ja nicht!" Sagte ich tröstend zu ihr. Das ich wegen ihr mein Training hatte ausfallen lassen, behielt ich dagegen für mich und genoß ihre Unsicherheit.
Ich schaute auf eine ihrer blonden Haarsträhnen, die sich aus ihrem Zopf gelöst hatten und ihre Wangen umspielten. "Warum hast du dich nicht gemeldet?" Fragte sie mich direkt. Ich lehnte mich zurück und überlegte einen Moment. "Ich hatte viel zu tun, mehr nicht!" Versicherte ich ihr und strich mir durch die Haare. Ich konnte ihr ja schlecht sagen, dass ich mich nicht gemeldet hatte, weil ich dachte, dass sie mit diesem komischen Tänzer "beschäftigt" war. "Und trotzdem hast du mir Blumen geschickt?" Bohrte sie weiter, als würde sie mir nicht glauben. Ich meine Notlüge war auch nicht sonderlich einfallsreich. "Meine Eltern haben mich gut erzogen. Für dich war das mit dem Tanzen wichtig..." Sagte ich ruhig und schaute auf meine Hände. "Hast du es gesehen?" Unterbrach sie mich und nippte an ihrem Kaffee. "Nein, ich wollte Scarlett nicht sehen!" Flunkerte ich sie erneut an. "Hat sie dir wirklich so weh getan?" Fragte sie mich direkt. Bo schaffte es mich eiskalt zu erwischen. Normalerweise redete ich nicht über mein Privatleben und da saß eine wildfremde Person vor mir und ich war mir unsicher, ob ich ihr vertraute. Ich schwieg, weil ich noch keine Antwort hatte und schaute auf das schwarze Heißgetränk. "Als ich in London war hatte ich einen Freund. Ich meine es war nichts besonders, alle hatten einen Freund. Irgendwann muss man ja mal einen Freund haben, keine Ahnung, er war älter wie ich und Schauspieler. Er war zwei Jahrgänge über mir..." Erzählte sie mir und fuhr fort. "Ich war verrückt nach ihm. Gott war ich verrückt nach ihm, aber er dagegen war verrückt nach Tänzerinnen." Sie machte eine Pause und schaute zu mir auf. "Neben mir traf er sich mit zwei anderen Mädels aus meinem Kurs. Irgendwann kam es raus und es hat mich fertig gemacht. Ich saß fast drei weitere Jahre mit den anderen Mädels in einem Zimmer. Es hat mich echt getroffen..." Sagte sie ruhig. "Und hast du ihn abserviert?" "Ich war noch ein Jahr mit ihm zusammen, bis ich verstanden habe, dass er nicht gut für mich ist. Aber ich habe ihn geliebt, also habe ich es mit mir machen lassen!"  Ich schwieg und lauschte ihr. "Er ist ein Vollidiot!" Unterbrach jetzt ich sie. Sie war ehrlich, aber sie sollte dabei nicht ihr Gesicht verlieren. Sie sollte nicht komplett ihre Seele vor mir entblössen. Bo lächelte mich schüchtern an. "Ja das weiß ich heute, damals aber nicht!" Auf ihren Lippen war dieses niedliche Lächeln und ich hätte stundenlang so mit ihr sitzen können, um sie stundenlang zu beobachten. "Mit dem Alter wird man schlauer!" Versicherte ich ihr und zwinkerte ihr zuversichtlich zu. Sie lehnte sich entspannt zurück und schaute an die Decke. "Wann musst du in Köln sein?" Fragte ich sie, um die peinliche Stille zu überbrücken. "Um fünf muss ich am Studio sein!" Gab sie zu. Ich schaute auf die Uhr. "Dann haben wir noch ein wenig Zeit!" Sagte ich und strich mir durchs Haar. "Willst du was von der Stadt sehen?" Fragte sie mich. "Ja warum nicht?" Wir standen auf und gingen ein Stück zu einem edlen Haus. Sie ging durch eine Seitengasse in den Innenhof. "Darfst du denn da rein?" Ich war mir ein wenig unsicher, denn durch die Seitengasse ging kein einziger Mensch, es war ein wenig dunkel und irgendwie grusselig. "Es ist mein Haus!" Sagte sie mir. Doch anstatt in die Wohnung zu gehen, holte sie uns zwei Fahrräder aus dem Flur. Es waren zwei typische Hollandräder. Sie waren ziemlich eingestaubt, aber sie waren dennoch funktionstüchtig. "Na komm!" Lächelte sie und schwang sich auf ihr Rad. Ich tat es ihr gleich und wir fuhren los. Für die junge Frau schien es das normalste auf der Welt zu sein, sich so durch die Stadt fortzubewegen. Ich dagegen war ein wenig überfordert. Es war eng, es war chaotisch und dazu kam die wenige Erfahrung auf Amsterdams Straßen. Doch nach einer Zeit gewöhnte man sich irgendwie daran. Wir kurvten durch die Stadt und es war unglaublich entspannend. Bo zeigte mir ein paar der hübschesten Ecken der Stadt. Amsterdam zeigte sich an diesem Morgen von seinen schönsten Seiten.


Dance // Marco ReusWo Geschichten leben. Entdecke jetzt